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Der verbrannte Koffer  (Vera Friedländer)

Wie schreibt man über ein Buch, in dem einem die eigene Geschichte begegnet? In Eva Züchners »Der verbrannte Koffer« ist mir alles vertraut: die Straßen, die Adressen, die Ereignisse und schließlich die Namen meiner Verwandten im Deportationszug nach Auschwitz. Ich kenne die antijüdischen Maßnahmen, den Wortgebrauch, die Formulare für die Plünderung des Eigentums der Menschen, die »auf Transport gehen« mußten. Ich erinnere mich genau an jene Zeit. Sie wird in diesem Buch präzise, realitätsgetreu beschrieben.

Ausgangspunkt ist ein Mord im September 1938. Und ein ausgebrannter Koffer, von dem nur der Boden mit den Scharnieren übrig blieb. Der verbrannte Inhalt wird Dokument für Dokument wieder zusammengetragen, soweit dies möglich ist, und zu einer Erzählung über eine Handvoll Menschen verdichtet.

Ein junger Jude wird des Mordes verdächtigt, ist aber nicht der Täter. Seine Geschichte und die seiner Angehörigen wird erzählt, die authentische Geschichte einer jüdischen Familie in Berlin. Darin eingebettet sind viele Informationen über das System der Verfolgung, Vertreibung, Ausbeutung und Vernichtung der Berliner Juden.

Die Brüder Kurt, Walter und Werner Caro und die Menschen, die zu ihnen gehören, sind nur ein Beispiel für alle von den Nazis verfolgten Juden Berlins. Der nächste Tag, das nächste Jahr sind ungewisse Größen: Emigration, Zwangsarbeit, Leben im Untergrund, Gefängniszellen, Konzentrationslager.

Die Caros werden nach den Vorgaben der Nürnberger Gesetze als »Volljuden« bezeichnet. Einer lebt in einer »Mischehe«, die Tochter ist »ein Mischling 1. Grades«. Es gibt Paare, die nicht heiraten können, weil die Familie dann »überwiegend jüdisch« wäre und den Stern tragen müßte. Die ganze unsinnige Kategorisierung von Menschen kommt hier zusammen. Es ist lebenswichtig, ob eine Familie als »privilegiert« eingestuft wird oder nicht, ob jemand ein J auf seine Kennkarte bekommt oder nicht, ob er Zwangsarbeit in Berlin leisten muß oder in ein Lager geschafft wird. Daneben lernt man die Akteure der Verfolgung und der Verhöre, die Herren über Leben und Tod kennen und das perfide Zusammenspiel von Kriminalpolizei, Sicherheitsdienst (SD), Gestapo und der für die »Verwertung« der Hinterlassenschaften der Verschleppten zuständigen Oberfinanzdirektion.
Walter und Werner Caro kommen beruflich aus der von Juden dominierten Konfektionsbranche zwischen Spittelmarkt und Hausvogteiplatz im Zentrum der Stadt. Ihrem Chef gelingt es zu emigrieren, obwohl fast alle Länder ihre Grenzen für Juden gesperrt haben, er muß alles zurücklassen, was er besitzt, sein Betrieb wird arisiert. Die Caros haben keine Möglichkeit, das Land zu verlassen. Sie werden zur Zwangsarbeit geholt, täglich zwölf Stunden, Hungerrationen und ein paar Pfennige Lohn.

Am 27. Februar 1943 beginnt die »Fabrikaktion«, während der die Juden von ihren Arbeitsplätzen und aus den Wohnungen geholt, auf den Straßen aufgegriffen und in Sammellager gebracht werden, den Wartesaal für den Deportationszug. Kurt Caro und seine Tochter Ruth befinden sich in der Rosenstraße. Hier werden sie als »arisch Versippte« aussortiert und nach Tagen entlassen. Die Autorin belegt, daß nicht, wie später oft berichtet, die vor den Sammelstellen demonstrierenden Angehörigen der Verhafteten die Freilassung erwirkten, sondern daß im Eichmann-Referat IV des Reichssicherheitshauptamtes beschlossen worden war, »vorerst« die jüdischen Partner aus »Mischehen« und die »Mischlinge« von der Deportation auszunehmen. Man befürchtete Unruhen unter der nicht-jüdischen Bevölkerung, eben solche Demonstrationen wie in der Rosenstraße und in der Großen Hamburger Straße (wo ich mit meinem Vater wartete, bis meine Mutter das Sammellager verlassen konnte). Von der rettenden Bestimmung wußte niemand etwas.

Walter und Werner Caro werden rechtzeitig gewarnt und entgehen der Verhaftungswelle. Sie tauchen wie viertausend andere unter, leben fortan illegal in der Stadt, mit falschen Papieren, in wechselnden Quartieren. Walter wird denunziert und am 20. April 1944 mit dem 51. Osttransport nach Auschwitz gebracht. (Unter Nummer 1 bis 3 stehen auf der Transportliste mein Onkel Bernhard, seine Frau Erika und die kleine Tochter Gitta.) Walter Caro ist als Nummer 6 verzeichnet. Werner Caro lebt mit falschem Paß und macht lukrative schwarze Geschäfte. Aber von einem Spitzel wird er in eine Falle gelockt, ins Polizeipräsidium am Alexanderplatz, später in das Sammellager Schulstraße gebracht. Er entgeht dem Transport nach Auschwitz, weil man ihn noch für Vernehmungen zu Wirtschaftsverbrechen braucht. Kurt wohnt mit Frau und Kind im »Judenhaus« Schönhauser Allee 62. Die »Zentrale Dienststelle für Juden« (wir nannten sie das Arbeitsamt für Juden) vermittelt ihn zur Zwangsarbeit, er ist Hilfsarbeiter bei wechselnden Firmen.

Als die Überlebenden der Familie Caro nach 1945 Entschädigungen beantragen, stoßen sie auf bürokratischen Widerstand. Es dauert Jahre, bis ihnen kleine Summen bewilligt werden. Die Anträge für »Vermögensschäden« müssen bei der Vermögensverwertungsstelle beim Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg gestellt werden, das ist dieselbe Behörde mit denselben Mitarbeitern, die bis 1945 die Vermögen und alles Verwertbare eingezogen haben.

Alles, was mitgeteilt wird, basiert auf umfangreicher Recherche. Die Ergebnisse sind in den ausgebrannten Koffer gepackt worden, der, prall gefüllt, den Lesern übergeben wird.

Eva Züchner: »Der verbrannte Koffer«, Berlin Verlag, 150 Seiten, 18,90 €