Der ungesagte »Schlüsselsatz«
Unentwegt wurde in deutschen Medien auf eine »Kernausage« des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinejad hingewiesen, die er im Herbst 2005 in einer Rede über den Zionismus getroffen habe. Zitiert wurde der Mann so: »Israel muß von der Landkarte getilgt werden.« Gelegentlich las man auch »radiert«. Jedenfalls blieb kein Zweifel, daß er dem Staate Israel die »Auslöschung« angedroht habe. Wer denkt da nicht an die Atomwaffe, die der Iran angeblich in Vorbereitung hat. Und wer mag dann noch daran zweifeln, daß ein »Präventivschlag« das einzige Mittel sei, Israels Existenz zu retten?
Die aus dem Iran stammende Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur, keine Parteigängerin des iranischen Präsidenten, hat im März dieses Jahres in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung den »Schlüsselsatz« korrekt übersetzt. Auf Jerusalem Bezug nehmend sagte Ajmadinejad: »Dieses Besatzungsregime muß Geschichte werden.« Von einer Landkarte oder vom Ausradieren war keine Rede.
Beharrliche Interventionen der Redakteure des Internet-Forums Arbeiterfotografie haben dazu geführt, daß etliche deutsche Medien und Nachrichtendienste, darunter ZDF und dpa, mehr oder weniger gewunden zugeben mußten, den iranischen Staatspräsidenten falsch zitiert zu haben. Wie aber mögen sie zu der falschen Berichterstattung gekommen sein? An den bescheidenen Kosten, die durch Heranziehen eines Kenners der Landessprache entstanden wären, wird es wohl nicht gelegen haben. Der Satz, der gar nicht gesagt war, paßte eben ins propagandistische Bild.
An »dummen und rassistischen Äußerungen« Ahmadinejads mangele es nicht, schrieb Katajun Amirpur; es müsse aber »journalistische Redlichkeit« walten, damit nicht aus Fehlmeldungen falsche politische Entscheidungen hervorgehen. Der Blick in die Geschichte zeigt, daß journalistische Unredlichkeit höchst erfolgreich sein kann bei der psychologischen Kriegsvorbereitung.
Peter Söhren
Absage
Überraschenderweise, so meldete die Nachrichtenagenur
dpa beim Obama-Event in Deutschland, habe der Präsidentschaftsbewerber einen zunächst vor-gesehenen Besuch im US-Militärlazarett Landstuhl (Rheinland-Pfalz) abgesagt. Die Gründe dafür, sagte die Sprecherin dieses Krankenhauses, seien »unbekannt«. Richtig wäre gewesen: »nicht genannt«. Denn sie liegen auf der Hand: Landstuhl ist das größte US-Militärlazarett außerhalb der Vereinigen Staaten. Zigtausende von in Afghanistan und im Irak verwundeten US-Soldaten wurden seit 2001 dort zwischenbehandelt; der Militärflugplatz Ramstein liegt in der Nähe. Einer von Obamas »Public-relations«-Mitarbeitern wird einen Besuch dort versehentlich in den Terminkalender eingetragen haben. Der Fehler wurde korrigiert. Weshalb sollte sich ein »Friedenskandidat«, der mehr Truppen losschicken will (auch deutsche), beim Deutschlandbesuch im Kreise von Kriegsopfern abbilden lassen?
P. S.
Glos als Entdecker
Im Hochsicherheitsverfahren hat der deutsche Bundeswirtschaftsminister dem Irak einen Besuch abgestattet. Beim ziemlich hastigen Aufenthalt dort war immerhin Zeit genug, um eine Entdeckung zu machen, die Michael Glos denn auch freudig erregt über die Springer-Presse in die Öffentlichkeit brachte: Im Irak gibt es riesige Ölvorräte! Andere Wirtschaftspolitiker wußten das allerdings schon vor 1914 und dann bei der Aufteilung von Beute nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Auf schmerzliche Weise wurde der externe Blick auf diese Vorräte geschärft, als die Iraker sie in eigene Verfügung nahmen, und so kam es zu den Kriegen gegen den »moslemischen Diktator«. Spitzenleute der US-amerikani-schen Ölindustrie entwarfen das politische Design für den militärischen Zu-griff und betreuten jenen Vorgang, den die Politologen so nett »regimechange« nennen – allerdings mit schlechten Ergebnissen. Auch die US-Amerikaner selbst leiden unter den Kosten.
Aber es gibt Gewinner. Neben den Unternehmen, die Waffen herstellen oder Dienstleistungen für Besetzung und Besatzung verkaufen, finden wir bei den glücklichen Profiteuren die altbekannten Konzerne: Exxon Mobil, Shell, BP und einige andere; das irakische Ölministerium unter US-amerikanischer Aufsicht hat ihnen die zeitweilig verlorenen Rechte am Ölgeschäft wieder zuerkannt.
Insofern war der Krieg gegen den »Weltfeind« Saddam Hussein erfolgreich. Und Glos kam ein bißchen spät.
