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Titel1609

Rehabilitierung. Ein Lehrstück  (Helmut Kramer)

Das Wichtigste vorweg: Die Todesurteile der Wehrmachtsjustiz gegen die sogenannten Kriegsverräter sollen endlich aufgehoben werden. Wenn der Bundestag – nach der in größter Eile am 2. Juli eingeschobenen ersten Lesung – in der Sondersitzung am 26. August 2009 das Unrechtsaufhebungsgesetz von 1998 entsprechend ergänzt, wird dieses Kapitel endlich juristisch aufgearbeitet sein. Trotzdem darf man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wenn man, wie Politiker oft beschwören, »aus der Vergangenheit lernen« will, muß auch die Frage, wie wir seit Kriegsende mit dem Unrecht umgegangen sind, zum Gegenstand der Aufarbeitung gemacht werden. Und zu dieser Auseinandersetzung gehört der fast bis in die letzten Tage anhaltende Versuch, die Rehabilitierung der Ermordeten bis zum Sanktnimmerleinstag aufzuschieben. Ich beschränke mich hier darauf, die Entwicklung der letzten Jahre zu rekapitulieren.

Als im Jahre 2002 die Urteile gegen Deserteure und »Wehrdienstverweigerer« pauschal aufgehoben wurden, scheiterte die Rehabilitierung der »Kriegsverräter« nicht nur an CDU und FDP; auch die SPD, die mit den Grünen, ihrem damaligen Koalitionspartner, über die Mehrheit verfügte, widersetzte sich – aus parteitaktischen Gründen, die allemal die entscheidenden waren. Bei den Sozialdemokraten galt damals Gerhard Schröders Wort »Mit mir nicht!«

Daß das Thema im 16. Deutschen Bundestag erneut auf die Tagesordnung gelangte, ist allein der Linksfraktion zu verdanken. Der im Oktober 2006 von ihr eingebrachte Antrag hatte die allerbesten Aussichten. Denn er konnte sich auf die akribischen Forschungen von Wolfram Wette stützen, deren Ergebnisse, nach einem Zwischenbericht von 2006, seit 2007 in Buchform vorliegen: Wolfram Wette / Detlef Vogel (Hg.) unter Mitarbeit von Ricarda Berthold und Helmut Kramer: »Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat«. Doch gleich in der ersten Lesung am 10. Mai 2007 trat neben den Sprechern von CDU/CSU und FDP auch der Berichterstatter der SPD, Carl-Christian Dressel, dem Rehabilitierungsanliegen vehement entgegen, indem er einen Teil der »Kriegsverräter« vehement verunglimpfte; das Protokoll der damaligen Bundestagsdebatte ist ein Dokument der Schande. Danach ließ man den lästigen Antrag erst einmal eineinhalb Jahre schmoren.

Am 5. Mai 2008 fand im Rechtsausschuß eine Öffentliche Anhörung mit sieben Sachverständigen statt, aber mit der Beschlußfassung hatte der Ausschuß keine Eile. Offensichtlich wollten die Koalitionspartner den lästigen Antrag gewissermaßen verjähren erlassen. Bestärkt wurden sie durch das auffällige Schweigen der Medien. Eine löbliche Ausnahme machten einige öffentlich-rechtliche Sender, darunter Deutschlandfunk, Westdeutscher und Südwestdeutscher Rundfunk und der Bayrische Rundfunk, der ein einstündiges Feature von Dörte Hinrichs und Hans Rubinich ausstrahlte. Gewöhnlich beschäftigen sich die Massenmedien mit Initiativen der Linksfraktion nur dann, wenn sie angeblich nicht mehrheitsfähig und deshalb »utopisch« sind. Je plausibler die Forderungen der Linken sind, desto weniger passen sie in die Vorgaben der Massenmedien.

