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Titel15+1612

War Goethe hier?  (Lothar Kusche)

»... As nu de Haas baben ankööm, rööp ihm de Swinegel entgegen:
›Ick bün all hier.‹ De Haas aver, ganz unter sick vor Ihwer, schreede:
›Nochmal geloopen, wedder üm!‹– ›Mi nich to schlimm‹,
antwoorde de Swinegel, ›mienetwegen so oft, as du Lust hest.‹
So löp de Haas noch dreeunsöbentigmal .
..« Brüder Grimm

Jena ist eine wunderschöne Stadt. Sie enthält neben dem Saalbahnhof mit der früher so beliebten Mitropa-Gaststätte auch das »Forschungshochhaus, Schillerstraße, neues Wahrzeichen der Stadt, 67 m hoch«, das in die Stadt hineinpaßt wie die Faust aufs Äuge und dem Klaus Möckel in seinem utopischen Roman »Die Einladung« ein ironisches Denkmal, quasi ein Denk-Mal dem Denkmal, gesetzt hat. Vorhanden ist, neben vielem anderen, auf dem Markt auch das »Standbild des Gründers der Jenaer Universität, Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige, 1858 errichtet«, ferner das akademische Zentralinstitut für Mikrobiologie, Schabenforschung und experimentelle Therapie, Ernst Haeckels Wohnhaus und vieles andere.

Apropos Welträtsel. Der Text auf der Rückseite des Stadtplans verrät: »... Schiller wohnte von 1789 bis 1799 in Jena. Goethe weilte oft in der Stadt.«

Ein Freund hat mal berichtet: »... Sie müssen nämlich wissen, daß in England auf die Frage: ›Was ist denn das für ein Hotel?‹ kaum einer antworten wird: ›Komfortable Bäder, wundervolle Zimmer, beste Ausstattung und so weiter.‹ Tradition ist alles, und so hört man: ›Im ersten Stock hat Charles Dickens gewohnt, als er hier war.‹ Dem Seilmechanismus nach zu urteilen, mit dem die Schiebefenster, falls man Glück hat, sich bewegen lassen, ist das Hotel aber schon lange vor Dickens’ Zeiten erbaut worden. Übrigens hat Dickens in all diesen alten englischen Hotels schon einmal gewohnt, es ist ganz erstaunlich. Mir kam es beinahe so vor, als habe Dickens zeitlebens überhaupt nur in Hotels gewohnt – und gelegentlich sogar in mehreren gleichzeitig.«

Was Jena betrifft; so ist Goethe derjenige, welcher. »Anatomieturm, Schillerstraße. Erhaltener Mauerstumpf des südwestlichen Eckturms der Stadtbefestigung. Goethe entdeckte hier 1784 den Zwischenkieferknochen des Menschen.« Man fragt sich natürlich, wer wohl den Zwischenkieferknochen des Menschen im südwestlichen Eckturm der Stadtbefestigung deponiert haben könnte, auf daß Goethe ihn entdecke, aber das verrät der Führer nicht; er verweist uns nur auf eine weitere Attraktion:

»Botanischer Garten. Goetheallee – Bibliotheksplatz mit Goethegedenkstätte im ehemaligen Inspektorhaus, das 1825 an Stelle eines älteren errichtet wurde, in dem Goethe oft weilte.« Der kausale Zusammenhang mag den Nachgeborenen unklar sein: Mußte das ehemalige Inspektorhaus, nachdem Goethe oft in diesem weilte, »neu renoviert« werden?

Wie dem auch sein mag, wir begeben uns nunmehr zum »Optischen Museum« im Griesbachgarten. »Das Gebäude wurde 1784 als Sommerhaus des Prof. Griesbach errichtet.« Doch viel Sommerruhe scheint dem Professor Griesbach nicht vergönnt gewesen zu sein, denn »Goethe war häufiger Gast des Hauses.« Das »Frommannsche Haus«, das natürlich in der Goetheallee gelegen ist und das wir nach einem Abstecher zur barocken Friedenskirche erreichen, die sich, selbstverständlich, in der Goethestraße befindet, »war im Besitz des Verlagsbuchhändlers Frommann, bei dem sich bedeutende Persönlichkeiten der Goethezeit trafen«, Goethe sicher auch, als bedeutende Persönlichkeit seiner Zeit. »In der aus dem 15. Jahrhundert stammenden Schillerkirche wurden am 22. Februar 1790 Friedrich Schiller und Charlotte von Lengefeld getraut.« Und Goethe war nicht anwesend? Man eilte verwirrt in das behagliche Hotel »Schwarzer Bär«, Lutherplatz 2 und fragte an der Rezeption: »War Goethe hier?« Der Empfangschef blätterte einige Sekunden lang in seinen Notizen: »Goethe? Sie sind mit ihm verabredet? Er wird sicher gleich kommen.«