Eine der Geschichten des legendären Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, besser bekannt als der Lügenbaron, geht so: »Ein anderes Mal wollte ich mit meinem Litauer über einen Sumpf springen. Aber wir sprangen zu kurz und sanken, nicht weit vom anderen Ufer, bis an den Hals in den Morast. Und wir wären rettungslos umgekommen, wenn ich mich nicht mit der eigenen Hand am eigenen Haarzopf aus dem Sumpf herausgezogen hätte. Und nicht nur mich, sondern auch mein Pferd.«
Etwas Ähnliches soll jetzt Olaf Scholz vollbringen, vorausgesetzt die Mitglieder der SPD machen ihn zum aussichtsreichsten Bewerber um das Amt des Parteivorsitzenden. Dass sein Name zur allgemeinen Überraschung wenige Tage vor Ablauf der Bewerbungsfrist ins Spiel kam, hat wohl mit der Sorge zu tun, die Dinge könnten einen für die Rechten in der SPD unerwünschten Verlauf nehmen. Vor kurzem hatte Scholz noch versichert, der Parteivorsitz sei unvereinbar mit seiner Regierungsarbeit in der Großen Koalition. Den drei Interimsvorsitzenden soll er jetzt gesagt haben: »Ich bin bereit anzutreten, wenn ihr das wollt.« Das erklärt seinen Sinneswandel nur dürftig. Wenn’s schiefgeht, tragen die Verantwortung auf jeden Fall andere.
Einen Tag vor der Kehrtwende des Vizekanzlers und stellvertretenden Parteivorsitzenden in dem trostlosen Schauspiel hatte einer der Mitbewerber um den Parteivorsitz, der Bundestagsabgeordnete und gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Karl Lauterbach, gegenüber dem Deutschlandfunk eine Koalition auf Bundesebene nach Bremer Vorbild als denkbare Option bezeichnet. Anlass des Gesprächs war die am selben Tag stattfindende Wahl des neuen Bremer Senats, der ersten rot-grün-roten Landesregierung in einem westdeutschen Bundesland. Ob das tatsächlich eine Option sei, wurde Lauterbach gefragt. Seine Antwort: »Auf jeden Fall. Diese Position vertrete ich ja schon seit mehreren Jahren.« Sie sei in der SPD mittlerweile auch weitgehend konsensfähig.
Im Verlauf des Interviews ging Lauterbach ans Eingemachte: »Eine Diskriminierung der Linkspartei – das war ja meistens der Grund für die Ablehnung solcher Bündnisse – ist heute nicht mehr angebracht. Das ist eine Partei geworden, die sich im parlamentarischen Verfahren als fair, gut informiert und hilfreich erwiesen hat.« Ein wirklicher Politikwechsel sei mit der CDU nicht zu machen. Im Umgang mit der Linkspartei habe sich Normalität eingestellt. In Bremen habe man in Verhandlungen ein sehr gutes Ergebnis erzielt, was die drei Kernprobleme angehe: soziale Ungleichheit, Bildungsarmut und Umweltschutz.
Auf die Frage, ob er bereit sei, klipp und klar zu sagen, dass die SPD nach der nächsten Bundestagswahl bereit sei zur Koalition mit der Linken, erwiderte Lauterbach: »Ich würde auf jeden Fall so weit gehen, dass Verhandlungen von uns nicht ausgeschlossen würden. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir derzeit vor der Brust haben, und da macht es mir mehr Sorgen, dass wir in der Großen Koalition die Akzeptanz in der Bevölkerung verloren haben.«
Union und FDP hatten sich bereits vor den Äußerungen Lauterbachs in scharfer Form gegen ein Regierungsbündnis nach Bremer Vorbild auf Bundesebene gewandt. »Tiefer kann die SPD nicht fallen, wenn sie sich Linken und Grünen als Mehrheitsbeschaffer andient«, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann. Und der CSU-Generalsekretär Markus Blume fügte im Stile vergangener Hetzkampagnen hinzu: »Wir wollen keine grün-rot-rote Republik mit Bevormundung, Enteignung und Verstaatlichung.«
Dies alles vor Augen, das bevorstehende Desaster bei den drei Landtagswahlen im Osten und mögliche Neuwahlen zum Bundestag eingeschlossen, scheint Olaf Scholz über den eigenen Schatten gesprungen zu sein – er will Kanzler werden. Daran zu glauben sei schierer Irrsinn, wenn man sich die Lage der SPD ansehe, hieß es dazu in der Süddeutschen Zeitung. Niemand stehe in der SPD so sehr für die Große Koalition wie Scholz. Wenn er den Wettbewerb um den Vorsitz verlieren sollte, dann auch deswegen.