Der Verein »kolko – Menschenrechte für Kolumbien«, ansässig im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte, fördert laut Satzung »die Völkerverständigung und eine menschenrechtsorientierte Entwicklungszusammenarbeit«. Er sieht seine Aufgaben unter anderem im Informationsaustausch und auch in der Unterstützung von politisch Verfolgten und Flüchtlingen. In diesem Sinne leistet er seit seiner Gründung im Jahre 2003 gemeinnützige Arbeit, wie ihm das zuständigen Berliner Finanzamt für Körperschaften I bestätigte. Er ist also von Steuerpflichten befreit; Spenden sind steuerbegünstigt.
Doch neuerdings sieht das Finanzamt für Körperschaften I die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung »nicht mehr in vollem Umfang erfüllt«: Die Förderung des Austauschs von Informationen sei »keine klar bestimmte unmittelbare Zweckverwirklichungsmaßnahme« im Sinne der Abgabenordnung. Und »dies gilt auch für die Unterstützung von politisch Verfolgten und Flüchtlingen«. Vor allem aber beanstandet die Behörde, daß die Satzung nicht eindeutig wiedergebe, »wie der Verein die Entwicklungszusammenarbeit fördert«. Wie er sie nach Ansicht des Finanzamts zu fördern hat, steht gleich im nächsten Satz des Bescheids: »Unter Entwicklungszusammenarbeit versteht man alle Maßnahmen, die dazu dienen, die Entwicklungsländer wirtschaftlich zu fördern und sie hierdurch dem Stande der Industriestaaten näher zu bringen beziehungsweise« – und jetzt kommt es – »sie in deren wirtschaftliche Ordnung einzugliedern.«
Sie in »unsere wirtschaftliche Ordnung« einzugliedern? Müssen wir uns also, wenn wir uns für Menschenrechte in einem lateinamerikanischen Land engagieren, zu einer wirtschaftlichen Förderung mit dem Ziel verpflichten, daß dieses Land den Kapitalismus akzeptiert? Müssen Menschenrechtler dort als Missionare des Kapitalismus auftreten? Soll das Herrschaftsinteresse des Kapitals als oberstes aller Menschenrechte gelten? Oder was? Oder wie? Die Auseinandersetzung zwischen »kolko« und dem Finanzamt für Körperschaften I, die nun begonnen hat, wird es vielleicht klar machen.
Vereine, die möglicherweise ein wenig links von der Bundesregierung aktiv werden, geraten leicht in Schwierigkeiten, die sich, wenn überhaupt, oft nur mit großem Zeit- und Nervenaufwand beheben lassen. Ich habe ein paar Beispiele gesammelt.
So bekam der »Verein für Friedenspädagogik« in Tübingen, der 1982 für »vorbildliches demokratisches Verhalten« mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet worden war, nicht lange danach von der Oberfinanzdirektion Stuttgart einen Ablehnungsbescheid, weil er politische Ziele verfolge. Nach der Abgabenordnung müsse er »weitestgehende Neutralität und Objektivität« wahren. Dies sei nicht im gebotenen Maße der Fall, wie »die enge Verbindung des Vereins zur Friedensbewegung« und »die ablehnende Haltung zur Bundeswehr« bewiesen.
Ähnlich wollte nach einem Bericht des Spiegel das Finanzamt Reutlingen die Gemeinnützigkeit des »Vereins für friedenspolitische Bildungsarbeit« nicht anerkennen, weil »der überwiegende Teil der Bevölkerung« den Vereinszweck – Friedenserziehung und Völkerverständigung – nicht mittrage.
In Uelzen, wo sich angesichts der im benachbarten Wendland geplanten Atomanlagen eine »Ärzteinitiative« gegründet hatte, beanstandete das Finanzamt, daß dieser Verein »die sogenannte Friedensbewegung« unterstütze und eine in der Satzung nicht vorgesehene Aktion gegen Kriegsspielzeug veranstaltet habe und daß er die Inbetriebnahme kerntechnischer Anlagen verhindern wolle. Der Umweltschutz sei zwar als gemeinnütziger Zweck anerkannt, soweit die Verringerung der Strahlenbelastung durch kerntechnische Anlagen und die Verbesserung der Sicherheit solcher Anlagen gefördert würden. »Die völlige Verhinderung der Inbetriebnahme kerntechnischer Anlagen scheidet somit als gemeinnütziger Zweck aus.« Kurz: Die »Ärzteinitiative« hätte statt »Atomkraft – nein danke« sagen müssen: »Atomkraft – ja bitte, nur ein bißchen weniger«.