Arno Klönne
Unsere Art zu leben
Im Mai 2008 befanden sich nach Angaben des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr rund 8000 SoldatInnen weltweit im Einsatz: im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, in Georgien, in Afghanistan, in Usbekistan, im Libanon, am Horn von Afrika/Dschibuti, in Äthiopien, Eritrea, im Sudan und in Sudan-Darfur. Zwischen 1992 und 2007 waren insgesamt schon etwa 200.000 SoldatInnen im Auslandseinsatz gewesen. Bis Ende des Jahres 2007 wurden 69 SoldatInnen der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen getötet, davon 44 durch Fremdeinwirkung, mehr als 9000 wurden verwundet.
Ein Schwerpunkt der deutschen Auslandsmissionen befindet sich im Mittleren Osten, wo zwei Drittel der Welterdölreserven lagern.
1992 hatte der Bundesminister der Verteidigung die »Verteidigungspolitischen Richtlinien« erlassen, in denen es heißt: »... Dabei läßt sich die deutsche Politik von vitalen Sicherheitsinteressen leiten: ... Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung«.
Das »Weißbuch 2006« des Bundesministeriums der Verteidigung greift diesen Gedanken erneut auf: »Deutschland, dessen wirtschaftlicher Wohlstand vom Zugang zu Rohstoffen, Waren und Ideen abhängt, hat ein elementares Interesse an einem friedlichen Wettbewerb der Gedanken, an einem offenen Welthandelssystem und freien Transportwegen«.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, formulierte den Paradigmenwechsel von der Verteidigung zum weltweiten Einsatz folgendermaßen: »Einsatz in der Verteidigung, aufgezwungen durch einen im Grunde bekannten Gegner, in vertrauter Umgebung, in großen geschlossenen Verbänden war lange unser konzeptioneller Dreh- und Angelpunkt. Nun ist es die souveräne aktive politische Entscheidung zum Einsatz militärischer Macht im Konzept weltweiter Sicherheitsvorsorge.« (»Einflüsse des neugewichteten Aufgabenspektrums auf die Führungskultur der Bundeswehr«, Abschlußrede auf der 41. Kommandeurtagung der Bundeswehr, 11. März 2008)
Der Generalinspekteur betont: »Unsere Soldaten verstehen die politischen und kulturellen Zusammenhänge vor Ort und begegnen den Menschen mit Respekt und Verständnis.« (»Soldat im Zeitalter der Globalisierung« in:
Europäische Sicherheit 2/2007) Diese Aussage steht in Widerspruch zu Presseberichten zum Beispiel mit Fotos deutscher Soldaten in Afghanistan, die diese beim Hantieren mit Schädeln von toten Afghanen zeigen. Der ehemalige Fallschirmjäger Achim Wohlgethan schreibt: »Ich wurde nun Augenzeuge, wie ISAF-Soldaten sehr unkonventionell testeten, ob das Gelände an dieser Stelle vermint war – und zwar mit Äpfeln! Dazu winkten die Soldaten die vielen Kinder heran, die auf dem Schießplatz leere Messinghülsen sammelten, weil diese bares Geld wert waren. Dann griffen die Soldaten hinter sich in eine Kiste mit Äpfeln, hielten sie den Kindern vor die Nase und schmissen sie ins Gelände. Dann warteten sie ab, was passierte. Wenn die Kinder losliefen und es keinen Knall gab, wurde dieses Feld als geklärt und unvermint betrachtet«. (Achim Wohlgethan: »Endstation Kabul«, Berlin 2008)
Die Kosten des Afghanistan-Krieges für die NATO-Staaten betrugen schon in den Jahren 2002 bis 2006 rund 82 Milliarden US-Dollar für Militär, circa 7 Milliarden US-Dollar für Entwicklungshilfe, circa 433 Millionen US-Dollar für Gesundheit und Ernährung. Das Bruttoinlandsprodukt in Afghanistan liegt pro Kopf und pro Jahr bei 355 US-Dollar. In der Armutsstatistik der UNO rutschte Afghanistan in den letzten Jahren noch einen Platz nach unten: von Platz 173 im Jahre 2004 auf Platz 174 (von 178 Ländern) im Jahre 2007. Stark zugenommen hat aber seit Kriegsbeginn nach Angaben der UN-Antidrogenbehörde die Opium-Produktion in Afghanistan: von etwa 200 Tonnen im Jahre 2001 auf circa 8.200 Tonnen im Jahre 2007 (rund 93 Prozent der Weltproduktion). Es wächst die Gewalt im Lande (darunter auch die Zahl der Selbstmordattentate). Und die Zahl der Todesopfer der Militäreinsätze reicht längst weit in die Zigtausende.
