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Italienische Impressionen  (Reiner Diederich)

Im sonnigen Süden sind Temperaturen um 30 Grad und mehr nichts Ungewöhnliches. Aber auch in Italien ist es in diesem Sommer heißer als üblich. Eine größere Bewegung gegen die drohende Klimakatastrophe wie Fridays for Future ist aber noch nicht in Sicht. Das hängt damit zusammen, dass die meisten hier, auch gerade die Jungen, viel zu sehr damit beschäftigt sind, ihre Existenz zu sichern, sagt unsere Freundin in Pisa. Und damit, dass die das politische Feld dominierende rechtspopulistische Lega des Innenministers Matteo Salvini die Klimakrise zwar nicht leugnet, aber mit anderen Themen überdeckt, ergänzt ihr Partner. Nicht nur mit dem Thema Flüchtlinge, sondern neuerdings mit dem Plan einer Pauschalsteuer, die angeblich die unteren Schichten entlasten soll.

 

Salvini hat von seinen Medienberatern den Spitz- oder Kampfnamen il capitano, der Kapitän, verpasst bekommen. Als er die Kapitänin des deutschen Seenotrettungsschiffs Sea-Watch 3 nicht nur daran hindern wollte, den Hafen von Lampedusa anzulaufen, um gerettete Flüchtlinge an Land zu bringen, sondern sie, nachdem sie sich über sein Verbot hinweggesetzt hatte, aufs Übelste beschimpfte, brachte die linksliberale Wochenzeitung L'Espresso Salvini und Carola Rackete zusammen aufs Titelblatt mit der Schlagzeile: »Capitano e no« – sinngemäß übersetzt: Kapitän und kein Kapitän.

 

Inzwischen ist die hochsymbolische Auseinandersetzung zwischen einem rechten Macho und Machthaber und einer jungen Frau, die sich für das Menschenrecht auf Leben einsetzt, in den italienischen Medien schon wieder etwas in den Hintergrund gerückt worden durch die neueste Affäre um die anscheinend versuchte Finanzierung der Lega aus dubiosen russischen Quellen. Salvini weiß selbstverständlich von nichts und strebt nun angesichts bester Umfragewerte Neuwahlen an.

 

Wird die Rechtsentwicklung in Italien aufzuhalten sein? Unsere Freunde sind skeptisch. Am Bahnhofskiosk in Ostia kaufen wir uns die Zeitschrift Cultura Identità. Sie enthält alle Namen und Stichworte, die für die Neue Rechte wichtig und charakteristisch sind. Es geht um ein neues Rinascimento, eine »nationale Wiedergeburt« als Gegenbewegung gegen die angebliche kulturelle Hegemonie der Linken. Dafür wird sogar Pier Paolo Pasolinis radikale Kritik am Konsumismus ins Feld geführt. Es geht gegen den sogenannten mondialismo tecnocapitalistico – ein typischer Kunstbegriff, der eine antikapitalistische Tendenz suggeriert, sich in Wirklichkeit aber nur gegen Phänomene wie »Globalismus«, Traditionsverlust und weltweite Migrationsbewegungen richtet.

 

Das Titelbild zeigt einen dem Meer entsteigenden nackten Jüngling mit rotem Helm, aus dem ein starker Lichtstrahl in die Zukunft weist. Faschistoide Ästhetik mit Zügen von Pop – aber das kennt man ja auch von einigen Musikbands bei uns. Hier ist es offenbar ganz ernst gemeint.

 

Nach Ostia sind wir auch gekommen, um die Gedenkstätte für Pasolini zu besuchen, der 1975 in diesem »tristen Strandort« – wie der Spiegel damals schrieb – ermordet wurde. Der angebliche Einzeltäter widerrief nach der Gefängnisstrafe sein Geständnis, sprach von einer Gruppe von Schlägern und deutete politische Motive an. Eine späte Wiederaufnahme des Verfahrens brachte keine Klärung mehr. Pasolini war als Homosexueller, Kommunist und scharfer Kritiker der Verhältnisse in Italien bei der Rechten verhasst.

 

Mit Mühe und mehrfachem Nachfragen bei Passanten finden wir den kleinen Park, der nach Pasolini benannt ist. Er liegt am Rand eines Vogelschutzgebiets. Keine Wegweiser führen da hin. Das Denkmal, das die Stadt Rom 2005 errichtet hat, zeigt eine Taube oder Möwe mit erhobenen Flügeln, dazwischen eine runde Scheibe – Symbol für die Erde oder die Sonne. Darunter ein Vers von Pasolini. Andere Zitate sind ringsherum auf Tafeln verteilt.

 

Eine einsame Gegend. In der Nähe, versteckt im Gebüsch, offenbar ein Nachtlager von Obdachlosen oder Sinti und Roma. Innenminister Salvini lässt diese gerade im ganzen Land zählen, was immerhin zu starkem Protest in der Öffentlichkeit geführt hat.

 

Etwas weiter entfernt steht der von Michelangelo entworfene Tor San Michele, ein eindrucksvolles Bauwerk der Renaissance. Den Blick auf den Turm stört ein großer Müllhaufen. Der Eingang ist verschlossen, kein Hinweis auf Öffnungszeiten. Wenn sich diejenigen, die heute Salvini und seinesgleichen nachlaufen, darum kümmern würden, wie mit einem solchen Zeugnis italienischer Baukultur umgegangen wird, könnte man ihnen wenigstens ihre Sorge um die Bewahrung der italienità abnehmen.