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Titel1516

Bemerkungen

Abschreckung

Frau Merkel hat neuerdings den Begriff »Abschreckung« als Prinzip der Auseinandersetzung mit Putins Staat aufgenommen, eine Drohung, die jahrelang zur Terminologie des Kalten Krieges gehörte. Hat die Bundeskanzlerin vergessen, dass Abschreckung durch Androhung von Waffengewalt die Anwendung von Atomwaffen einschließt, die inzwischen die mehrfache Sprengkraft der Hiroshimabombe haben? Die USA sind vielleicht weit genug entfernt, um den russischen Gegenschlag nicht fürchten zu müssen, aber für uns bedeutet Atomkrieg europäischen Massenselbstmord.                        

 

Heinrich Hannover

 

 

US-Alltag

... da stöbere ich, weiß der Teufel warum, in der Washington Times vom 12. Juli. Obama, heißt es in dem Blatt mit ehrwürdigem Frakturtitel, habe feierlich der fünf ermordeten Polizisten von Dallas gedacht. Ein paar Klicks weiter stolpere ich über eine großformatig aufgemachte Fotoserie: »21 best guns for home protection, 21 great arms for home defense« (Die 21 besten Waffen für den Schutz des Heims, 21 großartige Waffen für die häusliche Verteidigung«, Übs. hier und im Folgenden: W. G.). Und dies, während Präsident und Nachfolgekandidaten gerade angesichts der neuesten Variante der traditionellen, kulturimmanenten Killer-Exzesse in Krokodilstränen zerfließen.

 

»Assault rifles for urban combat« (Sturmgewehre für den Straßenkampf) aus Israel und USA, »leicht versteckbare« Pistolen für »enthusiasts« werden da angepriesen wie Biersorten im Getränkemarkt. Nicht vom Handel per Inserat, sondern von der Redaktion. Es folgen Hinweise auf weitere Fotoberichte: »Hollywoods schärfste schießende Kino-Heldinnen«, »Schieß für deine Kohle!«, »Beste Waffen unter 500 Dollar«, auch »Die besten Schießplätze« (wo auch kleine Kinder abdrücken dürfen).

 

Dass die Washington Times einst von der »Vereinigungskirche« des Reverend Moon gegründet wurde, ist kein Widerspruch: »Bible« und »bang bang« gehören in den USA nun mal zusammen. Man betet zusammen, und man schießt zusammen, ein Opfer hat sich noch immer finden lassen. »We came, we saw, he died« (»Wir kamen, wir sahen und er starb«). Hillary Clinton, im Oktober 2011.                                        

Wolf Gauer

 

 

Breaking News

Breaking News: 84 Tote bei Attentat in Nizza. Ein terroristischer Hintergrund wird vermutet.

 

Breaking News, alle 15 Minuten, Tag für Tag: 84 tote Kinder wegen Unterernährung weltweit. Welcher Hintergrund wird vermutet?

 

Thomas Rothschild

 

 

Reden hilft – manchmal

Neulich sprach ich mit einem Kommunalpolitiker der CDU. Er ist Mitglied der Sozialausschüsse seiner Partei, hält also Gewerkschaften »nicht für Teufelswerk« und kämpft nach seinen Angaben gegen neoliberale Tendenzen bei den Christdemokraten. Angesprochen auf die ungleiche Einkommens-, Vermögens- und Steuerverteilung im Land konterte er allerdings sofort mit dem bekannten Spruch, dass ein kleiner Teil der Steuerzahler schon jetzt die Hauptlast zu tragen habe. Dass selbst der Chef des keineswegs gewerkschaftsnahen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, die Ungleichheit der Verteilung in Deutschland mittlerweile für ein ernsthaftes Problem hält, kommentierte er damit, dass man mit Zahlen Verschiedenes beweisen könne.