Daß dennoch Bewegung in die Sache kam, ist einer groben Fehlleistung des Sachverständigen zu verdanken, den die CDU/CSU für die Anhörung am 5. Mai 2008 gestellt hatte. Ich konnte ihm die handfeste Fälschung eines Todesurteils nachweisen, mit dessen Hilfe seine Auftraggeber belegen wollten, daß es wenigstens einen »Kriegsverräter« gab, dessen Verhalten nicht rehabilitierungswürdig sei (s. Ossietzky 23/08). Der Spiegel, der im Frühjahr 2008 noch voll auf die Geschichtsfälschung des Professors Rolf-Dieter Müller hereingefallen war, griff Ende Januar 2009 auf, was ich herausgefunden hatte, danach berichtete auch die taz. Nach einer von der Linksfraktion am 6. März 2009 veranstalteten Öffentlichen Anhörung wurden nach und nach auch andere Medien hellhörig, die nun die Informationen auf meiner Website und meinen Aufsatz in den Blättern für deutsche und internationale Politik 3/09 auswerten konnten. Fast sämtliche Tageszeitungen setzten sich mehr oder minder ausführlich mit dem Thema auseinander.

Doch nicht nur die Koalitionsfraktionen, auch die SPD-Fraktion zeigte sich faktenresistent. Die Rehabilitierungsgegner klammerten sich an einen nationalistisch aufgeladenen Verratsbegriff, der nicht zwischen dem Verrat eines Terrorregimes und der Bekämpfung des Rechtsstaates unterscheidet. Mit der absurden These, der Bundestag würde mit der Aufhebung der Todesurteile den für sie verantwortlichen Kriegsrichtern schweres Unrecht antun, hielt der Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion, Norbert Geis, an der Legende von der im Kern, insbesondere in der Wehrmachtsjustiz, sauber gebliebenen Wehrmacht fest, und der Berichterstatter der FDP, Oberst der Reserve Jörg van Essen, ersetzte Sachargumente durch Sprechblasen, indem er den Rehabilitierungsantrag schlicht für »brandgefährlich« erklärte. Im Übrigen verwiesen die Rehabilitierungsgegner die Hinterbliebenen der »Kriegsverräter« auf die Möglichkeit einer bei den Staatsanwaltschaften zu beantragenden Überprüfung des Einzelfalles. In einem Schreiben an Bundesjustizministerin Zypries vom 28.6.2009 mußte ich darlegen, daß eine Einzelfallregelung schon deshalb keine Abhilfe bringen kann, weil die allermeisten Angehörigen weder über das Urteil verfügen noch überhaupt wissen, auf welchen Paragraphen das Todesurteil gestützt worden ist.

Die SPD kam auch mit der abenteuerlichen Behauptung, die Urteile gegen »Kriegsverräter« seien unbemerkt schon im Jahr 2002 aufgehoben worden, der Antrag der Linksfraktion sei deshalb für gegenstandslos zu erklären. Dazu hatte ich das Nötigste schon in der Rechtsausschußsitzung vom 5. Mai 2008 gesagt, und ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages vom 8. Juli 2008 hatte meine Darstellung bestätigt.

Angesichts der andauernden Weigerungshaltung der Koalitionsfraktionen war es notwendig, erneut gezielt Journalisten auf den Skandal anzusprechen, auch diesmal wieder mit Erfolg: Vom 26. bis 28. Mai 2009 erschienen in allen großen deutschen Tageszeitungen Artikel mit heftiger Kritik an dem abweisenden Verhalten der Regierungskoalition, und Deutschlandradio Kultur brachte ein Interview mit mir. Doch die SPD-Fraktion verweigerte sich weiterhin dem Rehabilitierungsanliegen und ließ sich auch nicht auf das Angebot der Linksfraktion ein, die ihren Antrag für den Fall zurückzuziehen versprach, daß die SPD einen eigenen Gesetzentwurf einbringe. Auch die vielen Wissenschaftler, die mit Schreiben an Abgeordnete auf meine Rundmails reagierten, machten die Fraktionsspitzen nicht nachdenklich.

