Unerhört! Spiegel online teilte am 19. Juli in einem umfänglichen Artikel mit: »Zwischen Donald Trump und Wladimir Putin hat es beim G20-Gipfel ein zweites Gespräch gegeben.« Ich spürte beim Lesen das Entsetzen des Spiegel-Autors. Nun dachte ich bisher, G20 sei ein Gesprächsformat, aber es darf da wohl nicht jeder mit jedem beliebig reden. Jedenfalls auf keinen Fall der amerikanische Präsident mit dem russischen. Genau diese Meinung vertritt zumindest der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im US-Repräsentantenhaus. Für ihn ließen die Berichte über das zweite Gespräch der beiden Präsidenten in Hamburg »gleich mehrere Alarmglocken schrillen. Trump sei den Amerikanern unbedingt eine Erklärung schuldig«.
Sicherlich wäre es völlig in Ordnung gewesen, wenn Trump in bewährter Cowboy-Manier den Colt gezogen und den verdammten Russen vom Stuhl geballert hätte. Aber mit dem Russen reden? Wir wissen es doch alle ganz genau: Der Russe hat heimtückisch gerade letztens die musterhaftdemokratische amerikanische Wahl manipuliert. Zumindest berichten unsere freien Medien immer wieder über höchstwahrscheinlich zu vermutende russische Eingriffe. Trotz aller erdrückender Fakten hat nun der von uns und unseren US-amerikanischen neokonservativen Freunden so wenig geliebte amerikanische Präsident mit diesem Putin geredet. Dafür ist er nicht nur den amerikanischen Wählern, sondern selbstverständlich auch uns und der ganzen Welt eine Erklärung schuldig!
Die Meldung, die Spiegel online dann am 20. Juli verbreitete, erschreckte mich ein weiteres Mal. Ich erfuhr die empörende Tatsache, dass der US-Präsident Trump laut einem Bericht der Washington Post die verdeckten Waffenlieferungen der CIA an syrische Rebellen, die gegen die Regierung von Baschar al-Assad kämpfen, hat stoppen lassen (www.spiegel.de/politik/ausland/donald-trump-stoppt-waffenlieferungen-an-syrische-rebellen-a-1158794.html). Die CIA hatte 2013 unter dem damaligen Präsidenten Barack Obama ein verdecktes Programm mit Waffenlieferungen begonnen, um die vielen angeworbenen terroristischen Kämpfer gegen Assad zu unterstützen. »Putin hat gewonnen« steht nun in fetten Lettern geschrieben, und ich spüre die Enttäuschung, die aus jedem dieser Buchstaben tropft. Sollte nun tatsächlich durch eine unbedachte Entscheidung das jahrelange Blutvergießen, das Leid, die Zerstörung eines Landes und seiner Städte, die einst zur kulturellen Wiege der Menschheit gehörten, einfach so vorbei sein? Kann ein amerikanischer Präsident ein von seinem Vorgänger, einem Friedensnobelpreisträger initiiertes, bislang fast schon erfolgreiches Programm einfach abbrechen, nur um dem Russen einen Gefallen zu tun? Dabei ist doch die Neuordnung des Nahen Ostens noch nicht vollständig abgeschlossen, die Ressourcen sind noch nicht komplett in den Händen westlicher Konzerne.
Einige Stunden später jedoch beruhigte mich dann eine weitere Meldung im gleichen Medium. Ich erfahre, dass in einem Hinterhalt die radikal-islamische Gruppe »Armee des Islam« mindestens 28 Soldaten von Assads Streitkräften getötet hat (www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-rebellen-toeten-nahe-damaskus-dutzende-soldaten-a-1158913.html). Das Blutvergießen geht also trotz der auf dem G20-Gipfel zwischen Putin und Trump vereinbarten Waffenruhe und der Entscheidung des US-Präsidenten, keine Waffen mehr an die in Syrien agierenden terroristischen Kämpfer zu liefern, unvermindert weiter. Die Kapazitäten der von den USA großzügig ausgestatteten Waffenarsenale der »Rebellen« reichen offensichtlich noch eine ganze Weile. Und sicher wird auch die CIA Mittel und Wege finden, das große Programm zur Befriedung Syriens weiter voranzutreiben, verdeckt und streng geheim. Die gewaltigen Investitionen, mit der die Führungsmacht der freien Welt den Umsturz in Syrien seit mehr als fünf Jahren anheizt, sind also nicht verloren. Damit werden auch wir noch eine lange Zeit die Gelegenheit haben, Menschlichkeit zu beweisen und diejenigen, die im Ergebnis dieses großartigen Programms ihr Land verlassen müssen, weil sie dort ihre Lebensgrundlagen verloren haben, ihr Leben aber bewahren wollen, mit freundlichen Willkommenskulturgesten zu begrüßen.