Andrei Konchalovsky lässt seinen Film »Paradies«, den er als »Triade menschlicher Dimensionen« bezeichnet, im besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkriegs beginnen. Dort trifft Olga, eine adelige Exilrussin und Moderedakteurin, die heimlich im Widerstand kämpft, auf zwei politische Kriegsprofiteure: Der Franzose Jules (Philippe Duquesne) ist französischer Kollaborateur der Nazis, und der Deutsche Helmut (Christian Clauß) ist ein junger SS-Offizier. Jules will Olga, die die französische Résistance unterstützt und zwei jüdische Kinder versteckt hält, vor dem KZ retten, wenn sie ihm sexuell zu Diensten ist. Doch er wird schon zu Anfang des Films von Partisanen erschossen. Viel gefährlicher als Jules ist Helmut, der gläubige Parteisoldat. Er verkörpert den musisch gebildeten Herrenmenschen, der über Tschechow promoviert und es genießt, als er von Heinrich Himmler persönlich mitgeteilt bekommt, dass er dazu ausersehen sei, in den osteuropäischen Vernichtungslagern gegen die grassierende Korruption vorzugehen. Obwohl Helmut diese Nachricht auf den Magen schlägt, bleibt er der begeisterte und verblendete Hitler-Anhänger: Mit dem Führer will er in Deutschland das »Paradies« auf Erden errichten.
Gedreht wurde in Frankreich, Deutschland und Russland. Um der Form einer Dokumentation nah zu kommen, lässt Konchalovsky seine drei Hauptdarsteller in ihrer jeweiligen Muttersprache spielen. Ihre Texte werden weder eingesprochen noch synchronisiert, sondern nur mit Untertiteln versehen. Der Film erzählt die Geschichte der drei Protagonisten linear, jedoch ständig unterbrochen von Verhören, Interviews und Beichten, die den Zuschauer bewusst über Ort, Zeit und den Inhalt der Anklage gegen Olga im Unklaren lassen. Gleich zu Beginn des Films verblüfft der Regisseur den Zuschauer mit gesofteten Schwarz-Weiß-Einstellungen, die ohne jede Überleitung ziemlich abgehackt aneinandergeschnitten sind. Das ließe vermuten, dass es sich um altes, schon verblichenes Archivmaterial handelt. Doch schon die erste Einstellung zeigt die Schauspielerin Yuliya Vysotskaya, die – im Film zur Strafe kahlgeschoren, wie es damals für sogenannte Verräterinnen üblich war – bekennt, dass sie die gesuchte Olga Kamenskaya sei, die schon 1941 der Résistance, jener zivilen und militärischen Organisation, beitrat.
Im Laufe des Films werden Verhöre, Geständnisse und Interviews durch ein weiches Chamois gekennzeichnet. Ein scharf konturiertes Schwarzweiß zeigt sich dagegen in allen Spielszenen, die die Handlung vorwärtstreiben. »Paradies« ist der 23. Film des legendären 79-jährigen russischen Regisseurs. Beim Filmfestival in Venedig erhielt Konchalovsky 2016 für »Paradies« den Silbernen Löwen für die beste Regie – so wie schon 2014 für »Die weißen Nächte des Postboten Alexej Trjapizyn«. Inzwischen gilt das filmische Drama »Paradies« als eines der wichtigsten und ungewöhnlichsten Kinoereignisse dieses Jahres, da es vehement den Krieg als das sinnloseste Instrument zur Durchsetzung von Interessen brandmarkt und wohl auch deshalb Ende Juni 2017 den Friedenspreis des Deutschen Films erhielt.
Der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent, der 1937 in Moskau als Andrei Mikhalkov-Konchalovsky geboren wurde, überließ irgendwann den ersten Teil seines Nachnamens dem jüngeren Bruder Nikita Mikhalkov, dem ebenfalls großen Filmkünstler. Kurz bevor der junge Andrei Konchalovsky nach einem zehnjährigen Musikstudium zum genialen Pianisten hätte werden können, wechselte er an die berühmte Filmschule VGIK. Dort traf er Andrei Tarkovsky, mit dem er einige Filme drehte, bevor er 1966 sein Koautor für »Andrej Rubljow« wurde. Konchalovsky gilt als präzise und gewissenhaft arbeitender Regisseur. Zur Produktion von »Paradies« soll er täglich ab 12 Uhr mittags exakt zwei Stunden lang am Set bestimmte Kamera-Positionen eingerichtet und sich danach zwei Stunden lang ausschließlich den Schauspielern gewidmet haben, um dann zwei Stunden mit hoher Intensität zu drehen.
Die Requisiten für das KZ wurden überwiegend im Studio Mosfilm hergestellt und die Baracken für die Gefangenen auf einem ehemaligen Militärgelände nachgebaut. Die an Italien erinnernden Szenen der lang zurückliegenden Liebesgeschichte zwischen Olga, der Russin, und Helmut, dem ebenfalls aus dem europäischen Hochadel stammenden Deutschen, entstanden auf der Krim. Konchalovsky arbeitete für »Paradies« in einem 180-Grad-Rundbogen mit fünf Kameras gleichzeitig. Das erschwerte der Cutterin Ekaterina Vesheva die Montage, die so nicht im Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren erarbeitet werden konnte. Auch die Darsteller fühlten sich, wie sie selbst erzählen, manchmal verunsichert, weil sie nicht wussten, von welcher Kamera sie gerade aufgenommen wurden.
Konchalovsky ist ein Regisseur, der die Frauen liebt. Manche hat er berühmt gemacht, noch berühmter als sie eh schon waren – wie etwa Julie Andrews, Barbara Hershey, Isabella Rossellini, Glenn Close, Shirley MacLaine oder Nastassja Kinski –, andere hat er aber sicher auch betrübt gemacht, wenn er sie wieder einer anderen Frau wegen verließ. Die sagenhaft kluge und schöne Yuliya Vysotskaya ist seine fünfte Ehefrau. Mit ihr ist er seit 1998 verheiratet. In »Paradies« wird die Vysotskaya trotz aller Präzision und Strenge ihres Regisseurs sofort zur tragenden Sympathiefigur dieses beindruckenden Films.