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Titel15+1612

Aufgeblasen  (Reiner Diederich)

Ist das Kunst? Das fragen sich viele Besucher der diesjährigen Documenta, wenn sie vor dem Schrotthaufen hinter dem Nordflügel des Kasseler »Kulturbahnhofs« stehen. Für ihn kann ja nicht einmal das leicht zynische Kriterium gelten: Kunst ist, was sich im Museum befindet. Denn er liegt einfach so da, in aller Öffentlichkeit, neben der Straße, als handele es sich um einen gewöhnlichen Schrotthaufen. Immerhin ist er durch eine weiße Linie abgegrenzt, die man nicht überschreiten soll. Anzeichen einer bewußten Gestaltung sind zu erkennen. Eine Tafel mit dem Namen der Künstlerin gibt es auch.

Kunst oder Schrott? Oder Schrottkunst? Fragt man Besucher, kommen sie auf Ideen. Diese Installation sei ein Hinweis auf die Vergänglichkeit aller Dinge – memento mori. Oder, historisch konkreter: auf die Vergänglichkeit unserer kapitalistischen Warenwelt. Zu sehen sei auch, wie Formen ihre Funktion verlieren. Plötzlich entdeckt einer ein Kanonenrohr. Es scheint von einem Panzer zu stammen. Assoziationen an die Waffenproduktion in Kassel liegen nahe und werden ausgesprochen: Henschel, Krauss-Maffei Wegmann. Der Haufen Schrott erinnert nun an Krieg und Zerstörung, auch an gegenwärtige Kriege, an denen deutsche Truppen beteiligt sind. Er ist in den Augen einzelner Betrachter zu einem symbolischen Gebilde mit aktueller Bedeutung geworden. Zu Kunst eben, die für die Zeit der Documenta Bestand hat.

Ganz anders die parallel zur Documenta laufende Ausstellung des US-amerikanischen Starkünstlers Jeff Koons in gleich zwei Museen in Frankfurt am Main. Seine Plastiken aus bunt glänzendem Metall sind wie für die Ewigkeit geschaffen. Kein Stäubchen ist auf ihrer Oberfläche zu sehen, zu schweigen von einem Rostfleck oder auch nur einer Schweißnaht. An Schrott zu denken wäre hier geradezu blasphemisch. Man sieht höchste handwerkliche Präzision und Perfektion. Wertarbeit aus einer hessischen Werkstatt nach den Entwürfen des Künstlers. Jeff Koons erzielt im Moment schwindelerregende Preise auf dem globalisierten Kunstmarkt und, synchron dazu, als wäre dies schon ein Ausweis von Qualität, wird er in den meisten Feuilletons gepriesen, nachdem er früher dort eher als Kitschproduzent galt. An den Frankfurter Litfaßsäulen hängen überdimensionale Plakate mit einer Nippes-Figur aus Porzellan, die Michael Jackson zusammen mit einem Affen darstellt, beide in goldenen Gewändern. Die Parole dazu klingt wie aus einem schlechten Werbefilm: Must see! – das müssen Sie unbedingt gesehen haben.

Koons ist wie sein Kollege und Freund Damien Hirst ein Meister der (Selbst-) Inszenierung. Wie Hirst liebt er das Blow up, die großen Formate, die aufgepumpten Figuren, die wunderbar zur zeitgenössischen Blasen-Ökonomie passen, ja deren kongenialer Ausdruck sind. Sie werden gekauft und wieder verkauft wie hochspekulative Wertpapiere – gewissermaßen als Kunst-Derivate. Damit die Spekulation aufgeht, müssen die Werke von Hirst und Koons (und die anderer zeitgenössischer Kunstmarktkünstler) in seriösen Häusern durch Ausstellungen geadelt werden. Der um sie veranstaltete Hype treibt die Besucherzahlen in die Höhe, das macht Kasse und bringt Sponsoren.

Kuratoren und Kunstwissenschaftler müssen die Bedeutung dieser Werke beschwören, ihnen tieferen Sinn zuschreiben, auch wenn es sich, wie bei Koons, um den hypertrophen Nachbau von auf Jahrmärkten an Kinder verkauften Hündchen handelt, die mit wenigen Handgriffen aus Luftballons gefertigt werden. Bei Koons sind sie zu erhabenen Standbildern mutiert, die in der Sonne glitzern wie Weihnachtsbaumkugeln. Selten gab es eine Kunst, die so eingängig ist, so glatt, schmerzlos und widerspruchsfrei zu konsumieren. Selbst wenn man einen Funken Ironie unterstellt, ist es nicht mehr als ein Augenzwinkern, das Einverständnis mit den Verhältnissen signalisiert, wie sie nun einmal sind.

Die Millionäre und Milliardäre, die diese Kunst sammeln und dafür sorgen, daß sie überall ausgestellt wird, können dreifach zufrieden sein. Sie haben ihr Geld im Augenblick wertbeständig oder sogar wertsteigernd untergebracht, sie können sich an Werken erfreuen, die ihnen keine kritischen Fragen stellen, und sie haben das beruhigende Gefühl, daß das gemeine Volk und die gekauften Intellektuellen eine magentafarben schillernde »Balloon Venus« und all die anderen aufgeblasenen Sachen von Jeff Koons anstaunen wie antike Idole, also nicht auf dumme Gedanken kommen. Bis das Kind aus dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern erscheint und sagt: Das sind doch nur schöne Luftballons.