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Titel15+1612

Die Namen des Krieges  (Kurt Pätzold)

Wer sich in der deutschsprachigen Literatur zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges beliest, stößt auf eine Vielzahl von Kennzeichnungen des Ereignisses, die gleichsam friedlich mit- und nebeneinander koexistieren. Hier ist eine unvollständige Aufzählung: Eroberungs-, Aggressions-, Vernichtungs-, Weltanschauungskrieg, dazu Krieg um Lebensraum sowie, was den Feldzug angeht, der am 22. Juni 1941 begann, Krieg im Osten, Krieg gegen den Bolschewismus und deutsch-sowjetischer Krieg. In vielen Fällen wird vor die Bezeichnung der Name des »Führers« gesetzt, so daß es dann heißt: Hitlers Krieg und so weiter. Seltener ist die Benennung als Krieg der Deutschen anzutreffen.

Eine bevorzugte Stellung hat seit Jahren in der wissenschaftlichen wie in der allgemeinen Geschichtsliteratur die Formulierung von Hitlers rassenideologischem (mitunter auch zusätzlich: rassenbiologischem) Vernichtungskrieg. Diesen Rang hat sie nicht zufällig gewonnen. Gemeint ist damit nicht nur die in allen Kriegen sich ereignende Zerstörung von Menschenleben und Menschengütern, in den neueren auch die Verwüstung ganzer Landschaften, sondern die Vernichtung von Staaten. Dieses Kriegsziel hatten sich die deutsch-faschistischen Strategen, nachdem sie Österreich und die Tschechoslowakei im Frieden liquidiert hatten, auch im Hinblick auf Polen, Luxemburg und die Sowjetunion gesetzt, und damit hätte sich im Falle des »Endsiegs« die Reihe der Staaten, die von der europäischen Landkarte getilgt worden wären, nicht erschöpft.

Doch mit der Wendung von Hitlers rassenideologischem Vernichtungskrieg ist zugleich zweierlei erreicht: die Verkürzung der Urheberschaft des Krieges auf eine Person und die Reduzierung des Antriebs für diesen Krieg auf die Ideologie, speziell den Rassenwahn. Zugleich geschieht über diese sprachliche Konstruktion so etwas wie eine Entkoppelung der beiden Weltkriege. Und gemieden ist mithin eine Kennzeichnung, die lange nicht nur Marxisten in Mund und Feder führten. Der Begriff des imperialistischen Krieges ist außer aller Mode. In Glossarien von Schulgeschichtsbüchern wird er, wenn überhaupt erwähnt, auf die letzten Jahrzehnte des 19. und die ersten des 20. Jahrhunderts gemünzt. So haben sich die Ideologen einer Fülle von Fragen an Geschichte und Gegenwart entledigt.