 

So weit, so erwartbar und enttäuschend. Was er aber zur AfD zu sagen hatte, ließ tiefer blicken. Die AfD sei nur deshalb so groß geworden, weil in der Vergangenheit vieles im Zusammenhang mit der Migration tabuiert worden sei. Beispielsweise die migrationsfördernden »Pull-Faktoren«, die unter anderem durch Sozialleistungen für Flüchtlinge beziehungsweise Asylbewerber wirksam würden. Man solle gegen die AfD nicht die »Nazi-Keule« schwingen, das bringe nichts. Ich fragte da lieber nicht weiter nach, sondern stellte ihm gleich die Gretchen-Frage, ob er es vorzieht, wenn jemand von der CDU zur Linken überwechselt oder, wie Alexander Gauland, von der CDU zur AfD. Er antwortete nicht. Hoffentlich findet er letzteres aus der Sicht eines treuen CDU-Parteimitglieds wenigstens gleich schlimm.

 

Als ich ihm zu verdeutlichen versuchte, dass Linke niemals Menschen nach Hautfarbe und Religion sortieren würden, wie Alexander Gauland es im Fall der Fußball-Nationalspieler Boateng und Özil getan hat, zeitigte das bei ihm keine spürbare Wirkung. Ich stellte mir vor, wie er – und andere, denen die Gleichsetzung von Rot und Braun gleichsam in Fleisch und Blut übergegangen ist – reagieren würde, wenn es einmal hart auf hart ginge. Und erschrak.

 

In einem aber bewies er dann doch ein überraschendes Verständnis: Die Tatsache, dass die AfD sich als Anwalt der kleinen Leute gerieren möchte, aber in ihrem Programm zur Verteilungsfrage wenig mehr zu sagen hat, als dass es keine Erbschaftsteuer geben soll, fand er geradezu paradox. Darauf angesprochen, dass die AfD die Verteilungsfrage aus der Vertikalen, zwischen Oben und Unten, in die Horizontale, zwischen Innen und Außen, Einheimischen und Fremden verschieben möchte, fand er eine schöne Formulierung dafür: Es gehe also darum, wie die Protagonisten des Verteilungskampfes benannt würden – einigermaßen realistisch beziehungsweise den Tatsachen entsprechend oder vorurteilshaft, ressentimentbeladen und falsch.

 

So konnte ich mich mit ihm darauf einigen, dass das Gerede von der AfD als »Protestpartei« Wasser auf die Mühlen der rechtspopulistischen Bewegung im Land ist. Die AfD ist keine Protestpartei, sondern eine Partei des falschen oder besser gesagt abgefälschten, interessegeleitet umfunktionierten sozialen Protests. Einer ihrer Vordenker, Marc Jongen, hat das schon in einem Rundfunkinterview verraten, als er davon sprach, es gelte nicht nur, politische Emotionen zu wecken, sondern sie auch zu »kanalisieren«. Die AfD sei dafür geeignet. Diejenigen, an die sich dieses Angebot richtet, werden es zu schätzen wissen.

 

Reiner Diederich

 

 

Revolutionstheoretisches

Schon immer ist in der Geschichte der linken und sozialistischen Bewegung das Problem der Gewalt diskutiert worden: Kann und darf die Gewalt Mittel der Befreiung sein? Herbert Meißner leistet mit seinen Überlegungen zum Verhältnis von »Gewaltlosigkeit und Klassenkampf« – so der Titel seines Buches – einen Betrag zu dieser Frage. Dabei geht er davon aus, dass die Konflikte und Kämpfe um einen »grundsätzlichen Politikwechsel« von den »fortschrittlichen Kräften« unter der »Losung von Gewaltlosigkeit« geführt werden. Der Autor nennt zwei zentrale Argumente für die Gewaltlosigkeit linker Bewegungen: Erstens sei für die Mehrheit der Menschen Gewaltanwendung keine Option, und zweitens dürfen oppositionelle Kräfte keinen Vorwand liefern, um die Gewalt des Staates gegen sie zu rechtfertigen.

