Vor einem Monat beherrschte der G20-Gipfel in Hamburg die veröffentlichte Meinung. Zunächst gab es noch kritische Stimmen zur Auswahl des Ortes und Zweifel am Sinn der Veranstaltung. Inzwischen sind sich Mainstream-Medien und Regierungskreise im Wesentlichen einig: Der G20 war notwendig, denn es wurde miteinander gesprochen und Dissens benannt. Das muss reichen als Legitimation für die Inszenierung einer selbsternannten Weltregierung ohne Mandat. Derweil geht das globale Gerangel weiter, wer bei der neuen Phase der In-Wertsetzung Afrikas, beim Zugriff auf den Nahen Osten und sonst in der Welt den Ton angeben und Beute machen darf.
In Hamburg wurde wenig Konkretes vereinbart. Der Aufwand hingegen war riesig. 10.000 – in Worten: zehntausend! – Mitreisende begleiteten die Regierungschefs. Dieser Tross wollte bespaßt und abgeschirmt werden. Die Kanzlerin nutzte »das Format«, um sich als ungekrönte neue Kaiserin inszenieren zu lassen. Sie bezeichnete ihre Rolle neckisch als »Flöhe hüten«. Mutti hält neunzehn Jungs beieinander, wenn auch nur für ein weiteres Gruppenbild mit Dame. Und ganz nebenbei beschert sie – mit Blick auf die Innenpolitik – dem Wahlkampfgegner SPD ein Desaster.
Olaf Scholz, Hamburgs Erster Bürgermeister ließ sich vorführen. Statt dass das Ereignis – wie vollmundig angekündigt – zu einem »Fest der Demokratie« wurde, empörte sich die Bürgerschaft »seiner« Stadt, er habe sie einem Mob ausgeliefert. Zunächst hieß es noch, niemand habe ahnen können, dass es zu einer derartigen Eskalation kommen würde. Wie auch – nach Seattle 1999, Genua 2001 und EZB-Blockade in Frankfurt 2015! Zumal das BKA vor genau der »Lage« gewarnt hatte, die dann erwartungsgemäß eintrat. Inzwischen ist offiziell bestätigt, dass sich die Polizeieinsatzleitung so gut wie möglich vorbereitet hatte und Einheiten aus der gesamten Republik einschließlich sturmgewehrbewehrter Spezialkräfte aus Sachsen herbeibeordert worden waren. Die örtliche Innenbehörde wollte dabei wohl ein eigenes Süppchen kochen: Im Sinne der schon länger praktizierten harten »Hamburger Linie« schien der Gipfel eine gute Gelegenheit, die Situation im Schanzenviertel zu bereinigen, die Rote Flora endgültig abzuräumen und der Gentrifizierung potentielle Störer*innen aus dem Weg zu schaffen. Es lief nicht alles ganz nach Plan. Der Bürgerzorn und die Reaktion aus den Reihen der zu großen Teilen überforderten Polizist*innen im Dauereinsatz richteten sich nicht allein und wie geplant gegen »die linken Chaoten«, sondern auch gegen den Bürgermeister und sein Konzept: erst die Prominenz sichern, dann die Stadtviertel. Dafür sorgte schon die rechte Hamburger Opposition. Die CDU der Hansestadt, FDP und AfD feixen und hauen drauf auf SPD und mitregierende Grüne. Scholz und sein Innensheriff Andy Grote sollten zurücktreten, forderten sie zunächst, bis die Kanzlerin, auf deren Wunsch Scholz »sein« Hamburg zur Verfügung gestellt hatte, sie zur Ordnung rief. Und die linke Demonstration »Grenzenlose Solidarität statt G 20« mit ihren 76.000 Teilnehmer´*innen ließ das staatsfromme Begängnis »Hamburg zeigt Haltung« (höchstens 5000) mickrig aussehen.
