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Titel152013

Dem Krieg Kredit geben?  (Arno Klönne)

Bis zum Ersten Weltkrieg war die deutsche Arbeiterbewegung parteipolitisch nicht gespalten. Dann kam 1914 eine Entscheidung, die »umstritten« war, wie Sigmar Gabriel es im Mai dieses Jahres beim Parteijubiläum der SPD ausdrückte. Sie war das Ende einer sozialdemokratischen Erfolgsgeschichte.

Die deutsche Sozialdemokratie im Jahre 1913: Einen historisch einzigartigen Aufstieg hat die Partei geschafft, das unterdrückerische »Sozialistengesetz« des deutschen Obrigkeitsstaates ist wirkungslos geblieben. Die Partei hat über eine Million Mitglieder, an die 4,3 Millionen Wähler (Frauen sind noch ohne Wahlrecht), mit 35 Prozent der Stimmen bei der Reichstagswahl 1912 ist sie mit Abstand die stärkste parteipolitische Kraft. Sie verfügt über eine Fülle von Bildungseinrichtungen und eigenen Medien, darunter 80 Tageszeitungen. Mit der Partei verbindet sich ein Netzwerk von Kultur- und Sportverbänden, auch von Jugendvereinen, Hunderttausende sind hier organisiert. Das alles existiert ohne Subventionen aus »öffentlicher Hand«, aus eigener finanzieller Kraft, im ständigen Konflikt mit staatlichen Gesetzen und behördlichen Schikanen. Der Partei politisch verbunden sind die Freien Gewerkschaften und Genossenschaften, auch sie mit Millionen von Mitgliedern. Ein »Gegenstaat« sei da herangewachsen, so sehen es Bewunderer oder auch Feinde der Arbeiterbewegung. Die deutsche Sozialdemokratie ist die organisatorisch erfolgreichste Mitgliedspartei der Sozialistischen Internationale. Das feudal-kapitalistische Wilhelminische Kaiserreich, so scheint es, ist bald reif für eine Wende hin zu Demokratie und Sozialismus ...

Und im Programm der deutschen Sozialdemokratie, 1891 in Erfurt beschlossen, heißt es: »Die Interessen der Arbeiterklasse sind in allen Ländern mit kapitalistischer Produktionsweise die gleichen. Mit der Ausdehnung des Weltverkehrs und der Produktion für den Weltmarkt wird die Lage der Arbeiter eines jeden Landes immer abhängiger von der Lage der Arbeiter in anderen Ländern. Die Befreiung der Arbeiterklasse ist also ein Werk, an dem die Arbeiter aller Kulturländer gleichmäßig beteiligt sind. In dieser Erkenntnis fühlt und erklärt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sich eins mit den klassenbewußten Arbeitern aller übrigen Länder.«

Ein Jahr später, Sommer 1914: Die Machteliten in den »Kulturländern« Europas spitzen die geopolitische und wirtschaftliche Konkurrenz aggressiv zu, der Parteivorstand der deutschen Sozialdemokratie erklärt am 25. Juli: »Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die Euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen Euch als Kanonenfutter mißbrauchen. Überall muß den Machthabern in die Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Krieg! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!« Die Sozialdemokraten werden aufgefordert, »in Massenversammlungen den unerschütterlichen Friedenswillen des klassenbewußten Proletariats zum Ausdruck zu bringen«, und Hunderttausende folgen diesem Aufruf. Am 4. August aber gibt die sozialdemokratische Fraktion im Deutschen Reichstag ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten. Sie begründet dies so: »Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges ... Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel ... Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich.« Bald darauf leistet der sozialdemokratische Dichter Karl Bröger einen dann berühmt gewordenen lyrischen Wehrbeitrag: »Immer schon haben wir eine Liebe zu dir gekannt, bloß haben wir sie nie bei ihrem Namen genannt. Herrlich zeigte es aber deine größte Gefahr, daß dein ärmster Sohn auch dein treuester war. Denk es, o Deutschland.«

Die Bewilligung des »Verteidigungs«-Etats war der Beginn des »Burgfriedens«, den die Führung der deutschen Sozialdemokratie mit den Machteliten schloß, die sie bis dahin als Klassengegner der Arbeiterbewegung gekennzeichnet hatte, mit den kaiserlichen Staatspolitikern, den hohen Militärs und den Großindustriellen. Die Vorstände der Gewerkschaften drängten dahin, für die Dauer des Krieges durch Kooperation mit den Unternehmern die »Heimatfront« zur Geschlossenheit zu bringen. Lohnkämpfe und Streiks sollten unterbleiben, dafür gewerkschaftliche Vertreter in die Administration der »Wehr«-Wirtschaft einbezogen werden. Das »Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst« (1916) führte Arbeitszwang ein und beteiligte Abgesandte der Gewerkschaften an dessen betrieblicher Umsetzung. Kapital und Arbeit sollten nun verbündet für den militärischen Erfolg des Deutschen Reiches wirken.

