Wie lange Annegret Kramp-Karrenbauer das neue Amt der Verteidigungsministerin bekleiden wird, hängt nicht so sehr davon ab, wie sich der Streit in der Großen Koalition über die künftigen Rüstungsausgaben entwickelt, sondern wie CDU und SPD bei den bevorstehenden Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern abschneiden. Geht es weiter bergab mit ihnen, werden sie wohl in den sauren Apfel einer vorgezogenen Neuwahl des Bundestages beißen müssen. Jedenfalls werden die Karten dann neu gemischt.
Ob die Nachfolgerin Ursula von der Leyens mit ihrem Beharren auf einer Erhöhung des Militäretats einen guten Eindruck bei der Bundeswehr und der deutschen Rüstungsindustrie machen wollte, spielt insofern keine große Rolle. Der kommissarische Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, hat die neue Ministerin bereits sanft, aber nachdrücklich darauf hingewiesen, dass ihr Ziel, die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, wenig Aussicht auf Erfolg hat und vom Koalitionsvertrag auch nicht gedeckt ist.
Was es mit dem Zwei-Prozent-Deal in Wirklichkeit auf sich hat, ist den wenigsten bewusst. Entgegen der landläufigen Meinung hat er ursprünglich nichts mit der Krim und dem Geschehen in der Ostukraine und einem expliziten Drängen der USA zu tun, sondern ist ein Nebenprodukt der 2002 auf dem NATO-Gipfel in Prag beschlossenen westlichen Eindämmungspolitik gegenüber Russland. Damals wurden die baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien und die Slowakei eingeladen, Mitglied der NATO zu werden. Bedingung sei gewesen, dass sie »genügend Ressourcen« in die Verteidigung investieren, und zwar im Umfang von jeweils zwei Prozent des eigenen Bruttoinlandsproduktes. Der Gerechtigkeit halber sollten dieses Ziel auch jene Staaten anstreben, die bereits der NATO angehörten, so Silvia Stöber in tagesschau.de.
Bereits vor Beginn der Konferenz bezeichnete NATO-Generalsekretär George Robertson den Gipfel in Prag als »historische Wegmarke«. Ähnlich wie der britische Labour-Politiker äußerte sich der Vorsitzende des Militärausschusses der NATO, der deutsche General Harald Kujat. Er sah das Bündnis »am Scheideweg«. In Prag wurde nämlich die folgenschwere Osterweiterung der NATO und die Aufstellung einer NATO-Interventionstruppe beschlossen. Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung e.V. schrieb damals, der Prager Gipfel werde für Deutschland wohl bedeuten, dass Zusagen zur Erhöhung des Militärhaushalts gemacht und Präventivkriege künftig zur deutschen Politik gehören würden (https://www.imi-online.de/).
Auf dem NATO-Gipfel vom 4. und 5. September 2014 in Newport/Wales wurde das Zwei-Prozent-Ziel bekräftigt. In dem entsprechenden Beschluss hieß es, die NATO-Staaten zielten darauf ab, »sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen« und mindestens 20 Prozent davon in »neues Großgerät einschließlich damit zusammenhängender Forschung und Entwicklung« zu investieren, also der Rüstungsindustrie neue Aufträge zu beschaffen. Für Deutschland bedeutet dies nach Medienberichten eine Verdopplung der Militärausgaben bis 2024. Das ergäbe – abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung – einen Betrag von 60 bis 80 Milliarden Euro. Der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Karl-Heinz Kamp, nannte die zwei Prozent angesichts dieser Dimension eine »hochpolitische Zahl«.
Ob sich Annegret Kramp-Karrenbauer dessen bewusst war, als sie sich zu dem Zwei-Prozent-Ziel bekannte, kann dahingestellt bleiben. Erinnert werden sollte an dieser Stelle an eine Überschrift des Handelsblattes vom 21. Juni 2014, knapp drei Monate vor dem NATO-Gipfel in Wales, die da lautete: »Krise der Rüstungsindustrie – EUROPAS KRIEGSMÜDIGKEIT IST SCHLECHT FÜRS GESCHÄFT – Die Branche rechnet mit neuen Aufträgen durch die Ukraine-Krise«.