Doch bei einzelnen Abgeordneten regte sich nun das Gewissen, das eigentlich immer die oberste Instanz sein soll, aber oft von der Fraktionshierarchie unterdrückt wird; in diesem Fall konnte es sich auf die einhellige historische Forschung berufen. Initiiert durch die SPD-Abgeordneten Christine Lambrecht und Frank Schwabe wurde ein interfraktioneller Gruppenantrag erarbeitet, der in kurzer Zeit von 162 Abgeordneten unterschrieben wurde, darunter 69 SPD-, aber auch einigen CDU/CSU- sowie FDP-Abgeordneten. Der Koalitionsvertrag, der den Fraktionen eigenständige Anträge verbietet, nimmt ihnen nicht die Möglichkeit, sich an solchen Gruppenanträgen zu beteiligen, die quer durch die Fraktionen initiiert werden (siehe das Gesetz über die Patientenverfügung). Doch Joachim Stünker und Carl-Christian Dressel forderten alle SPD-Abgeordneten kategorisch auf, den Gruppenantrag nicht zu unterschreiben. Eine solche, nur noch parteitaktisch begründete Fraktionsdisziplin verhöhnt Artikel 38 Grundgesetz und versucht, die Volksvertreter zum bloßem Stimmvieh zu machen.

Bis zuletzt versuchte die SPD-Fraktionsspitze, die Rehabilitierung zu verhindern. Thomas Oppermann als parlamentarischer Geschäftsführer der SPD vereitelte, daß der Gruppenantrag vor der Sommerpause auf die Tagesordnung des Rechtsausschusses gesetzt wurde. Die Absicht war, jede weitere Diskussion vor der Bundestagswahl zu vermeiden.

Mit zwei Dingen hatte man allerdings nicht gerechnet. Zum einen damit, daß die Auflagen in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag eine Sondersitzung des Bundestages vor der Wahl erforderlich machten, zum anderen, daß erneut Druck aus den Medien kam; Ende Juni, Anfang Juli erschienen zahlreiche Artikel. Dieselben Politiker, die das Rehabilitierungsbegehren nahezu drei Jahre vor sich hergeschoben hatten, um es bis zum Ende der Legislaturperiode auszusitzen, verhandelten jetzt in einem hektischen Hin und Her innerhalb von 36 Stunden über einen Ausweg.

Auf ihrer Fraktionssitzung am 30. Juni vollzog die SPD die Wende. Fraktionschef Peter Struck erklärte, mit der Union sei keine Einigung möglich. Daraufhin beschloß man, daß die SPD-Fraktion nun doch – geschlossen – den Gruppenantrag unterstützt. Auf diese Weise wollte man auch den Unmut des linken Flügels über den Rückzieher der Fraktionsführung bei der Wahlrechtsreform (Überhangmandate) besänftigen.

Angesichts des drohenden Gruppenantrages, den die Union als Ausbruch der Anarchie fürchtete, war die CDU/CSU-Fraktion plötzlich zu einer Drehung um180 Grad bereit. Unter Kaltstellung des langjährigen Berichterstatters Norbert Geis beschloß sie einstimmig, sich mit der SPD rasch über einen gemeinsamen Gesetzentwurf zu einigen. Damit befreite sie die SPD von der Furcht vor dem Zustandekommen einer rot-rot-grünen Mehrheit. Schon am 1. Juli arbeiteten die Spitzen der beiden Koalitionsfraktionen einen Marschplan aus und stellten dem Gruppenantrag einen Koalitionsentwurf entgegen. Nach der ersten Lesung am 2. Juli im Bundestag und diesmal rascher Beratung im Rechtsausschuß wird also das Plenum in der Sondersitzung am 26. August mit überwältigender Stimmenmehrheit die »Kriegsverräter« rehabilitieren – ohne daß es auf die Stimmen der Linksfraktion ankäme, von der sich die SPD weiterhin um Lichtjahre distanzieren möchte.