Das Bekenntnis der Führungen von sozialdemokratischer Partei und Freien Gewerkschaften zum »Burgfrieden« hatte zwei epochale Folgen: Erstens stellte es eine Bedingung her für das Funktionieren der deutschen Kriegsmaschinerie über vier Jahre hin, für die erste »totale Mobilmachung« in der Weltgeschichte, damit für ein »Menschenschlachthaus« (Wilhelm Lamszus) in der Moderne. Zweitens war damit eine Lage geschaffen, in der die historisch nachhaltige politische Spaltung der Arbeiterbewegung zwangsläufig wurde, die Trennung in eine sozialdemokratische und eine kommunistische Linie in der Geschichte der Linken. Die Entwicklung in Deutschland ab 1914 war ausschlaggebend auch für die Entzweiung im internationalen Feld der Arbeiterbewegung, und die Revolution 1917 im Zarenreich nahm ihren Weg unter den historischen Voraussetzungen, die der »Burgfrieden« im Deutschen Reich geschaffen hatte. Zugleich bekam durch die Spaltung und innere Verfeindung der Arbeiterbewegung wenig später der Faschismus in Deutschland die Chance, sich durchzusetzen und den Zweiten Weltkrieg zu entfesseln. »Es begann 1914« wäre die zutreffende Überschrift für ein Kapitel über die Katastrophen der deutschen Zeitgeschichte bis 1945.
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Günter Krone Antiavanti

Die Brüsseler Kommission hat sich das Ziel gesteckt,
daß jeder Mensch vom Rauchen Abstand nimmt,
und dazu Werbung, die ihn auf den Tod erschreckt,
für jedes Tabakfabrikat bestimmt.

Da werden Zigarettenschachteln so bebildert,
daß man vom Nikotin zerfreßne Lungen sieht.
Mit bunten Krebsgeschwüren wird geschildert,
was jedem, der am Rauchen festhält, blüht.

So rettet man die Raucher vorm Desaster.
Man sollte die Methode hinterfragen
und auf ein andres zeitgemäßes Laster,
das Kriegeführen, übertragen.

So könnte man die Lust am Krieg mit all den Schrecken,
von Blut und Tränen, Mord und Sterben,
durch Ausstellung von ein paar Leichensäcken
vor dem Kasernentor vielleicht verderben.

Man könnte Särge im Kasernenhof drapieren,
wozu beschwingte Marschmusik erklingt,
so daß Soldaten, die vorbeimarschieren,
klar wird, was ihr Gewerbe mit sich bringt.

Man könnte Fotos mit zerfetzten Stücken
von Leichen an die Wände kleben
und die Kantine mit Prothesen schmücken,
um darzutun, wie Amputierte leben.

Das wird nicht einfach sein. Geostrategen
benötigen den Schrecken und das Leid
von Kriegseinsätzen nämlich wegen
Demokratie und Öl und Menschlichkeit.
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Der Kredit, den im August 1914 die sozialdemokratischen und freigewerkschaftlichen Vorstände dem Krieg gaben, rief schon bald Opposition in der Arbeiterbewegung hervor, von der Reichstagsfraktion der Partei bis zur Basis der Gewerkschaften. Als erster Parlamentsabgeordneter verweigerte sich Karl Liebknecht den weiteren Finanzzusagen für die Kriegsführung, er blieb nicht der einzige Abweichler in der Fraktion. Ab 1916 entwickelte sich in den Betrieben und in der Arbeiterbevölkerung ein Massenprotest gegen die Fortsetzung des menschenvernichtenden militärischen Treibens und gegen den Staat, der es immer brutaler organisierte.

In der Auseinandersetzung mit der »Mehrheits«-Sozialdemokratie entstand 1917 die »Unabhängige Sozialdemokratische Partei« (USPD). Die »Spartacus«-Gruppe und andere linke Organisationen wirkten für den Bruch mit dem staatlichen System, das immer mehr den Charakter einer Militärdiktatur angenommen hatte. Im November 1918 war es zu Ende mit dem deutschen Obrigkeitsstaat und dem Krieg, die militärische Niederlage ließ sich nicht mehr verhüllen, und in der deutschen Gesellschaft selbst war die revolutionäre Bewegung nicht mehr zu unterdrücken. Die »Mehrheits«-Sozialdemokratie stellte sich um auf eine Politik des Friedensschlusses und der Parlamentarisierung des politischen Systems, der »Burgfrieden« hatte den Sieg nicht erbracht. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in der deutschen Republik, die nun gegründet wurde, entsprachen nicht den Hoffnungen, die mit der Revolution verbunden waren. Die neu gegründete Kommunistische Partei Deutschlands erhielt durch den Zustrom aus der USPD Massencharakter. Die Zeit einer »Einheits«-Sozialdemokratie war abgelaufen. Die Entscheidungssituation 1914, die Parteinahme für oder gegen den Krieg hatte, personalisierend gesagt, geschichtlich klärend gezeigt: Rosa Luxemburg und Gustav Noske in einer Partei – das konnte nicht halten, nicht auf Dauer.