 

Doch wie soll sich der Gegner der Gewalt verhalten, wenn gegen ihn selbst Gewalt angewendet wird? Die Geschichte zeige, dass auch ein gewaltfreier antikapitalistischer »Kampf um Reformen« stets gewaltsam unterdrückt wurde. Daraus folgert der Autor, »dass es zur Überwindung des kapitalistischen Systems der revolutionären Aktion bedarf«. »[I]n welcher Weise sich dabei Gewaltanwendung oder auch Gewaltverhinderung vollzieht, hängt von der jeweiligen Konstellation der Klassenkräfte ab und ist nicht vorhersehbar.« Statt einer prinzipiellen Bejahung oder Verneinung von Gewalt, müsse die Gewaltfrage also stets aus der konkreten historischen und politischen Situation entschieden werden. »Eine absolute, nach allen Seiten gleichzeitig gerichtete und politisch neutrale Forderung nach Gewaltlosigkeit ist jedenfalls nicht zielführend und in der Realität des Klassenkampfes so nicht zu verwirklichen.«

 

Der Autor will die Gewalt aus der Revolution also nicht von vornherein ausschließen, spricht sich aber mit einer innovativen Wortneuschöpfung zugleich für eine »gewaltarme« Revolution aus. Als gelungenes Beispiel für eine gewaltarme Revolution bezeichnet er die kubanische Revolution, die »ohne Gewaltanwendung gegen das eigene Volk« ausgekommen ist. Sie unterscheidet sich dadurch fundamental von den stalinistischen Gewaltexzessen in der Sowjetunion, die der Autor scharf kritisiert. Sie seien allerdings nicht aus der Dynamik von Klassenkampf und Revolution zu erklären, sondern als Techniken zur Herrschaftssicherung einer bürokratischen Elite zu verstehen. Demgegenüber müsse in einer »konsolidierten sozialistischen Ordnung ... Gewaltlosigkeit zur Staatsräson gehören«. Das Ziel bestehe darin, dass »Gewaltlosigkeit zu Selbstverständlichkeit wird und sich damit der Klassenkampf selbst aufhebt«.

 

Georg Spoo

 

Herbert Meißner: »Gewaltlosigkeit und Klassenkampf. Revolutionstheoretische Überlegungen«, Verlag Wiljo Heinen, 111 Seiten, 7,50 €

 

 

Unsere Zustände

Ist die eine Hälfte der Welt von bösen Menschen besetzt, bleibt immer noch die Hoffnung, in der anderen Gutes zu finden.

*

Wenn du den Kommunismus verfluchst, wird dich der Kapitalismus streicheln. Aber gib Obacht! Er hat Tatzen.

*

Schon wenn der Mensch beginnt, Unterschiede zwischen sich und seinesgleichen zu machen, ist er auf dem Wege zu einem Rassisten.

 

Wolfgang Eckert

 

 

