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Titel1608

Eislinger Kompromiß  (Kurt Pätzold)

Eislingen, gelegen an der Mündung der Krumm in die Fils, ist eine jener Mittelstädte im Schwabenlande, die auf ihre bis ins erste Jahrtausend unserer Zeitrechnung zurückreichende Geschichte verweisen, freilich ohne daß aus ihrer Vergangenheit Aufregendes oder gar Sensationelles zu berichten wäre. Gleiches gilt für ihre Gegenwart. Dennoch hat sie kürzlich eine gewisse Aufmerksamkeit zu erregen vermocht. Und das kam so.

Der Gemeinderat, dem Beispiel anderer Städte folgend, beschloß, zur Information von Einwohnern wie Gästen Schilder mit Straßennamen, für die es geboten erscheint, mit einem aufklärenden Zusatz zu versehen. Wer war der Mann oder die Frau? Was sagt uns der Ortsname? Diesen Einfall bereicherte der Gemeinderat mit der weiteren Idee, Schüler aufzufordern, für solcherlei Beschriftung Vorschläge zu machen. Das gefiel einem Geschichtslehrer am Orte, der sich davon eine Belebung seines Unterrichts durch vermehrtes Interesse seiner Schützlinge versprach, mit denen er im Stoff der neunten Klasse gerade beim Ersten Weltkrieg angekommen war. Der Pädagoge irrte sich nicht. Die Eleven der Schillerschule, einer von zwei Grund- und Hauptschulen in der Stadt, machten ihrem Namenspatron alle Ehre und folgten dessen Wort: »Frisch also, mutig ans Werk.«

An Sachwissen fehlte es ihnen nicht, denn auf der Liste der Straßennamen, für deren knappe Kommentierung sie sich zuständig halten konnten, standen Paul von Hindenburg und Karl Liebknecht, Tannenberg und Skagerrak, Personen und Orte also, die sämtlich auch oder ausschließlich in die Weltkrieg-I-Jahre wiesen. Was sie dann vorschlugen, traf Wesentliches. Karl Liebknecht, so sollte angemerkt werden, sei von Rechtsextremen ermordet worden, und von Hindenburg habe Hitler an die Macht gebracht. Vom ostpreußischen Tannenberg, meinten sie, sollte nicht nur geschrieben stehen, daß 1914 dort deutsche und russische Truppen mörderisch aufeinander losgegangen waren, sondern auch, daß sich an den Namen ein Mythos knüpfte, der wiederum in den Krieg gewiesen habe.

So indessen, erfuhren sie alsbald, hatten die im Rate der Stadt, in dem die CDU die stärkste Fraktion stellt, die Sache nicht gemeint. Zwar ließ sich am Text dieser Zusätze nichts bemängeln, aber Ratsmitglied Dr. Thullen, ein volksverbundener Christdemokrat, befand, daß derlei den Bürgern nicht zumutbar wäre – ein bemerkenswerter Befund, weil er die Eislinger aus der Bundesbürgerschaft herausnimmt, die doch, Aussagen bedeutender Parteifreunde des Doktors zufolge, ihre Meisterschaft in kritischer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte immer wieder bewiesen hat.

Jedenfalls wurden die Schülervorschläge auf das Zumutbare herunter transformiert, Hindenburgs Tat vom 30. Januar 1933 mit der Formulierung, er habe Hitler zum Reichskanzler ernannt, vom Staatsstreich auf eine verfassungskonforme Tat herabgestuft, Tannenberg als ein Schlachtort vermerkt, wie es in der Menschheitsgeschichte tausende gegeben hat. So etwas nennt der Gemeinderat dann einen Kompromiß. Wiewohl sich Lehrer und Schüler in der Sache als gescheitert ansehen mußten, hätten sie das Projekt doch als einen Erfolg gewertet, teilt die Stuttgarter Zeitung mit, seien sie doch unvermutet zu einem »Lehrstück politischer Meinungsbildung« gelangt. Was das besagt, darüber wird geschwiegen und auch darüber, ob sich die Schillerschüler angesichts dieser Erfahrung nicht noch einmal bei ihrem Namenspatron bedient haben, wo des Marquis »Doch große Seelen dulden still« oder des Fürsten »Die ? Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn, ist stets bei wen’gen nur gewesen« gleichsam im Angebot sind.