Keine Rücktritte also. Stattdessen Vorwärtsverteidigung: Die Polizeiführung habe »alles richtig gemacht«. »Polizeigewalt« gebe es grundsätzlich nie. Das Wort sei eine ideologische Erfindung der Linken. Denkbar seien allenfalls Verfehlungen einzelner polizeilicher Individuen im Ausnahmezustand. Die Verantwortung für die Krawalle liege allein bei »den Linksextremisten«. Wer es wagt, eine womöglich vermeidbare Eskalation seitens der Einsatzleitung sowie belegbare Übergriffe, Rechtsbrüche und entfesselte faschistoide Schlägerpolizist*innen öffentlich zu kritisieren, wird zum Sympathisanten von Plünderern erklärt. Knallhart soll nun durchgegriffen werden, nicht nur bei den Marodeuren und Randalierern, derer man habhaft werden will (Bild hilft bei der Fahndung), sondern vor allem auch bei jenen, die die Einladung zu Scholz‘ »Fest der Demokratie« beim Wort nahmen und sich trotz Angstmache nicht von Hamburg mit seinen Sonderverbotszonen fernhielten.
À la longue wird hoffentlich nicht gelingen, was die frustrierten SPD-Granden Scholz und Maas, unter Druck gesetzt von einer Front sicherheitspolitischer Populisten aller Parteien rechts von SPD und Grünen, herbeireden. Geht es nach ihnen, werden alle, die zivilen Ungehorsam als legitime Protestform verteidigen und nicht bereit sind, Rechtsverletzungen seitens der Staatsmacht und der Polizei hinzunehmen, in die Extremismus-, ja sogar Terrorismus-Ecke gestellt. Die Links-Partei – sei der »parlamentarischer Arm« des »Schwarzen Blocks«! Martin Schulz sah in Hamburg gar »Mordbrenner« am Werk, und Frau Barley zog eine Neuauflage der Extremismus-Prävention à la Kristina Schröder aus dem Hut. Die Exekutive sei zu lange auf dem linken Auge blind gewesen. NSU-, Blood-and-Honour-Anhänger und Konsorten lachen sich in die Fäuste und rocken in Thüringen ganz legal ihren Hitlergruß gegen links, nachdem Justizminister Maas gerade seine Idee zu »Rock gegen Links« öffentlich vorgetragen hatte.
Die Gewerkschaft der Polizei kann sich über eine Personalaufstockung freuen, »Hamburg« tröstete die strapazierten Einsatzkräfte mit Konzertkarten für das Millionengrab Elbphilharmonie, mit Blumen und großem Mitgefühl. Es sei ihnen gegönnt, auch wenn die Zahl der Verletzten sich als Fake News entpuppte. (Schon genial, den Krankenstand vor dem und während des Gipfels mal schnell als Opferzahl linker Gewalt auszugegeben!) Die verletzten und zu Unrecht festgesetzten Demonstrant*innen aber sollen fein den Mund halten, sonst kriegen sie nochmal eins drauf. Man hat sich geeinigt: Null Toleranz gegenüber »autonomer Antifa«, militanten Hausbesetzern und »rechtsfreien Räumen« = besetzten Häusern in den von Gentrifizierung betroffenen Quartieren. Lothar »die Maske« de Maizière plant die elektronische Fußfessel für potentielle Militante vor Großereignissen. In Bayern – immer vorn – wird die Vorbeugehaft für »Gefährder« aller Arten durch den Landtag potentiell ins Unendliche verlängert.
Wie nach jedem solcher »Gipfel-Ereignisse« stellt sich innerhalb der Protestbündnisse die Frage: Wie ist zu verhindern, dass Randale und sinnlose Zerstörungswut die Medienberichterstattung beherrschen, das Klima für weitere autoritäre Staatsmaßnahmen bereiten, während der Inhalt von Kritik und Protest mehr oder weniger aus der Debatte verschwindet. Geht es nach dem Mainstream, sollen »die Linken« abschwören, sich von »schwarzen Blöcken« und allen autonomen Gruppen distanzieren, egal, ob diese an Gewaltaktionen beteiligt waren oder nicht. Wer gar – wie Jutta Ditfurth – zu fragen wagt, was junge Männer und auch Frauen zu Krawall und Randale motiviert, darf sich auf hysterisches Geschrei einstellen (sich aber auch ein bisschen schadenfreuen, wenn der CDU-Hardliner Wolfgang Bosbach in einer Talkshow die Nerven verliert und aus dem Studio stapft). Folgt mensch der Bosbach/de Maizière/Andy Grote-Logik, sollten wir gleich ganz auf jeden Protest verzichten. In Hamburg hat das glücklicherweise nicht geklappt.