Im Februar 2006 tat sich mal wieder das Finanzamt Tübingen hervor, indem es der »Informationsstelle Militarisierung« (IMI) die Anerkennung der Gemeinnützigkeit verweigerte und rückwirkend ab 2001 entgangene Steuern (40 Prozent aller Spendeneinnahmen) forderte. Der zuständige Beamte erläuterte, beim Betrachten der IMI-Website sei ihm aufgefallen, daß sie »stark von allgemeinen politischen Themen dominiert« werde. Außerdem wies das Finanzamt auf eine andere Behörde – die es nicht nannte – hin: Diese habe »Zweifel an der Verfassungstreue« der Informationsstelle geäußert. Nach Protesten des IMI-Geschäftsführers Jürgen Wagner gegen die anonyme Verdächtigung fragte das Finanzamt bei der Verfassungsschutzbehörde nach, erhielt aber, wie Wagner erfuhr, keine Antwort. »Diese Auseinandersetzung hat uns viel Zeit gekostet«, resümiert er. Gemeinnütziges Engagement wurde auf diese Weise vom Staat behindert.
Auf Grund direkter Intervention der Verfassungsschutzbehörde erhielt der Duisburger »Verein für Demokratie und Kultur von unten – Initiative e.V.« vom Finanzamt Duisburg-Hamborn ebenfalls einen Ablehnungsbescheid. Das Finanzgericht Düsseldorf, bei dem der Verein Klage einreichte, stellte inzwischen fest: »Die Ausführungen in den Verfassungsschutzberichten erschöpfen sich in bloßen Mutmaßungen... Weder aus den dem Senat vorliegenden Akten noch aus den Feststellungen in den Verfassungsschutzberichten ergeben sich verwertbare Hinweise für ein rechts- oder gesetzeswidriges Verhalten des Klägers oder einzelner Mitglieder... Die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins entspricht dem Satzungszweck der Förderung der Völkerverständigung.« Da das Finanzgericht aber die Arbeit von »Initiative e.V.« zu politisch fand, ist der Verein auch jetzt noch nicht als gemeinnützig anerkannt; er klagt nun beim Bundesfinanzhof.
Der Verein »Höchster Leuchtfeuer« in Franfurt am Main war in den vergangenen Jahren von Aberkennung der Gemeinnützigkeit bedroht, weil es nach Ansicht des Frankfurter Finanzamts zu weit ging, »Hartz-IV«-Empfänger zu aus Spenden finanzierten Nikolaus- oder Weihnachtsfeiern oder im Sommer zu Bootsfahrten einzuladen, die mit Spendengeldern finanziert wurden. Dieser Verein setzte sich durch – anders als beispielsweise die »Coordination gegen Bayer-Gefahren«, die sich unter anderem mit Umweltgefährdung durch den Chemie-Konzern Bayer befaßt. Der Wuppertaler Polizeipräsidenten hatte schriftlich beanstandet, daß der Verein einen »Teilnehmer der freien Marktwirtschaft« behindere. »Freie Marktwirtschaft« ist ein üblicher Tarnname für den Kapitalismus.
Bei vielen Finanzämtern scheint der Grundsatz zu gelten: Gemeinnützig ist der Kapitalismus, nicht etwa der Sozialismus. Sogar die SPD-nahe Jugendorganisation »Sozialistische Jugend – Die Falken« wurde von nordrhein-westfälischen Finanzbehörden – und zwar zu einer Zeit, als ein Sozialdemokrat das Finanzministerium in Düsseldorf leitete – gedrängt, ihre Satzung zu ändern, eben weil dort der Sozialismus als Ziel angegeben war.
Da die Finanzämter – und in Konfliktfällen die Finanzgerichte – entscheiden, zu welchen Zwecken Vereine steuerbegünstigt Spenden sammeln dürfen, sind die Vereinssatzungen einander immer ähnlicher geworden. Häufig wiederkehrende Begriffe, zu denen auch »Entwicklungszusammenarbeit« gehört, sind durch die Abgabenordnung (AO) vorgegeben, ein umfangreiches Gesetz, das zum Beispiel in Paragraph 52, Ziffer 23 Zwecke festlegt, die allemal als steuerbegünstigt anerkannt werden sollen: »Förderung traditionellen Brauchtums einschließlich des Karnevals, der Fastnacht und des Faschings, der Soldaten- und Reservistenbetreuung, des Amateurfunkens, des Modellflugs und des Hundesports«. Wer also sichergehen will, daß er steuerbegünstigt Spenden sammeln darf, sollte sich für diese Vereinszwecke entscheiden. Vorweg ist – was kaum jemand weiß – in Paragraph 51 AO festgelegt, daß die Finanzbehörde »Tatsachen, die den Verdacht von Bestrebungen im Sinne des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes begründen«, der Verfassungsschutzbehörde mitzuteilen hat.
Selbstverständlich wird kein braver Finanzbeamter gegen diese Pflicht verstoßen wollen.
Um so gründlicher prüft er.