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Titel1515

Hausverbot für Gerhard Zwerenz  (Eckart Spoo)

Gerhard Zwerenz hat nicht nur mehr als hundert Bücher hinterlassen, sondern auch ein großes Werk im Internet. In seinen letzten Lebensjahren trug er dort auf Poetenladen.de Erinnerungen an viele Menschen zusammen, denen er im Laufe seines langen Lebens begegnet war. Als ich ihm im Juni zum 90. Geburtstag gratulierte, erwähnte ich einige seiner Bücher, die ich mit Genuss und Gewinn gelesen hatte. Den Poetenladen erwähnte ich nicht, weil ich ihn noch nicht kannte. Seit einigen Tagen wühle ich nun in dieser Fundgrube – entzückt von seinen feinen Beobachtungen und seiner kraftvollen Sprache. Besonders aufmerksam lese ich natürlich, was er über gemeinsame Bekannte schreibt, zum Beispiel über Karl Gerold.


Der Verleger, Herausgeber und Chefredakteur der Frankfurter Rundschau hatte mich 1962 eingestellt und mir jahrelang seine Gunst erwiesen. 1970 wählte mich die Deutsche Journalisten-Union (DJU), unsere Berufsgruppe in der damaligen Industriegewerkschaft Druck und Papier, zu ihrem Vorsitzenden. Einige Monate später bestellte er mich zu einem Gespräch, das fünf Stunden dauerte. Er zeigte mir Fotos von seinen Reisen und Ölbilder, die er gemalt hatte, und sagte mir eine große Zukunft voraus. Er las mir eigene Gedichte vor und rezitierte dann Brechts »An die Nachgeborenen«, das er so interpretierte, dass die harte Zeit, in der wir lebten, auch ihn zu Härte zwinge; die Nachgeborenen würden es verstehen und verzeihen. Dann straffte er sich und verkündete: »Ich mach‘ die Rundschau, du machst die Gewerkschaft.« Damit war ich entlassen.


Ich habe Gerold nie wiedergesehen. Vorladungen zum Arbeits- und später zum Landesarbeitsgericht missachtete er, wofür er Strafe zahlen musste. Seinen Anwalt ließ er vortragen, ich hätte in dem von mir herausgegebenen Buch »Die Tabus der bundesdeutschen Presse« in einem Beitrag des Berliner Wirtschaftsprofessors Klaus-Peter Kisker einen Hinweis auf die Ähnlichkeit der Wirtschaftsteile verschiedener Zeitungen einschließlich der FR streichen müssen. Die Richter akzeptierten diesen Kündigungsgrund nicht. Gerold bot mir über eine Vertrauensperson eine hohe Abfindung an, falls ich »freiwillig« die FR verließe. Ich lehnte ab, nicht nur weil ich weiterhin in der FR schreiben wollte, sondern vor allem weil ich es als meine Pflicht ansah, gewerkschaftliche Rechte zu verteidigen.


Zwerenz berichtet im Poetenladen: »Fünf Kollegen beschlossen, Eckart Spoo beizuspringen.« Die Fünf waren Heinrich Böll, Günter Wallraff, Martin Walser, Gerhard Zwerenz selber und der damalige Vorsitzende des Verbandes deutscher Schriftsteller, Dieter Lattmann. Da GZ in der Nähe von Frankfurt/Main wohnte, bat Böll ihn, den Brief mit den fünf Unterschriften dem Adressaten direkt zu überbringen. Wie es dem Überbringer erging, schildert er so: »Gerold empfing mich mit gewohnter Freundlichkeit. Las den Brief und verfinsterte. Eine Woche später hatte ich mein erstes Hausverbot weg. Vorher waren die Redakteure gedrängt worden, mich zu drucken, jetzt durften sie gar nicht, ich war verboten …«


Im Poetenladen ist neben dem Brief der Fünf auch Gerolds an Günter Wallraff adressierte Antwort im Faksimile wiedergegeben: »Leider muss ich vermuten, dass Sie über die eigentlichen Hintergründe dieses ganzen bedauerlichen Vorgangs nicht informiert sind.« Das Antwortschreiben enthält keinerlei Hinweise auf eigentliche Hintergründe, die sich aber unschwer zusammenreimen lassen: In den Wochen, in denen meine Entlassung einige Publizität fand, wurden etliche Kolleginnen und Kollegen, die sich in anderen Redaktionen für Mitbestimmung engagiert hatten, ebenfalls entlassen, beispielsweise bei der Münchner tz, beim Kölner Stadt-Anzeiger, beim Trierischen Volksfreund, wo alle Teilnehmer einer Versammlung zur Gründung einer örtlichen DJU-Gruppe betroffen waren, und beim Spiegel, dessen Herausgeber Rudolf Augstein seinem Medienkolumnisten Otto Köhler besonders die Kommentierung des »Falles Spoo« verargte. Entlassen wurden dort auch der heutige konkret-Herausgeber Hermann Gremliza, der hochangesehene innenpolitische Ressortleiter Alexander von Hoffmann, der Politikwissenschaftler Bodo Zeuner, der später ein vorzügliches Buch über die vergeblichen Bemühungen um Mitbestimmung im Spiegel verfasste, und der damalige Hamburger Landesvorsitzende der DJU, Dieter Brumm. Es war übrigens genau die Zeit, als sich SPD und CDU/CSU über die Berufsverbote gegen Kommunisten und andere Linke verständigten. Noch galt, was Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung angekündigt hatte: Seine Regierung werde gesetzlich für »innere Pressefreiheit« sorgen, nämlich für gesetzliche Abgrenzung der Kompetenzen von Verlegern und Redakteuren – ein Versprechen, für dessen Erfüllung er dann keinen Finger rührte.


Solche Koinzidenzen blieben der Öffentlichkeit verborgen. So frei, die Dinge im politökonomischen Zusammenhang darzustellen, waren die Journalisten eben nicht. Auch heute erfährt man wenig über Vorgänge in den Medien. Die Machtverhältnisse, die sich inzwischen nicht zugunsten der Journalisten verändert haben, sind tabu.


Wenn GZ und ich später gelegentlich über Karl Gerold sprachen, dann nicht zornig und nur wenig belustigt, eher traurig über einen knorrigen Mann, der als junger Schlosser im Widerstand gegen die Nazis gestanden hatte. Aus der Emigration zurückgekehrt durfte er aufgrund US-amerikanischer Entscheidungen Verleger werden; ursprüngliche Lizenzträger, unter ihnen der Kommunist Emil Carlebach, wurden verdrängt. Gerold pochte gern auf seine Unabhängigkeit. Sie reichte immerhin so weit, dass er seinen Redakteuren die Möglichkeit gab, das schwarz-braune Pack, das sich im Adenauer-Staat breitmachte, zu enttarnen. Mich setzte er auf Franz Josef Strauß an. Im Poetenladen lese ich jetzt über Gerold: »Im Fall Spoo gerierte er sich obrigkeitstreuer, als er war.«


Schluss der Geschichte: 1973 starb Gerold. Der Verlag zog seine Revision beim Bundesarbeitsgericht zurück; ich konnte meine Arbeit wieder aufnehmen. Und Zwerenz durfte das FR-Haus wieder betreten, wurde wieder gedruckt.


Danke, Gerhard, für die verlässliche Solidarität. Auch für kraftvolle Unterstützung solcher Projekte wie »Zur Verteidigung der Kultur«. Und für reichliches Lob (»die exzellente Zweiwochenschrift«), mit dem du Ossietzky bedacht hast.