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Doch das Messer sieht man nicht  (Eduard Meusel)

»Das ist nicht, was die Zuschauer wollen.« Diesen oder einen ähnlichen Satz hört man in Joachim A. Langs neuem Film »Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm« häufig. Er stammt vom als kapitalistischer Technokrat dargestellten Filmproduzenten Seymour Nebenzahl (Godehard Giese), der die Verfilmung der 1928 in Berlin uraufgeführten und reichlich gefeierten Bühnenfassung der »Dreigroschenoper« zu einem Kassenschlager machen will. Brecht (Lars Eidinger) hat anderes im Sinn. Ihm geht es weniger ums Geschäft als vielmehr darum, dass »sein« Stück auch auf der Leinwand seine politische Aussage entfaltet, die Zuschauer nicht nur unterhält, sondern aufrüttelt und die in der Gesellschaft vorhandenen Widersprüche aufzeigt. Dazu bedarf es jedoch etlicher Anpassungen und selbst jene Elemente, die die Urfassung vermeintlich so erfolgreich werden ließen – etwa die Musik Kurt Weills (Robert Stadlober) oder die »romantische« Beziehung zwischen Macheath (Tobias Moretti) und Polly Peachum (Hannah Herzsprung) –, stellt Brecht rücksichtslos in Frage. Das schmeckt dem Produzenten nicht.

 

Nichts anderes als Brecht seinerzeit beabsichtigte, nimmt sich nun der Brechtkenner Lang (Promotion über Brecht, langjähriger Leiter des Brechtfestivals Augsburg) mit seinem »Dreigroschenfilm« vor. Ihm sei an einer Aktualisierung des Stoffes gelegen, daran, das Publikum ebenso wie das Medium Film wieder vermehrt zu politisieren, wie er bei der Publikumspremiere am 29. Juni auf dem Filmfest München sagte. Hierfür bleibt er bewusst nahe an den Ideen und Vorstellungen Brechts, die dieser unter anderem in »Die Beule«, dem Text zum Dreigroschenprozess oder dem »Dreigroschenroman« für eine Verfilmung entwarf. Wie aber schon Brecht sich damals die Zähne an der Filmindustrie ausbiss, so scheitert auch heute Langs Film an seinem politischen Anspruch – zumindest teilweise.

 

Der in einer Mischung aus Spielfilm, Theater und Operette konzipierte Film entspinnt sich entlang der bekannten Geschichte um den »Gangsterboss« Mackie Messer und seine im Verlauf der Handlung angetraute »Gangsterbraut« Polly Peachum, Tochter des Großunternehmers Jonathan Peachum (Joachim Król), der mit dem Elend geschundener Existenzen großen Reibach macht. Eine zweite Ebene erzählt von Brechts Kampf mit der Produktionsfirma, wobei beide Erzählstränge nicht selten ineinandergreifen, sich verschränken und teils Schlag auf Schlag und ganz ohne Schnitt abwechseln. Das bildet den treibenden Rhythmus, den Puls des Films. Ruhe stellt sich allein an einem einzigen Ort im Film ein und das sicherlich nicht zufällig – der Schauspielbühne. Dort wird es für die Zuschauer*innen nahezu unmöglich, die beiden Ebenen noch klar zu scheiden. Die Grenze zwischen Schauspieler*in und dramatis persona verschwimmt – eine subtile Huldigung an die Macht des Theaters.

 

Auch mit Kritik am Kapital ist der Film nicht sparsam. Schnell wird klar, dass es für die handelnden Personen kaum möglich ist, den Fängen und der Logik des Geldes zu entfliehen. Macheath, der selbst aus elendsten Verhältnissen stammt (vgl. »Die Zuhälterballade«), geriert sich als Leiter seines »Unternehmens« noch skrupel- und kompromissloser als sein großer Gegenspieler Jonathan Peachum. An ihm manifestiert sich die Überkompensation des nach Erfolg und Anerkennung heischenden Emporkömmlings. Völlig sinn- und zweckbefreit wütet Macheath gegen seine »Angestellten«, beschimpft sie, schlägt sie. Gesetz und Ordnung kümmern ihn wenig. Es regiert einzig die männliche Räson von Macht und Kapital. Das gilt in der Rahmenhandlung ebenso für Brecht – er bildet keine Ausnahme. Zwar spuckt er große Töne und verkauft sich als proletarischer Moralist, doch seine Existenznöte und sein Drang nach Ruhm machen ihn letztlich ebenfalls käuflich. Wieso sonst sollte er seine »Dreigroschenoper« überhaupt verfilmen wollen, wieso für den österreichischen Autobauer Steyr Werbung machen? Der dialektische Klassenunterschied lässt sich in den bestehenden Verhältnissen nicht durchbrechen. Ein Proletarier, der sich anschickt, Not, Unterdrückung und Ausbeutung hinter sich zu lassen, ist unweigerlich und im Handumdrehen selbst schon zum Kapitalisten geworden – ganz egal, wie kämpferisch er sich davor gegeben haben mag.

