erstellt mit easyCMS
Titel15+1612

Die eine Opposition und die andere  (Arno Klönne)

Die politischen Strukturen in Europa werden derzeit massiv verändert, aber Fiskalpakt und Europäischer Stabilisierungsmechanismus (ESM) rufen Widerspruch hervor. Peter Gauweiler und Gregor Gysi traten in Karlsruhe auf, um den Lauf des Gesetzeswerkes zu stoppen. Stimmen Rechte und Linke europapolitisch überein? Da kommt es darauf an, zu unterscheiden: Wer wendet sich aus welchen Gründen gegen »Finanzeuropa«?

Gegner dieser Gesetze haben das Bundesverfassungsgericht angerufen, allerdings aus ganz unterschiedlichen Motiven. Manche deutschen »Wirtschaftswissenschaftler« geben ohne nennenswerte wissenschaftliche Anstrengung Angela Merkel Unterstützung – andere warnen vor ihrem Kurs. Sogar der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer hat eine Art halber Opposition angekündigt: So könne es »nicht mehr lange weitergehen«, sagt er. Sein Widerspruch gilt der angeblichen Beschädigung deutscher Wirtschaftsinteressen durch die finanziellen Maßnahmen des europäischen »Rettungsfonds«.

Seehofer greift damit ein Ressentiment auf, das in der Bundesrepublik weit verbreitet ist; mit einem klassisch nationalistischen Hintergrund. Die Bundesregierung selbst hat, begleitet von einflußreichen Medien, ihrer europäischen Finanzpolitik eine Legende beigegeben, die nun Eigendynamik entwickelt: Das fleißige und deshalb wirtschaftlich erfolgreiche Deutschland komme anderen, weniger emsigen europäischen Ländern in deren selbstverschuldeter Geldnot zur Hilfe. Wer dieser Erzählung Glauben schenkt, ist naheliegenderweise empört, wenn das Verlangen nach Krediten kein Ende nimmt. »Sollen wir denn so lange bürgen und zahlen, bis wir selbst in die Pleite geraten« – so das Gefühl vieler Menschen hierzulande. Die »Freien Bürger«, die beabsichtigen, zur nächsten Bundestagswahl anzutreten, wollen daraus Nutzen ziehen. Schwarz-weiß-rote Zeitungen wie die Junge Freiheit und die Preußische Allgemeine saugen Honig aus dem Verdruß über deutsche Einlagen und Bürgschaften beim ESM. Berechtigter Ärger über die »europäische Bürokratie« verwandelt sich in deutsche Aggressivität gegen alles »Supranationale«. Thilo Sarrazin höchstselbst hat geschichtspolitisch noch etwas nachgeholfen: Daß Deutschland für das »Dritte Reich« in Haftung genommen wurde, sei doch kein Anlaß, nun für ganz Europa zu haften.

Deutschnationaler Widerspruch gegen die Abgabe von Souveränität an ein europäisches Finanzregime ist nicht motiviert durch Abneigung gegen den Fiskalpakt. Der soll ja gerade andere Länder dazu zwingen, den Gürtel enger zu schnallen, und die müssen dann eben auf ihre Souveränität verzichten. Als Sündenfall gilt vielmehr der Europäische Stabilisierungsmechanismus, weil er die Deutschen noch mehr zum »Zahlmeister Europas« mache. Hinweggetäuscht wird in dieser propagandistisch wirksamen Argumentation über historische Grundzüge der Wirtschaftsbeziehungen in Europa: Der gemeinsame »Markt« und das Euro-Währungssystem verhalfen deutschen Unternehmen und Banken zur gewinnträchtigen Expansion, sie verschafften ihnen die Gelegenheit, andere europäische Länder niederzukonkurrieren. Nachdem dies erreicht ist, bieten sich allerdings unterschiedliche Konzepte für das weitere Vorgehen an: Ein deutsch dominiertes gesamteuropäisches Finanzregime oder Spaltung der Wirtschaftsnationen Europas, ein florierendes Kleineuropa also unter Anführung der Bundesrepublik. Oder gar Auflösung der Euro-Zone, finanzpolitischer Alleingang Deutschlands. Jeweils im Interesse des Kapitals, aber das ist vielgliedrig, Fraktionen gibt es da. Und deshalb in manchen Situationen durchaus kontroverse Strategien. Die Bundeskanzlerin liegt mit ihrem europapolitischen Kurs zweifellos kapitalkonform – aber das heißt nicht, alle deutschen kapitalistischen Interessenten würden sich bei ihr gut aufgehoben fühlen. Manche von ihnen setzen auf eine andere Chance, und so bietet es sich an, das Nationalgefühl in Anspruch zu nehmen, über Souveränitätsverlust zu klagen. Gemeint ist da nicht die Souveränität des Volkes.

Die Linke wird gut daran tun, deutlich zu machen: Ihr Widerspruch gilt dem Finanzeuropa, das hierzulande die Bundesregierung anzielt, assistiert von SPD und Grünen. Er gilt ebenso jener Opposition gegen diese Politik, die auf deutschnationales Ressentiment setzt.