25.000 Journalistinnen und Journalisten sind zu den Olympischen Spielen in die Volksrepublik China gereist. Wir wissen nicht, wie viele von ihnen zwecks Sportberichterstattung und wie viele mit anderen Absichten dort angerückt sind. In ersten Rundfunksendungen war von großem Reporter-Andrang bei einigen Dissidenten die Rede. Von den Interviewten wurde immer nur eines erwartet: Sie sollten sagen, diese Spiele seien eine Menschenrechtskatastrophe.
Hauptthemen westlicher Medien schon seit Monaten waren die Autonome Region Tibet (zur Unterstützung des Dalai Lama, der das sportliche Ereignis für seine politischen Zwecke zu nutzen versucht), die Autonome Region Xinjiang (zur Unterstützung dortiger islamischer und anderer Minderheiten), die Falun-Gong-Sekte (zu der die Medien Internet-Zugang forderten), die Zensur (weil der Internet-Zugang gesperrt war) und Doping in China. Und das meistgebrauchte Wort in den Sendungen und Artikeln vor der Eröffnung der Spiele waren die Menschenrechte.
Über die Menschenrechte in China gäbe es sicher viel Kritisches zu sagen, vor allem über die dort häufig verhängte und vollstreckte Todesstrafe. Doch gerade davon war kaum die Rede. Warum nicht? Vielleicht aus Rücksicht auf die USA, deren derzeitiger Präsident als Gouverneur von Texas 130 mal die Todesstrafe vollstrecken ließ (und jetzt in seinen Angriffskriegen täglich schuld an weiteren Massakern wird)? An den Aufbauleistungen, mit denen das volkreichste Land der Erde den Hunger und andere Plagen nahezu überwunden hat, zeigten westliche Medien wenig Interesse. Ihr Hauptanliegen war offenbar, ethnische und religiöse Konflikte zu schüren, die in den vergangenen Jahren selten aufgeflackert waren – also das friedliche multikulturelle Zusammenleben im Gastgeberland zu stören, Zusammenstöße zu provozieren.
Schrecklicher als mit den Bombenattentaten in der Autonomen Region Xinjiang hätte die Eröffnungswoche der Olympischen Spiele in Peking kaum beginnen können. Was aber das Schrecklichste war: Nach den publizistischen Kampagnen der vorangegangenen Wochen wunderte man sich schon gar nicht mehr darüber. Die Attentate wirkten in der westlichen Berichterstattung vielmehr so, als wären sie notwendig, um die Kampagnen fortsetzen und verstärken zu können.
Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) gab gleich die erforderlichen Informationen über Xinjiang: »...Nach der Gründung der Volksrepublik 1949 hatten sich die kommunistischen Machthaber die Region einverleibt.« Unsere wichtigste Informationsquelle wußte auch zu berichten, »viele« Uiguren in der multiethnischen Provinz beklagten ihre Unterdrückung durch die Chinesen und wünschten sich die »Wiederherstellung ihrer früheren ostturkestanischen Republik«. So war mit wenigen Zeilen dafür gesorgt, daß in unserem Weltbild die Fronten stimmen. Was nicht stimmt, sind die Fakten. In jedem guten Lexikon kann man nachlesen, daß eine kommunistische »Republik Ost-Turkestan« bereits seit 1945 bestand, Jahre vor der Ausrufung der Volksrepublik China. Auch bei Wikipedia steht, daß die Eingliederung Xinjiangs in die VR China friedlich vor sich ging. Aber jetzt ist in dieser (notabene öl- und wasserreichen) Autonomen Region offenbar das gleiche mörderische Spiel im Gange wie schon seit langem in Tibet (s. Ossietzky 6/2008).
25.000 Journalisten, die fast alle nur ein und dasselbe von sich geben! Man stelle sich vor, was sie alles entdecken und aufdecken könnten, in China, vor allem aber in ihren Herkunftsländern, wenn sie sich nicht immer nur in Massen auf vorgebliche Sensationen stürzen, sondern sich im Alltag um die Menschen und deren Rechte kümmern würden. Erkämpft das Menschenrecht – wer erteilt ihnen diesen Auftrag?
25.000 Journalisten, die großenteils als Feinde der Gastgeber angerückt sind! Wehe den Chinesen, wenn in ihrem Team ein Fall von Doping bekannt würde. Die ARD brachte es fertig, uns schon vor den Spielen in einer Reportage unter dem Titel »Olympia im Reich der Mittel« über Doping im chinesischen Spitzensport zu informieren – mit Indizien, die vor keinem Sportgericht Bestand hätten. Der propagandistische Zweck war simpel: Medaillengewinne chinesischer Olympiateilnehmer sollen uns von vorn herein als erschwindelt erscheinen, unverdient, jedenfalls weniger verdient, als es »unsere« Erfolge wären ...
Kulturchauvinismus. Von diesem Stoff werden wir in den nächsten Tagen noch einiges geboten bekommen.