 

In der Erzähltechnik und der Art der Darstellung versucht sich der Film wenig erstaunlich an der Idee des epischen Theaters. Doch ein Entfremdungseffekt will sich nicht wirklich einstellen, gleich welche Register Lang auch zieht. Zu erwartbar, zu gewohnt ist das Gebotene: der direkte Blick der Protagonist*innen in die Kamera, die verschränkte Erzählstruktur, die wechselnde Farbgebung. Selbst der vermeintliche Kniff, scheinbar ohne Schnitt zwischen den einzelnen Szenen zu wechseln, gehört dank Computertechnik und spätestens seit »Birdman« zum Standardrepertoire cineastischer Formensprache. Wenig überraschend und reizvoll ist zudem die etwas gezwungen wirkende Gleichsetzung der Ganovenbande um Mackie Messer mit der raubtierkapitalistischen Zunft heutiger Banker, die man nicht auch noch mit den in diesem Zusammenhang bereits ausgelutschten Sentenzen Brechts zum Finanzwesen (»Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«) hätte garnieren müssen.

 

Problematisch ist außerdem die Darstellung Brechts. Der »Dreigroschenfilm« inszeniert ihn so, wie er sich selbst zu seinen Lebzeiten gern der Öffentlichkeit darbot, wie man ihn von zahlreichen Photographien kennt: kaum eine Einstellung ohne die hautenge Lederjacke oder ohne die obligatorische Zigarre. (Man möchte ihm nur allzu gerne zurufen: Nimm sie aus dem Maul, du Hund!) Und dann ist da auch noch dieses verschmitzte und süffisante Grinsen (mitten ins Angesicht der Zuschauer*innen), das jede seiner geistreichen Provokationen begleitet. Es ist ein Brecht, der sich selbst nur allzu gut gefällt. Doch da liegt gerade das Problem. Eine so hochstilisierte Figur eignet sich zwar hervorragend, um eine Blaupause für die Geschichte um den Ganoven Mackie Messer zu geben. Doch just wo der Film aus Brechts privatem Leben erzählt, hätte man sich eine differenziertere Charakterzeichnung gewünscht. Das betrifft allen voran sein Verhältnis zu den Frauen: Helene Weigel (Meike Droste), Elisabeth Hauptmann (Peri Baumeister) und Carola Neher (ebenfalls Hannah Herzsprung). Indem Brechts Figur auf einzelne Charakterzüge beschränkt wird, werden auch die Frauen zu einfachen Stereotypen und Statistinnen degradiert. Genau das waren sie aber nicht, und auch Brecht kann nicht nur der »Playboy« gewesen sein, als der ihn Lang überwiegend zeichnet.

 

Im Anschluss an die Vorführung stellte sich das Filmteam den Fragen des Publikums und berichtete Anekdoten von den Dreharbeiten – allen voran der Hauptdarsteller Lars Eidinger. Er sei stolz darauf, dass der Film es sich bewusst herausnehme zu überfordern, womit Eidinger auf die mehrschichtige Erzählstruktur abzielte. Tatsächlich kann man sich leicht überfordert fühlen, aber weniger wegen der narrativen Technik als vielmehr auf Grund der Absicht, Brecht im Film nur Worte in den Mund zu legen, die sich in seinem Werk dokumentiert finden. Dadurch bekommt man stellenweise den Eindruck, es handle sich beim »Dreigroschenfilm« mehr um eine filmische Aphorismensammlung, denn um eine zusammenhängende Erzählung. Zu künstlich und gewollt wirken hierfür einige Gesprächssituationen und Dialoge. Darunter leidet auch die vom Regisseur intendierte Politisierung von Werk und Publikum. Denn ein jedes Wort des Dichters nimmt es dem Publikum ab, dieses selbst zu formulieren – keine Spur von einem Agitprop-Theater Brecht’schen Zuschnitts. Alles bewegt sich mehr oder weniger in den konventionellen Bahnen der Unterhaltungsindustrie. Einmal mehr wird deutlich, dass sich ernsthafte politische Ambitionen nur schlecht mit dem kapitalistischen Verwertungsapparat vertragen. Das gilt besonders für das Medium Film.