UMBO mit Kisch in Berlin

UMBO ist ein Künstlername, der in den »Goldenen Zwanzigern« der Weimarer Republik berühmt gewesen ist. Viele Jahrzehnte war er in Vergessenheit geraten. Nun ist er wieder vor das Objektiv der Öffentlich geholt worden. Hinter dem Künstlernamen verbirgt sich der Fotograf Otto Maximilian Umbehr (1902–1980). In Berlin ist er 1926 zur Fotografie gekommen. Neuartige Por-trätaufnahmen der Berliner Bohème hat er geschaffen. Charakteristisch für seine Schwarz-Weiß-Fotografien sind harte Licht-Schatten-Kontraste sowie ungewöhnliche Perspektiven und Ausschnitte. Ein Porträt mit Hand von Ruth Landshoff (1906–1966) machte ihn in der Kunstszene schlagartig berühmt. Eigentlich Ruth Landshoff York, war sie ein Glitzergirl und eine Stilikone jener Zeit. Sie stammte aus dem jüdischen  Bürgertum, war Nichte des Verlegers Samuel Fischer (–1934). UMBO wurde zum Begründer einer neuen Foto-Ästhetik – dem »Neuen Sehen«. Ein weiteres Hauptthema war für ihn die Melancholie der Großstadt. Als Flaneur durchstreifte er Berlin mit der Kamera. UMBO war von 1921 bis 1923 Schüler des staatlichen Bauhauses in Weimar und wurde dort stark durch die »Grundlehre« von Johannes Itten beeinflusst. Er gilt neben László Moholy-Nagy als der bedeutendste Fotograf des Bauhauses. Allerdings hatte er auch eine schwache Seite: Er ließ sich von König Alkohol packen; einmal ist er im legendären Romanischen Café volltrunken ohnmächtig zusammengebrochen. In diesem Treffpunkt der Berliner Bohème hat er vermutlich auch Kisch kennengelernt. Von ihm fertigte UMBO 1926 die berühmte Fotomontage »Der rasende Reporter« an. Der hybride Superreporter sieht alles, er hört alles, er spricht über alles und schreibt darüber – der Mann, dem nichts entgeht: Zigarettenkippe im Mund, ein Ohr als Schalltrichter, ein Auge als Kamera, rechte Hand als Schreibfeder, Beine als Schnellläufer aus Stahlrohr. Der größte Teil von UMBOS Werken – schätzungsweise 50.000 bis 60.000 Negative – sind in einer Bombennacht des Jahres 1943 in Berlin verbrannt. Einen Großteil des Restes seines Lebenswerkes – über 600 Fotografien und Schriftstücke – haben nach langwierigen Bemühungen das Sprengel Museum in Hannover, die Stiftung Bauhaus Dessau und die Berlinische Galerie erworben. In der Hauptstadt – dort wo Kisch zwischen 1921 und 1933 seinen Lebensmittelpunk hatte – befindet sich nun auch  die Fotomontage des Rasenden Reporters.                    

 

Klaus Haupt

 

 

Alltag unter dem § 175

Vor einigen Monaten bekam ich ein Buch zugeschickt. Es landete auf dem sich scheinbar nie verkleinernden Stapel noch zu lesender Bücher. Nach einiger Zeit sorgte meine Neugier dafür, dass das Buch sich ein wenig vordrängeln konnte. Ende der achtziger Jahre war ich mit der politischen Schwulenbewegung in Kontakt gekommen. Seitdem habe ich Menschen vieler sexueller Orientierungen kennengelernt. Daraus ist meine Überzeugung gewachsen, dass die menschliche Sexualität wie auch die meisten anderen menschlichen Eigenschaften ein multidimensionales Kontinuum aus Körper, Seele und Sehnsucht ist. Alle Menschen sollten ihren Weg zum Glück finden.

 

Aber es gab einmal den § 175 im deutschen Strafgesetzbuch. Der definierte männliche Homosexualität als etwas Strafbares. In »Weshalb hast du eigentlich geheiratet?« geht es nicht um eine historische Einordnung. Es ist eine autobiographische Novelle. Lothar Zieske stellt in einem Gespräch die inneren und äußeren Konflikte eines Heranwachsenden und später Studenten unter den Bedingungen des § 175 vor. Das Buch ist eine wichtige Ergänzung zu anderen historischen und politischen Büchern. Es ist nicht primär eine Coming-out-Geschichte. Es ist eine Geschichte von Selbstzweifeln, entstanden aus dem Konflikt zwischen verinnerlichter Heteronormativität und schwulem Bedürfnis. Es ist die Geschichte des äußeren Drucks, von elterlicher und polizeilicher Repression. Es ist auch eine Geschichte von – vielleicht – Verrat. Von Schwäche und langsam gewonnener Stärke.