Dieselben Abgeordneten, die die »Kriegsverräter« lange Zeit pauschal verunglimpften, erklären die Rehabilitierung plötzlich zu einer »richtigen und überfälligen Entscheidung« (Carl-Christian Dressel in Das Parlament 28/09). Den Meinungsumschwung in der Union führt der Abgeordnete Jürgen Gehb auf angeblich erst jetzt überraschend aufgetauchte »neue Erkenntnisse von Historikern« zurück – obwohl die Ergebnisse von Wolfram Wettes Recherchen schon Mitte 2007 in das Publikationsangebot der Bundeszentrale für politische Bildung aufgenommen worden waren. Die ganz »neuen Studien« (Fraktionschef Volker Kauder), die »erst seit kurzem vorliegen« (CDU-Abgeordnete Antje Blumenthal), benötigten bis zur Kenntnisnahme der Union eine ziemlich lange Leitung.

Geradezu abstoßend berührt mich das – für die SPD-Fraktion hoffentlich nicht repräsentative –Verhalten des Abgeordneten Thomas Oppermann. Er reklamiert für sich, sich seit Jahren für das Rehabilitierungsanliegen eingesetzt zu haben. Die SPD habe sich seit langem um die Aufhebung der Todesurteile bemüht. Nun habe sich auch die Union endlich bewegt. Überhaupt basiere die Initiative der Linkspartei zur Aufhebung der Urteile auf einem SPD-Vorschlag. Eben dieser Oppermann war es, der, als die Gefahr eines Erfolgs des interfraktionellen Gruppenantrags bestand, sich nicht scheute, in der Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer gegen dessen Aufnahme in die Tagesordnung des Bundestages zu stimmen.

Ähnlich spricht Joachim Stünker sich und seiner SPD-Fraktion das Verdienst zu, die »Kriegsverräter« am liebsten schon im Jahre 2002 rehabilitiert gesehen zu haben. Nur mangels einer Bundesratsmehrheit habe man darauf verzichtet. Aber das Unrechtsbeseitigungsergänzungsgesetz von 2002 bedurfte gar nicht der Zustimmung des Bundesrats. Auf das Wohlwollen der Union war die rot-grüne Koalition damals nicht angewiesen.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bewies ein besseres Erinnerungsermögen, als sie am 25. April 2006 argumentierte: »Ausdrücklich nicht aufgenommen wurden Straftatbestände, bei denen die Aufhebung des Urteils ohne Einzelfallprüfung nach wie vor nicht verantwortbar erschien. Hierzu gehörte vor allem Kriegsverrat«. In der Bundestagssitzung vom 10. Mai 2007 wiederholte Carl-Christian Dressel diese Begründung und fügte hinzu: »An dieser Einschätzung wird festgehalten«.

Es geht hier nicht darum, wem das Urheberrecht an der jetzt angekündigten Rehabilitierung zusteht. Wichtig ist aber, wer sich als aufrechter Demokrat verhalten und wer umgekehrt mit unredlicher Parteitaktik dazu beigetragen hat, das öffentliche Ansehen des Bundestages noch weiter sinken zu lassen.

Dazu ist festzustellen: Das Verdienst in dieser Sache kommt in erster Linie einem Rechtshistoriker zu, sodann der Linksfraktion, die sich durch gewissenhafte historische Forschung hat überzeugen lassen. Es war Wolfram Wette, der in Ersatzvornahme für das entgegen seinem Auftrag in all den Jahrzehnten untätig gebliebene Militärgeschichtliche Forschungsamt in mühseliger Arbeit die Geschichte der »Kriegsverräter« und der über die verhängten Urteile untersucht hat. Und in der Linksfraktion war es besonders der junge Abgeordnete Jan Korte, der diese Forschungsergebnisse in eine politische Initiative umgesetzt hat. Dank gebührt auch den vielen Bürgern, die die Rehabilitierung nachdrücklich gefordert oder befürwortet haben, vor allem Ludwig Baumann, einem der letzten überlebenden Opfer der Wehrmachtsrichter.