»Wir verteidigen unsere Art zu leben – und das ist unser gutes Recht«, sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Rechtfertigung des Afghanistan-Krieges am 16.10.2001. Solange 20 Prozent der Menschheit 80 Prozent der Rohstoffe verbrauchen und diese Art zu leben – auch in Deutschland – die Lebenschancen eines großen Teiles der Menschheit in anderen Kontinenten einschränkt und verhindert, ist dem Bundeskanzler zu widersprechen. Der »Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen« hat eine Reihe von zukünftigen Konfliktherden benannt, die die Sicherheit von Menschen weltweit gefährden: Dazu zählen die Verschlechterung der Trinkwasserqualität, die Zunahme von Sturm- und Flutkatastrophen, der klimabedingte Rückgang der Nahrungsmittelproduktion und die umweltbedingte Migration von Millionen von Flüchtlingen. Diese Herausforderungen sind so gewaltig, daß sie eines großen menschlichen und finanziellen weltweiten zivilen Einsatzes bedürfen – mit dem Ziel des gemeinsamen Überlebens der Menschheit.
Clemens Ronnefeldt
Der Autor ist Referent für Friedensfragen beim Internationalen Versöhnungsbund – Deutscher Zweig
Viel Wunder, viel Gold
Die engen Beziehungen zwischen Judentum, Christentum und Islam sichtbar zu machen, haben sich Saddek und Sabine Kebir zur Aufgabe gemacht. In ihrem neuen Buch – für Kinder, Jugendliche, Eltern und Erzieher bestimmt – lassen sie eine muslimische Oma die Geschichte von Maria und Jesus erzählen, wobei sie sich auf einschlägige Suren des Koran beziehen. Je freier sie fabulieren, desto schöner wird’s. Wir erfahren, wie Maria schwanger wird: durch einen Hauch des Engels Gabriel. Gott und seine Propheten tun viele Wunder, und auf den Bildern von Konrad Golz schimmert viel Gold.
Zu lernen ist daraus: Judentum, Christentum und Islam haben vieles gemeinsam, fast alles, und islamische Omas können die schönen Geschichten, mit denen wir aufgewachsen sind, zauberhaft weitererzählen. Wie töricht wäre es, aus einzelnen Differenzen Dogmen zu machen und sich deswegen zu prügeln.
E.S.
Saddek und Sabine Kebir: »Maria und Jesus im Islam«, Peoples Globalization Edition, 32 Seiten, 16 €
Gottlos glücklich
Das Bundesfamilienministerium wollte das Buch von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indizieren lassen. Auch eine gute Freundin, Theologin, warnte mich: Vor allem das Judentum sei unkorrekt dargestellt. Mag sein. Aber antisemitisch, wie das Ministerium behauptete, ist dieses Kinderbuch gewiß nicht; und die jüdische Religion kommt weder schlechter noch besser weg als die christliche und der Islam.
»Wer Gott nicht kennt, dem fehlt etwas«, lesen ein Ferkel und ein kleiner Igel auf einem Plakat, wundern sich und machen sich sogleich auf die Suche nach dem, was ihnen angeblich fehlt. Ein Rabbi, ein Bischof und ein Mufti – selbstverständlich streng getrennt – bieten ihnen an, sie zu Gott zu führen. Aber was die beiden hellwachen Tierchen dann von ihnen über Gott zu hören bekommen, erschreckt sie und schreckt sie ab. Denn der Gott jeder der drei Religionsgemeinschaften fordert Glauben und Gehorsam und droht den Ungläubigen, Ungehorsamen mit schlimmen Strafen. Systematische Angstmache. Am Ende streiten sich die drei Gottesmänner folgerichtig, wessen Hölle die allerschlimmste ist. Zu Gott finden Schweinchen und Igelchen jedenfalls weder in der Synagoge noch in der Kirche noch in der Moschee, und sie beschließen, so vergnügt wie vor ihrer Expedition weiterzuleben – ohne den eifersüchtigen, herrschsüchtigen, kontrollierenden, zürnenden, züchtigenden, Opfer verlangenden Gott, dem sie sich unterwerfen sollten, ohne ihn kennengelernt zu haben. Ihr Fazit: »Der Gottesglaube auf dem Globus / Ist fauler Zauber: Hokuspokus.« Und das sollte risikolos gesagt, geschrieben, gedruckt und verbreitet werden dürfen – nachdem seit Jahrhunderten immer wieder Kriege gegen Un- oder Andersgläubige geführt worden ist.
Frisch, frech, fröhlich, frei wie die Verse sind die Bilder dieses Buches, das man als Beitrag zur Friedenserziehung niemandem früh genug schenken kann. Am besten gefällt mir das Schlußbild: lauter nackte Menschen, Gleiche unter Gleichen, und anscheinend ist auch den drei Gottesmännern die Rückkehr ins Paradies gelungen – obwohl sie noch immer ängstlich-krampfhaft mit beiden Händen ihre Lustglieder verstecken.
Eckart Spoo
Helge Nyncke / Michael Schmidt-Salomon: »Wo bitte geht’s zu Gott, fragte das kleine Ferkel«, Alibri Verlag, 36 Seiten, 12 €