erstellt mit easyCMS
Titel1609

Eine amerikanische Karriere  (Hartwig Hohnsbein)

Carey Cash entstammt einer angesehenen Familie. Sein Großonkel Johnny Cash war einer der erfolgreichsten US-amerikanischen Country-Sänger und Song-Schreiber. Seine etwa 500 Songs, die auf mehr als 53 Millionen Tonträgern verkauft wurden, bescherten ihm beträchtlichen Reichtum. Careys Vater war mehr als 30 Jahre hochdekorierter Marineflieger und brachte es zum Befehlshaber einer Fliegerstaffel. Seine Mutter ist nach eigenen Aussagen eine begnadete Bibelauslegerin, die eine führende Rolle in der evangelikalen »Christlichen Frauenbewegung« spielt und dazu eine der ersten Internet-Gebetsgemeinschaften gründete. Careys Schwester Kellye wurde 1987 zur »Miss America« gewählt; er selbst war zu dieser Zeit, gerade siebzehn Jahre alt, schon ein gefragter Football-Spieler, um den sich Vereine und Hochschulen bemühten.

Carey ging für drei Jahre zur Militärakademie Citadel, South Carolina, wo er das Offizierspatent erwarb. Nach einer überstandenen Tumorerkrankung beschloß er, in Zukunft »Gott zu dienen«. Seiner Mutter sagte er, er wolle nicht wie sein Vater die »Goldenen Flügel« tragen, das Emblem der Marineflieger, sondern das »Goldene Kreuz« der Priester. So ließ er sich auf dem theologischen Seminar in Fort Worth, Texas, einem Ausbildungszentrum der Evangelikalen, zu einem Prediger der »Südlichen Baptisten« ausbilden. Die »Südlichen Baptisten« sind mit etwa 16 Millionen Mitgliedern nach den Katholiken die größte christliche Gemeinschaft in den USA; sie stehen den Republikanern nahe und trugen 2004 maßgeblich dazu bei, daß der »wiedergeborene« George W. Bush wiedergewählt wurde.

Nach seiner Predigerausbildung war auch Carey ein »wiedergeborener Christ«. Er schrieb nun ein Buch, in dem er die Erkenntnisse aus seinen beiden Ausbildungsgängen verbinden konnte: einen psychologischen Leitfaden für Soldaten im Krieg. Dieses Werk wurde mit 150.000 Exemplaren sein erster Bestseller. Bald danach, im August 2001, erreichte ihn eine gute Botschaft: Er wurde aus seiner Gemeindearbeit an einer Baptistenkirche heraus zum Militärpfarrer des 1. Bataillons des 5. Marines-Regiments berufen. Diese Einheit, die etwa 1300 Kämpfer umfaßt, gilt als die Elitetruppe der Elitesoldaten, der Marines, die als die »besonders harten amerikanischen Kämpfer« gerühmt werden – das heißt, daß sie das Tötungs- und Vernichtungshandwerk besonders gut verstehen, eben Mordskerle. Deshalb war es selbstverständlich, daß sie am 20. März 2003 als erste Einheit in den Irak einmarschierten. Dabei und in den folgenden Tagen erlebte der Soldatenpriester Carey ein göttliches Zeichen über das andere von seinem angebeteten Schlachte(n)gott. Schon am ersten Tag töteten seine Marines 100 Iraker und nahmen 300 gefangen bei nur wenigen eignen Verlusten. Besonders erfreulich war für den Geistlichen, daß am ersten Tag des Krieges sein Gottesdienst sechsmal so gut besucht war wie im Frieden, und er wußte: Je schlimmer die Tage werden, desto mehr Soldaten werden zu ihm kommen; es sollten dann 150 und mehr sein.

Am zweiten Kriegstag stieß seine Einheit als Vorhut früh morgens zu den ersten Ölquellen vor, und wieder ein Wunder: Sie waren noch intakt. Doch das größte Wunder seines Gottes sollte erst noch kommen, am 10. April 2003. Das war der Tag, an dem der Präsidentenpalast in Bagdad gestürmt werden sollte. Acht Stunden lang »prasselten feindliche Kugeln und Raketen auf das 1. Bataillon nieder«. Als dann »die Aufgabe gelöst« war, stellte sich heraus, daß nur ein eigner Mann getötet worden war. »Die Gegenwart Gottes war überall unleugbar, wir konnten sie reichlich erfahren«, verkündete der Kriegsprediger und verfaßte 2005 einen 240seitigen Bericht über diese ersten Kriegstage im Irak 2003 mit dem Titel »A Table in the Presence« – dem 23. Psalm Vers 5 nachgebildet (»Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde«). Das Buch wurde ebenfalls ein Bestseller und in der amerikanischen Öffentlichkeit als »Glaubensstütze« und »Gottesbeweis« hoch gepriesen.

Am Ende des Buches hält der Verfasser Rückblick auf die gefallenen »heldenhaften« Männer seiner Einheit: »Sie haben«, verkündigt er der Öffentlichkeit, »ihr Leben als notwendige ›Opfer‹ gegeben in einem Krieg, der ›gerecht‹ war und eine ›edle Angelegenheit‹ (›noble cause‹)«.

Ende Juni 2009 ging der Name der Kriegspredigers Carey erneut durch die amerikanischen Medien, nachdem das Time magazine gemeldet hatte, der neue US-Präsident Barack Obama habe nach einem Jahr der geistlichen Heimatlosigkeit und nach langem Suchen in verschiedenen Gemeinden, auch mit besonderen Spähern, nun eine (vorläufige) »geistliche Heimat« gefunden, und zwar in der konfessionell unabhängigen Gemeinde »Evergreen Chapel« am offiziellen Landsitz der US-Präsidenten, in »Camp David«. Dortiger Geistlicher ist seit Januar 2009: Carey Cash. Nachdem der Präsident mit seiner Familie schon mehrfach seine Gottesdienste besucht hatte, ließ das Weiße Haus verbreiten: »Sie haben die Gottesdienste genossen«, und die evangelikale Presse bejubelte Obamas Entscheidung für diese Militärgemeinde: »Er folgt George Bushs Fußspuren.«

Leutnant-Pastor Carey darf zwar nicht darüber reden, welche Rolle er als Geistlicher in Camp David spielen wird, freuen wird er sich über die präsidiale Entscheidung aber doch, genau so wie über eine andere Meldung einen Tag später. Darin wurde bekannt gegeben, daß bei der ersten Großoffensive, die Obama in Afghanistan anordnete, das 1. Bataillon des 5. Marines-Regiments wieder an der Spitze marschieren durfte, »hin zu Orten, wo niemand zuvor gewesen ist« – seine guten alten Kriegskameraden.