Regelmäßig holt sich die Politik Rat bei den führenden Ökonomen. Die Bevölkerung aber mißtraut beiden mehr und mehr: den Wirtschaftsweisen und den Politikern. Das Vertrauen in das, was sie als freie und soziale Marktwirtschaft rühmen, ist laut den letzten Umfragen so niedrig wie nie zuvor. Wie auch anders, wenn man sich ihre Analysen, Voraussagen und Marktrezepte anschaut?
Musterbeispiele für die Berechtigung solchen Mißtrauens liefert mindestens jeden Monat der Mann, den die Bild-Zeitung zu Deutschlands klügstem und bedeutendstem Wirtschaftsprofessor ernannt hat und dem wir oft im Fernsehen begegnen, vor allem in sogenannten Talkshows. Wenn er oder sein Institut Analysen vorlegen oder Voraussagen machen, servieren die Wirtschaftsjournalisten der Monopolpresse ihrer Leserschaft diese Verlautbarungen so, als wären sie der Weisheit letzter Schluß – obwohl sie sich ständig widersprechen.
Gemeint ist Hans-Werner Sinn (60), Chef des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo), Mitglied des Aufsichtsrats der HypoVereinsbank, Honorarprofessor für Nationalökonomie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. (Selbstverständlich findet der hochgeschätzte Wissenschaftler noch manche anderen Gelegenheiten, seine Einkommen durch Beratertätigkeit und Vorträge aufzubessern.) Ossietzky hat die Mitteilungen gesammelt, die Sinn und sein Institut im letzten halben Jahr fabriziert und publiziert haben.
Am 26.2.08 sagt Professor Hans-Werner Sinn: »Insgesamt befindet sich die gewerbliche Wirtschaft in einer robusten Verfassung, und in Deutschland geht es weiter aufwärts.« Kaum sind drei Wochen vergangen, verkündet er am 18.3. apodiktisch das Gegenteil: »Was auch immer geschieht, die Party ist vorbei. Auch in Deutschland«, und er weissagt, die US-Finanzkrise werde die gesamte Weltwirtschaft nach unten ziehen. Schon eine Woche später ändert Sinn erneut den Sinn und sagt am 26.3.: »Die Konjunktur hat in Europa und Deutschland an Schubkraft gewonnen. Und zwar seit Jahresbeginn.« Anfang April bekräftigt der Wirtschaftsprofessor dies öffentlich: »Das Wachstum bleibt solide.« Aber schon eine Woche später scheint er sich eines besseren, vielmehr schlechteren besonnen zu haben. Denn er läßt sein Institut folgende Erklärung abgeben: »Der Geschäftsklima-Index ist innerhalb eines Monats von 104,8 auf 102,4 Punkt im April gefallen; eine Folge der trüben Stimmung in den Unternehmen. Die Konjunktur wird bröckeln.«
Am 15. Mai meint das Statistische Bundesamt: »Deutschland ist wieder die Konjunkturlokomotive Europas geworden. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs stärker als im übrigen Euro-Raum und so kräftig wie seit zwölf Jahren nicht mehr.« Andere in- und ausländische Institute präsentieren ähnliche Zahlen. Das läßt Sinn nicht ruhen. Jetzt überschlagen sich sein Institut und er geradezu. Am 21.5. meldet das Ifo-Institut, im April sei der Indikator für das »Weltwirtschaftsklima« von 90,4 auf 81,4 Punkte eingebrochen. Auch die Konjunkturerwartungen in der BRD würden geringer. Doch bereits nach zwei Tagen korrigiert sich Sinn (aus welchen Gründen auch immer) mit dem Satz: »Die deutsche Wirtschaft steht auf einem soliden Fundament. Der Index ist im Mai wieder gestiegen.« Genau einen Monat später (23.6.) hören wir aus seinem Mund schon wieder das Gegenteil: »Eindeutig skeptisch müssen die Zukunftserwartungen für die deutschen Unternehmen eingeschätzt werden. Der Aufschwung ist zu Ende.«
Am 2.7. behauptet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) dagegen: »Der Aufschwung bleibt intakt und setzt sich auch nächstes Jahr fort.« Auch der Internationale Währungsfonds sagt für die BRD ein Wachstum von zwei Prozent im Jahresdurchschnitt voraus. Das Ifo-Institut aber ist da wieder ganz anderer Meinung. Sinn teilt wenige Tage später mit: »Der konjunkturelle Aufschwung geht zu Ende« und fordert deshalb ganz im Sinn seiner Auftraggeber, die Reichen von Steuerpflichten zu entlasten.
Sicher stellt mancher die Frage, wie es kommt, daß die Monopolpresse ihn unentwegt weiter zitiert, kein Wort über seine dicht aufeinander folgenden Widersprüche verliert, sondern ihn als einen der ganz großen Wirtschaftsweisen lobpreist. Die Erklärung ist einfach. Denn er äußert sich immer verläßlich im Sinne des Kapitals und der neoliberalen Profiteure, zu denen er selbst gehört. So zitieren sie mit Wonne seine Worte von Anfang Juni: »Hartz IV macht nicht arm. Auf jeden Fall ist es in anderen EU-Staaten noch schlimmer.«
Selbstverständlich tritt er energisch dafür ein, die Nacht- und Feiertagszuschläge abzubauen, den Kündigungsschutz zu minimieren, die angebliche Macht der Gewerkschaften und Betriebsräte einzuschränken und die noch verbliebenen Reste der sozialen Errungenschaften der Arbeitnehmer zu beseitigen. Seine »Warnungen« kommen übrigens oft, wenn wichtige Tarifverhandlungen anstehen. So macht er sich nützlich und wird deshalb in den Kapital-Medien nicht kritisiert, sondern gehätschelt, und weil er ein so außerordentlich weiser Experte ist, erhält er selbstverständlich immer wieder reichlich Sendezeit auf allen Frequenzen. Nicht jeder hat hierzulande Pressefreiheit. Aber er. Um unsereinem mit seinem Unsinn die Köpfe zu verdrehen.