Unsinnig wäre es freilich, die Zustimmung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion 1914 dem persönlichen »Verrat« von Partei- und Gewerkschaftsführern zuzuschreiben. Die nationalmilitärische Folgebereitschaft in Teilen der Sozialdemokratie hatte durchaus systematische Gründe, in der Ideenwelt nicht nur von Partei- und Gewerkschaftsvorständlern.

Die großangelegte »vaterländische Wehrerziehung« im deutschen Nationalstaat, der 1871 durch den Krieg und Sieg gegen Frankreich, durch »Blut und Eisen« entstanden war, hatte Einfluß auf das Bewußtsein auch von Teilen der Arbeiterbevölkerung gewonnen. Der industrielle und weltwirtschaftliche Aufstieg des Wilhelminischen Reiches, so glaubten es viele, habe den Neid und aggressive Absichten anderer Nationen hervorgerufen, gegen die ein friedfertiges Deutschland sich verteidigen müsse. Speziell in der Sozialdemokratie verbanden sich solcherart »patriotische« Gefühle mit der Vorstellung, eine kriegerische Auseinandersetzung mit dem zaristischen Rußland als »Ausgeburt des Reaktionären« sei allemal gerechtfertigt. Diese Mentalität war für einen Mann wie Karl Bröger prägend, und sie stellte ihm und den vielen anderen Verfechtern der »Vaterlandstreue« das Publikum bereit.

Der organisatorische Erfolg der deutschen Sozialdemokratie seit Ende des »Sozialistengesetzes« hatte eine Kehrseite: Nicht wenige der zahlreichen Funktionäre in Partei und Gewerkschaften, gerade auch der hauptamtlichen, hatten sich angewöhnt, ihre Organisation und deren ungestörtes Funktionieren als Selbstzweck zu empfinden. Widerständige Aktivitäten und spontaner Protest erschienen ihnen als politische Verhaltensweisen, die da nur Probleme bereiten, den geregelten Umgang mit den Behörden destruieren und gerade in Kriegszeiten die Obrigkeiten unnötigerweise provozieren würden. »Sozialpartnerschaft an der Heimatfront« hingegen, so ihre Einschätzung, werde den Organisationen der Arbeiterbewegung Vorteile bringen, Anerkennung bei Staat und Industrie, Beteiligungsrechte in der wirtschaftlichen und sozialen Administration. Es fehlte nicht an publizistischen Überhöhungen dieses Kalküls: Die planerischen Strukturen der Militärökonomie wurden von manchen sozialdemokratischen Intellektuellen als »Kriegssozialismus« gefeiert, als »deutscher Weg zum kollektiv verantworteten Wirtschaftsleben«.

Zum »Burgfrieden für den Krieg« motivierte vor allem das Standortprinzip, das heißt die offen geäußerte oder verdeckte Auffassung, in der Konkurrenz der Nationen um den »Platz an der Sonne« im Weltmarkt, notfalls auch kriegerisch auszutragen, stimme das Interesse der Arbeiterklasse eines Landes mit dem der heimischen Kapitalistenklasse überein. »Es wäre falsch, wenn man meinte, der gegenwärtige Krieg sei eine Sache, die nur die besitzenden Klassen angehe ... Es kann dem deutschen Proletarier nicht gleichgültig sein, welchen Ausgang dieser Kampf nimmt, ob er für Deutschland günstig oder ungünstig verläuft« – so stand es 1916 in der Zeitung der Metallarbeitergewerkschaft zu lesen, und dieser Standpunkt war nicht randständig.

Sieht man genau hin und bedenkt dabei die historisch veränderten Rahmenbedingungen, so lassen sich zwei dieser Motive in aktuellen Versionen wiederfinden, im sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Diskurs in der Bundesrepublik heute, in den Stellungnahmen oder Verhaltensweisen zur »Verteidigungs«-Politik und zur Rüstungswirtschaft der Bundesrepublik. Die »Enttabuisierung des Militärischen« ist ein langlebiger Bestandteil der SPD-Geschichte, nicht erst Gerhard Schröder war ihr Betreiber.

Was sie vor 1914 war, wird die deutsche Sozialdemokratie nie wieder werden; manches in der Geschichte läßt sich nicht revidieren. Und die Folgen, die der damalige Kriegskredit hatte, lassen sich nicht aus dem weltgeschichtlichen Prozeß wegreden.