Die griechische Küstenwache hält Flüchtlinge gewaltsam von ihrer Überfahrt nach Griechenland ab. Sie zwingt sie in türkische Gewässer zurück, sie schlitzt Schlauchboote auf, sie haut die Motoren entzwei, sie setzt das Leben der Flüchtlinge skrupellos aufs Spiel. So haben es schon mehrfach Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen festgehalten, zuletzt Amnesty International in einem Report Anfang Juli. Wer es auf griechisches Territorium schafft, kommt umgehend in stacheldrahtbewehrte Lager und muß bis zu eineinhalb Jahre auf eine Entscheidung über das Asylgesuch warten.
Der Inselstaat Malta wurde vor wenigen Tagen vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verurteilt, weil er eine Somalierin fast eineinhalb Jahre lang in einem Gefängnis eingesperrt hatte, wo sie extremer Kälte und Hitze ausgesetzt war. Monatelang wurde ihr der Freigang verwehrt. Trotz Infektion nach einer Fehlgeburt hatte die Frau nur minderwertiges Essen erhalten. Ein Mann aus Sierra Leone war gar zwei Jahre lang eingesperrt. Wegen behördlicher Willkür haben die beiden nun Anspruch auf jeweils mehrere zehntausend Euro Schmerzensgeld. Das Vorhaben der maltesischen Regierung, somalische Flüchtlinge, die über Libyen eingereist waren, ohne jegliche Asylanhörung nach Libyen zurückzuschicken, hatte der Gerichtshof bereits zuvor per einstweiliger Verfügung untersagt.
Italien hat Hunderte afrikanischer Flüchtlinge aus Libyen, die nach Beginn des NATO-Krieges gegen das nordafrikanische Land flüchten mußten, aus den ohnehin erbärmlichen Unterkünften hinausgeworfen, ihnen Bargeld und Fahrkarten in die Hand gedrückt und sie aufgefordert, in andere EU-Länder zu verschwinden. 300 von ihnen sitzen derzeit in Hamburg mehr oder weniger auf der Straße, einige leben im Flüchtlingscamp auf dem Berliner Oranienplatz. Nicht viel anders erging es einer Gruppe von 70 afghanischen Flüchtlingen, die aus ihren Unterkünften in Ungarn geflohen sind, weil sie dort menschenunwürdig behandelt wurden und ständiger Bedrohung durch Aktivisten vom Schlage der faschistischen Jobbik ausgesetzt waren.
Das europäische Asylsystem erweist sich als Desaster. Arme Länder wie Griechenland und Ungarn, in denen sich offener Unwille und faktische Überforderung der Behörden mischen, erhalten vom Rest der EU praktisch keine Unterstützung, und die Konsequenzen haben die Flüchtlinge zu tragen.
Der neue Papst unternahm seine erste Dienstreise nach Lampedusa. In seiner Rede prangerte er die »Globalisierung der Gleichgültigkeit« an und bezeichnete die Unterstützung von Flüchtlingen als Gebot christlicher Nächstenliebe. Aber er blieb unverbindlich, griff niemanden direkt an und zog keine konkreten politischen Schlußfolgerungen. Damit haben Kirchengemeinden zwar päpstlichen Segen, die gröbsten Mißstände des Asylsystems humanitär abzumildern, zugleich ist es aber den EU-Mächtigen weiterhin möglich, ihr menschenfeindliches System von Abschreckung und Abschiebung beizubehalten.
Das gilt auch für deutsche Behörden. Der Hamburger Senat verweigert den Flüchtlingen jede Unterstützung und versteckt sich hinter der Zuständigkeit der Bundesregierung beziehungsweise der italienischen Regierung. Wären nicht Hilfsangebote christlicher und muslimischer Gemeinden, die Flüchtlinge müßten auf offener Straße übernachten. Der Bundesregierung ist es egal, was den Flüchtlingen in Italien widerfahren ist: Sie sollen gefälligst dorthin zurück. Der Hamburger Senat behauptet, er könne nicht anders, und übersieht geflissentlich seine Möglichkeit, Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu erteilen. Desgleichen die grün-rote Landesregierung Baden-Württembergs, die ihre Entscheidung über Verbleib oder Abschiebung der 70 Afghanen von einer Lageanalyse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abhängig machen will, und nicht von der Situation, die die Flüchtlinge in Ungarn real erfahren haben.
In Berlin zeigt man sich derweil, mit Ausnahme ausgerechnet der säkularen Parteien Grüne und Linke, von päpstlichen Hinweisen gänzlich unbeeindruckt. Seit Oktober vorigen Jahres campieren Flüchtlinge auf dem Oranienplatz, und es mehren sich die Stimmen, daß das Camp endlich aufgelöst werden müsse, weil es ja keine Lösung sei, so etwa der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Selbstverständlich ist das Camp keine Lösung – es ist ein Protest gegen einen Mißstand, der beseitigt werden muß. Doch CDU-Innensenator Frank Henkel verweigerte die Teilnahme an einer Gesprächsrunde mit der Begründung, er nehme an keinen Gesprächen teil, »die sich in rechtswidrigen Zuständen bewegen«. Dabei ist das Camp selbst vom Bezirk genehmigt – »rechtswidrig« ist allein die Anwesenheit einiger der Flüchtlinge in Berlin, weil sie ihre Residenzpflicht verletzen. Genau darüber wollten sie reden, aber: Das ist ja Bundessache, darüber brauchen Berliner Politiker nicht zu reden. Das Bundesinnenministerium will auch nicht reden, sondern die Entscheidungen des BAMF durchgesetzt wissen. So werden Flüchtlinge nach und nach in die Verzweiflung getrieben. Welche dramatischen, selbstzerstörerischen Auswüchse das haben kann, machte der Hunger- und Durststreik mehrerer Flüchtlinge in München deutlich, der beinahe Todesopfer gefordert hätte.
Auf wieviel Ressentiment selbst bescheidene Hilfe für Flüchtlinge immer noch stößt, zeigt sich dieser Tage in Berlin-Hellersdorf, wo die geplante Einrichtung eines Aufnahmelagers für bis zu 400 Menschen die Emotionen hochkochen läßt. Eine Anwohnerversammlung wurde Anfang Juli von einigen Dutzend organisierten Nazikadern gekapert, die mit ihren rassistischen Tönen bei einem Großteil der fast 1000 Teilnehmer Anklang fanden. Der Bezirk muß sich verteidigen, weil er die Anwohner nicht früh genug informiert habe – den Zuzug von Ausländern muß man in Deutschland offenbar frühzeitig anmelden –, die bürgerliche Presse zitiert reihenweise Nachbarn, die in der Aufnahme von Flüchtlingen ein Sicherheitsrisiko für sich, ihre Kinder oder ihre Wertsachen sehen.
Noch haben solche Töne zum Glück nicht die absolute Deutungshoheit. Der Versuch der NPD, eine Demonstration vor mehreren Flüchtlingsheimen in Berlin durchzuführen, scheiterte an geringer Beteiligung auf der eigenen Seite und Hunderten Gegendemonstranten. Es zeigt sich, daß antifaschistische Interventionen dringend notwendig bleiben und auch Erfolg haben.