Mit dem Freispruch in der Causa Pfaff, für den das Bundesverwaltungsgericht den höchsten Respekt aller Demokraten verdient, sind längst nicht alle offenen Rechnungen aus dem Irak-Krieg beglichen. Weder mit den Politkriminellen im Berliner Regierungsviertel, die den eklatanten Völkerrechts- und Verfassungsbruch angeordnet haben, noch mit deren willfährigen Helfershelfern in der Flecktarnkleidung der Bundeswehr ist bislang abgerechnet. Keinen einzigen der Akteure zog die Strafjustiz für seine Untaten zur Rechenschaft.
Worum es sich bei dem von den USA und ihren Vasallen angezettelten Krieg im Zweistromland realiter handelte, steht spätestens seit der Rede, die der schwer erkrankte britische Schriftsteller Harold Pinter am 7. Dezember 2005 anläßlich der Verleihung des Literaturnobelpreises verlesen ließ, außer jedem Zweifel: »Die Invasion des Irak war ein Banditenakt, ein Akt von unverhohlenem Staatsterrorismus, der die absolute Verachtung des Prinzips von internationalem Recht demonstrierte. Die Invasion war ein willkürlicher Militäreinsatz, ausgelöst durch einen ganzen Berg von Lügen und die üble Manipulation der Medien und somit der Öffentlichkeit; ein Akt zur Konsolidierung der militärischen und ökonomischen Kontrolle Amerikas im mittleren Osten unter der Maske der Befreiung, letztes Mittel, nachdem alle anderen Rechtfertigungen sich nicht hatten rechtfertigen lassen. Eine beeindruckende Demonstration einer Militärmacht, die für den Tod und die Verstümmelung abertausender Unschuldiger verantwortlich ist. Wir haben dem irakischen Volk Folter, Splitterbomben, abgereichertes Uran, zahllose willkürliche Mordtaten, Elend, Erniedrigung und Tod gebracht und nennen es ›dem mittleren Osten Freiheit und Demokratie bringen‹. Wie viele Menschen muß man töten, bis man sich die Bezeichnung verdient hat, ein Massenmörder und Kriegsverbrecher zu sein? Einhunderttausend? Mehr als genug, würde ich meinen. Deshalb ist es nur gerecht, daß Bush und Blair vor den Internationalen Strafgerichtshof kommen.«
Harold Pinter verharrte aber nicht in Empörung und Anklage. Er ließ wissen: »Ich glaube, daß den existierenden kolossalen Widrigkeiten zum Trotz die unerschrockene, unbeirrbare, heftige intellektuelle Entschlossenheit, als Bürger die wirkliche Wahrheit unseres Lebens und unserer Gesellschaften zu bestimmen, eine ausschlaggebende Verpflichtung darstellt, die uns allen zufällt. Sie ist in der Tat zwingend notwendig. Wenn sich diese Entschlossenheit nicht in unserer politischen Vision verkörpert, bleiben wir bar jeder Hoffnung, das wiederherzustellen, was wir schon fast verloren haben: die Würde des Menschen.«
Soldatinnen und Soldaten, die ihrem Selbstverständnis als demokratische StaatsbürgerInnen in Uniform treu bleiben wollten, konnten sich der elementaren Wucht dieser »wirklichen Wahrheit« schwerlich entziehen. Denn war nicht das zutage getretene skandalöse System organisierter Regierungskriminalität schlechterdings unvereinbar mit dem Anspruch eines sich selbst zivilisiert nennenden demokratischen Staatwesens? Und hatten die zu seinem Schutz verpflichteten SoldatInnen nicht mit ihrem Diensteid geschworen, »das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen«, nicht aber es mit ihren Kampfstiefeln in den Staub zu treten?
Was also blieb anderes übrig, als die Drahtzieher des Völkerrechts- und Verfassungsbruchs gemeinsam mit ihren willfährigen Helfern im Generalsrock frontal zu attackieren, um in letzter Instanz eine Klärung der strittigen Problematik auf höchstrichterlicher Ebene herbeizuführen? Denn die Leipziger Bundesverwaltungsrichter hatten in der Causa Pfaff lediglich ihre »gravierenden völkerrechtlichen Bedenken« explizieren, nicht aber ein abschließendes höchstrichterliches Urteil über den Aggressionskrieg und die von der Bundesregierung angeordneten und von der Bundeswehr erbrachten Unterstützungsleistungen für diesen Krieg sprechen können. Und eben dieses Manko markiert eine bis heute offene Rechnung.