 

Es ist leider auch eine furchtbar aktuelle Geschichte. Weltweit werden Schwule weiterhin per Gesetz verfolgt. Und auch hierzulande ist mindestens der Alltag der Heranwachsenden trotz vieler prominenter Schwuler von massiver Schwulenfeindlichkeit geprägt. Neben »Jude«, »Loser« und »du Opfer« ist »schwul« eines der meistgebrauchten Schmähwörter auf dem Schulhof. Hier muss sich noch vieles ändern. Das Buch eröffnet neue Einsichten, ihm sind viele Leserinnen und Leser zu wünschen.

 

Heiko Feldmann

 

Lothar Zieske: »Ecce: Homo! oder: Weshalb hast du eigentlich geheiratet?«, Books on Demand, 80 Seiten, 6 €

 

 

»Unser VEB Elfenbeinturm«

…so hat Brigitte Reimann das Schriftstellerheim in Petzow genannt, wo sie Siegfried Pitschmann traf und heiratete. Es war nicht die einzige Partner- und Liebschaft, die hier begann. »Das Petzower Schriftstellerheim ist der Ort für Geschichten, die die Geschichte ein wenig gegen den strengen Scheitel bürsten«, meint Kerstin Hensel, und Gisela Stein-eckert bekennt: »Es ist ein Ort, auf den ich zeitlebens schützende Finger legen möchte.« Man spürt: viel Erinnerung, viel Gefühl. So heißt auch ein ganzer Abschnitt, in dem es um das Ende des Heims geht: »Meine Traurigkeit ist heiter.«

 

Den Herausgebern ist eine Anthologie von Texten früherer Heimnutzer gelungen, in der man gern liest. Erinnerungen, Gedichte, Tagebuchausschnitte, alte und neue Texte. Entstanden ist mehr als ein Buch über dieses Heim, in dem  35 Jahre lang etwa 650 Menschen zeitweise gearbeitet, gestritten, gelebt, genossen und gefeiert haben. Es ist auch eine Auskunft über Literaturverhältnisse einer vergangenen Zeit, über Freundschaften, Animositäten, Ideen, Pläne, Hoffnungen und Enttäuschungen. Dieser Ort mit den drei Pappeln am See, wo sich bekannte Autoren wie Christa Wolf und Maxie Wander, Jens Gerlach und Karl Mickel, Arnold Zweig und Ludwig Renn, Sarah Kirsch und Georg Maurer gemeinsam mit den anderen Kollegen und deren Familien wohlfühlten, bleibt dank dieser liebevollen Würdigung ein besonderer, »ein literarischer Ort«.                     

 

Christel Berger

 

Margrid Bircken, Christel Hartinger, Harald Kretzschmar, Burkhard Raue, Marianne Schmidt (Hg.): »Petzow. Villa der Worte. Das Schriftstellerheim in Erinnerungen und Gedichten«, Verlag für Berlin-Brandenburg, 302 Seiten, 19,99 €

 

 

Abzocke oder Einsicht?

Man will es einfach nicht glauben …: ein Blitz. Einige Tage später flatterte ein Schreiben von der Abteilung Ordnungswidrigkeiten ins Haus: »Ihnen wird zur Last gelegt …«, Beweisfoto anbei. Ich hatte die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um acht Kilometer pro Stunde überschritten. Und das in unserer Siedlung, wo wir schon fast zwanzig Jahre wohnen und ich seitdem auch weiß, dass hier nur 30 Kilometer pro Stunde erlaubt sind.

 

Das ist ärgerlich. Trotzdem: Asche auf mein Haupt und das Verwarnungsgeld überwiesen. Nein, ich bin nicht der Typ, der dann wie viele Zeitgenossen über vermeintliche Abzocke und Raubrittertum wettert. Wenn die Allgemeinheit (oder gibt es die nicht mehr?) eine Geschwindigkeitsbeschränkung in einer Wohnsiedlung, an einer Schule oder an einem Unfallschwerpunkt für erforderlich hält, ist es doch das Natürlichste auf der Welt, diese auch zu kontrollieren. Wo denn sonst, in einer Tiefgarage oder in der Waschstraße?