Genannt werden müssen die Neue Richtervereinigung; die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen, die Jungsozialisten und die trotz der Einschüchterungsversuche der Fraktionsspitze ihrem Gewissen folgenden Abgeordneten des linken Flügels der SPD, darunter Christine Lambrecht und Frank Schwabe (stellvertretend für viele andere) und bei den Grünen Wolfgang Wieland, der sich wie auch Christian Ströbele schon seit den achtziger Jahren für die Annullierung der Todesurteile der Wehrmachtsjustiz eingesetzt hat. Diese Namen sollte man sich merken, wenn es um die Frage geht, welchen Abgeordneten man noch Unabhängigkeit der Entscheidung zutrauen kann.

Einprägen muß man sich aber auch die Namen der Taktierer, die nichts unversucht gelassen haben, das Rehabilitierungsanliegen zu Fall zu bringen; Volksvertreter, die Sachentscheidungen einer vermeintlich erfolgversprechenden Wahlkampftaktik unterordnen, indem sie diejenige Fraktion, die als konsequenteste Verfechterin der Rehabilitierung das alles initiiert und für den Fall einer Einigung sogar angeboten hat, ihren eigenen Antrag zurückzustellen, auszumanövrieren versuchen.

Und die Medien? Ist es nicht auch ihr Verdienst, für den nötigen Druck auf die Politiker gesorgt zu haben? Das trifft leider nur bedingt zu. Die großen Blätter ignorierten jahrelang den Antrag der Linksfraktion. Zu der Öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am 5. Mai 2008 erschien kein einziger Journalist. Erst die Aufdeckung des Fälschungsskandals weckte Aufmerksamkeit. Fazit: In der modernen Demokratie bedarf es immer wieder außerparlamentarischer Initiativen, um die fortschreitende Erstarrung des parlamentarischen Prozesses zu durchbrechen. Auch insoweit ist der Vorgang ein Lehrstück.

Hätte mehr erreicht werden können? Das den »Kriegsverrätern« angetane Unrecht kann nicht aus der Welt geschafft werden. Daran ändert auch die Gesetzesbezeichnung »Unrechtsaufhebungsgesetz« nichts. Aber die qualvoll lange, voll taktischer Hintergedanken betriebene Auseinandersetzung im Bundestag ist nicht das, was den Opfern der Militärjustiz seit 64 Jahren geschuldet ist. Wenn das Zweite Unrechtsaufhebungsänderungsgesetz in der Sondersitzung am 26. August 2009 verabschiedet werden wird, hat der Bundestag die Chance verpaßt, in einem würdevollen Umgang mit der Vergangenheit, nämlich in aufrichtiger Einsicht das den Opfern der Wehrmachtsjustiz angetane Unrecht wenigstens moralisch wiedergutzumachen. Mit dieser Schande wird der 16. Deutsche Bundestag in Erinnerung bleiben.

Und kaum ist das Kapitel der »Kriegsverräter« abgeschlossen, werden erste Rufe nach der Wiedereinführung einer Sondergerichtsbarkeit für die Bundeswehr laut. Aktueller Anlaß ist der Unwille darüber, daß deutsche Staatsanwaltschaften pflichtgemäß prüfen müssen, ob es bei der Erschießung eines 15jährigen afghanischen Jungen mit rechten Dingen zugegangen ist. Die Erledigung solcher Verfahren durch Staatsanwälte in Bundeswehruniform wäre bequemer. Was in Vergessenheit geraten ist: Die Wehrmachtsjuristen verfolgten nicht nur unnachsichtig »Kriegsverräter« und Deserteure. Ihre zweite wichtige Funktion bestand darin, Verbrechen an der Zivilbevölkerung der besetzten Länder unverfolgt zu lassen.

Die Akten können aber auch deshalb nicht geschlossen werden, weil noch längst nicht alle Schicksale erforscht sind und die Forschung über die Schreibtischtäter der Wehrmachtsjustiz, ihre das Unrecht trickreich legitimierende Arbeitsweise, ihre Mentalitäten, ihre Lebensläufe mit oftmals erstaunlichen Nachkriegskarrieren und über die fast völlig ausgebliebene Strafverfolgung erst in den Anfängen steht. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt zeigt daran kein Interesse.