Daraufhin nahm unter dem Rubrum »Geist und Ungeist der Generalität« am 27. Mai 2006 im Ossietzky ein waghalsiges Unternehmen seinen Anfang. Die in der Folge inkriminierten Kernsätze der dort gegen die goldbetreßte militärische Führungsspitze der Bundeswehr erhobenen Anklage lauteten: »Daß die Generalität aufgrund intellektueller Insuffizienz nicht hatte erkennen können, was da vor sich ging, wird man mit Fug und Recht ausschließen dürfen. ... Da Dummheit ergo auszuschließen ist, bleibt nur noch die zweite Alternative zur Erklärung – und die lautet: Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit. (...) Hätte die deutsche Generalität auch nur einen Funken Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewußtsein im Leibe, so hätte der Generalinspekteur im Verein mit seinen Teilstreitkraftinspekteuren sich geweigert, den völkerrechts- und verfassungswidrigen Ordres der rot-grünen Bundesregierung Folge zu leisten.« Ein gegen den Autor, also gegen mich eingeleitetes Disziplinarverfahren durch mehrere Instanzen der militärischen Sondergerichtsbarkeit, das mit der Bestätigung der von einem der selbst betroffenen Generäle verhängten Disziplinarbuße in Höhe von 750 Euro endete, war die nicht unerwartete Folge. Diese Entscheidung eröffnete den Weg nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht. In der dort eingereichten Verfassungsbeschwerde wurde die Verletzung des in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierten Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung gerügt. Doch die 3. Kammer des 2. Senats, besetzt mit dem Richter Broß, der Richterin Osterloh und dem Richter Mellinghoff, beschloß am 28. April 2007, die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die achtseitige Begründung des Beschlusses wirft indes eine Reihe bedeutsamer Fragen auf.
Um das Positive vorwegzunehmen: Erstens, so die Verfassungsrichter, sei – anders als vom Truppendienstgericht in München angenommen, gegen dessen Urteil sich die Verfassungsbeschwerde richtete, – die Menschenwürde der attackierten Generalität durch den inkriminierten Ossietzky-Beitrag nicht angetastet worden. Und zweitens handele es sich bei den beanstandeten Äußerungen auch nicht um eine unzulässige Schmähkritik. Diese höchstrichterliche Bewertung stellt immerhin einen beachtlichen Teilerfolg dar. Denn jeder zivile Staatsbürger und jede zivile Staatsbürgerin darf demnach unbeschadet kundtun, daß die Bundeswehrgeneralität opportunistisch, feige und skrupellos gehandelt habe, als sie die ihnen unterstellten Soldaten zur Unterstützung des Irak-Kriegs befahlen. Und auch, daß Generalinspekteur und Teilstreitkraftinspekteure sich hätten weigern müssen, den völkerrechts- und verfassungswidrigen Ordres der rot-grünen Bundesregierung Folge zu leisten, wenn sie denn auch nur einen Funken Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewußtsein im Leibe hätten, dürfen all jene sagen, die beruflich nicht das nationale Ehrenkleid tragen. So weit, so gut.
Und doch so schlecht, denn ungeachtet vorstehender Erkenntnis billigt das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde keine »grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung« zu. Man mag es kaum glauben: Da bricht eine Bundesregierung, tatkräftigst unterstützt von der obersten militärischen Führung, Völkerrecht sowie Verfassung und fordert damit einen scharfgeschliffenen publizistischen Kommentar heraus, der zum Gegenstand einer vor das höchste deutsche Gericht getragenen Auseinandersetzung wird – und dem soll keine »grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung« zukommen? Es ist leider wahr: Das Völkerrechtsverbrechen gegen den Irak und die hierfür erbrachten Unterstützungsleistungen durch die Bundesrepublik Deutschland sind den Verfassungsrichtern nicht eine Silbe wert.
Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.