 

Ich bin wahrlich kein Muster-Fahrer, aber wenn ich einmal geblitzt werde, fluche ich nicht gleich über Polizei und Staat. Daher habe ich auch wenig Verständnis für die Blitzer-Warnungen im Rundfunk. Zur Prävention? Das ist wohl ein Ammenmärchen, vielmehr hat der Bleifuß dadurch freie Fahrt. Vielleicht bringt man demnächst im Frühstücks-Radio noch andere nützliche Hinweise: »Vorsicht, am Vormittag Fahrscheinkontrolle in der Straßenbahnlinie 8 Richtung Bahnhof« oder »Aufgepasst, heute Ladendetektiv in der Aldi-Filiale am Markt«.                         

 

Manfred Orlick

 

 

Zuschrift an die Lokalpresse

Als Rentner habe ich mich seit langem an folgenden morgendlichen Ablauf gewöhnt: Ich verlagere mich aus meiner Liegestatt auf meine etwas unsicher gewordenen Beine, bewältige die hygienischen Mindestanforderungen und schlurfe dann an den Frühstückstisch. Dort tanke ich für den bevorstehenden Tag ein wenig gute Laune, verzehre zu einer Tasse Kaffee ein knackiges Toastbrot und greife zu den Tageszeitungen. Nach dem Überfliegen der neuesten Horrormeldungen ist die gute Laune allerdings schnell wieder verflogen, und das geht alle Tage so.

 

Dass die Schauspielerin Diane Kruger mit ihrem Freund nicht mehr klarkommt, bewegt mich nur in Maßen. Dass die neue britische eiserne Lady die »Abschreckung unserer Feinde« gegebenenfalls mit einem Atomschlag bewerkstelligen will und dafür eine Parlamentsmehrheit scharf machen konnte, ist schon eine andere Kategorie. Bei ihrem Vorstellungsbesuch in Berlin wird sie sicher auch mit unserer Bundeskanzlerin über die für mich unverständliche Dialektik von Abschreckung und Dialog ins Gespräch gekommen sein. Und weiter geht‘s im Text: Der türkische Ministerpräsident eliminiert von gestern auf heute 30.000 »Staatsfeinde«, Paris verlängert den Ausnahmezustand, die Konfrontation zwischen Nord- und Südkorea spitzt sich zu, der russische Geheimdienst hat ukrainische Spione festgenommen, US-Präsidentschaftskandidat Trump stellt einen »Kreuzzug für die Zukunft der westlichen Zivilisation« in Aussicht, bepöbelt seine Gegenkandidatin und lässt sich von seiner Frau schönreden, Alles in allem: gute Aussichten für den Weltfrieden und die eigenen Kinder und Enkel.

 

Beinahe hätte ich eine kurze Notiz in der Panorama-Spalte des neuen deutschland vom 20. Juli übersehen, die gegenüber allen anderen Nachrichten umfänglich kurz und inhaltlich fast kontraproduktiv wirkt: »Ein russischer Frachter hat 2,4 Tonnen Nahrungsmittel, Treibstoff und Post zur internationalen Raumstation ISS gebracht ... Derzeit arbeiten dort drei Russen, zwei US-Amerikaner und ein Japaner ...« Und schon in wenigen Tagen soll »der US-Frachter ›Dragon‹ weitere zwei Tonnen Nachschub an der ISS festmachen.« Wie geht denn sowas in einer auf Abschreckung getrimmten Zeit? Und woran arbeitet denn das internationale Wissenschaftlerteam? Vielleicht sollte man internationale Konferenzen von Spitzenpolitikern auch auf die ISS verlegen und den Transport und die Versorgung der Teilnehmer multilateral regeln? Und die Rückführung auf unseren gefährdeten Planeten vom Verhandlungsergebnis abhängig machen? Dann bekäme der Begriff »Luftnummer« vielleicht einen neuen, positiven Sinn! – Konstantin Vorschläger (73), Anlageberater i. R., 04610 Schauderhainichen

 

Wolfgang Helfritsch