Ein Alleingang?
Die georgische Staatsführung, so vermuteten viele Kommentatoren in den deutschen Medien, habe auf eigene Faust gehandelt und sei von plötzlichem Übermut befallen gewesen, als sie ihre Truppen losschickte und vollmundig ankündigte, sie werde »die territoriale Einheit« des Landes »wiederherstellen«. Ein solcher »Alleingang« einer nationalen Politikergruppe in einem Land, das in ein internationales Militärprogramm eingebunden ist, von ausländischer Waffenlieferung zehrt, von externen militärischen Ausbildern und Beratern angeleitet wird? Ein Abenteuer – ohne geheime Konsultation mit dem Patron in Washington? Wahrscheinlich ist das nicht. Aber welches Interesse könnten die US-amerikanischen Oberfreunde an einem so riskanten Unternehmen gehabt haben, bei dem der direkte Erfolg höchst zweifelhaft sein mußte? Möglicherweise ging es nicht um den direkten militärischen, sondern um den indirekten politischen Erfolg: Rußland, mit dessen Konterschlag zu rechnen war, ist als »überreagierend« weltweit in Mißkredit gebracht, in den baltischen Staaten, in Polen und in der Ukraine sind diejenigen gestärkt, die sich eng an die USA anschließen wollen, selbst wenn das bei einigen EU-Staaten Bedenken hervorruft.
Peter Söhren
Parteiisch
Altgediente LeserInnen der
Frankfurter Rundschau in meinem Bekanntenkreis klagen häufig darüber, daß diese Zeitung »farblos« geworden sei. Aber da tun sie dem Blatt Unrecht. Im Kaukasus-Konflikt zeigt die
FR wie keine andere Zeitung in der Bundesrepublik grelle politische Farbe: antirussische. Die
FR-Berichterstatter wissen stets, wo der Feind steht: Rußland greift weiter an«, »Rußland marschiert«, die Russen zeigen »erbarmungslose Härte«, der russische Truppenabzug ist ein »angeblicher« und so weiter. Und FR-Kommentator Andreas Schwarzkopf ermuntert die NATO und die EU-Staaten, »gemeinsam gegen Moskau« aufzutreten und klarzustellen: »Rußland darf Gewalt als politisches Mittel nicht einsetzen.« So einfach ist das: Was die NATO-Staaten dürfen, darf Rußland nicht.
Kritischer Journalismus soll Kritik an gewaltbereiter Machtpolitik Rußlands nicht aussparen, aber die
FR spart aus, daß dies die Politik der NATO-Staaten ist – und vor allem daß in diesem Konflikt US-Präsident Bush der politische Angreifer war und sein georgischer Gehilfe Saakaschwili der militärische Angreifer.
Marja Winken
Aber auch was Die Zeit
und Der Spiege
l leisten, um uns Deutsche endlich wieder antirussisch einzustimmen, ist nicht von bescheidenen Großeltern. Red.
Zweimal »Gold« für Südamerika
In Hemd, Hose und Sandalen übernahm am 15. August der vormalige Bischof Fernando Armindo Lugo Méndez Schärpe und Stab des Präsidenten von Paraguay. Tausende begeisterte Anhänger verfolgten erwartungsvoll seine Vereidigung. Schon am Vorabend war Lugo mit einem traditionellen Ritual der indigenen Guarani-Bevölkerung ins Amt eingeführt worden. »Ich bin nicht in die Politik eingetreten, um mich zu bereichern«, sagte der erste paraguayische Präsident, dem man das glauben kann. Das 61jährige Machtmonopol der Colorado-Partei ist gebrochen.
Lugo wird weiterhin die Krawatte verschmähen. Er will auf sein Gehalt verzichten und in seinem Häuschen wohnen bleiben – in Tuchfühlung mit einer Bevölkerung, die zu 40 Prozent in absoluter Armut lebt, zu einem Drittel keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung hat und deren Nachwuchs zu einem Fünftel von jeder Schulbildung ausgeschlossen ist (s.
Ossietzky 9/08).
Washington reagierte schnell auf die Abwahl seiner traditionellen Statthalter und auf Lugos Ankündigungen, sich um die Armen und die Jugend zu kümmern und sogar diplomatische Beziehungen zu China aufzunehmen. Eine neue Botschafterin, Liliana Ayalde, soll nun in Asunción für Ordnung sorgen. Ayalde dirigierte bislang die Aktivitäten des Entwicklungsdienstes USAID im US-hörigen Kolumbien. Weltweit suspekt wegen ihrer Desinformations- und Einmischungsmethoden, wurden USAID-Agitatoren kürzlich von Bauern aus dem benachbarten Bolivien verjagt.
Die Botschafterin gehört zur Riege derjenigen US-Diplomaten, die auf Zuspitzung interner ethnischer und wirtschaftlicher Probleme spezialisiert sind. Anführer dieser Riege ist Philipp Goldberg (zuvor in Jugoslawien), dessen separatistische Machinationen in Bolivien jedoch das Gegenteil der beabsichtigten Balkanisierung des Landes bewirkten: Präsident Juan Evo Morales Ayma wurde am 10. August in dem Referendum, das er selbst angestrengt hatte, bei einer Wahlbeteiligung von 84 Prozent mit 68 Prozent der abgegebenen Stimmen im Amt bestätigt – das sind 15 Prozentpunkte mehr als bei seiner Wahl im Jahre 2005. Im Besitz von 2.057.307 Ja-Stimmen – nie zuvor hatte ein bolivianischer Präsident auch nur eine Million erreicht – folgerte Morales: »Jetzt dürfen wir sagen, wir haben die Macht des Volkes.« Unzweifelhaft hat er die Macht der solidarischen Bauern und Bergleute des Hochlands, die zumeist indigen sind.
Beim Referendum war verfassungsgemäß auch über die Präfekten (Gouverneure) der einzelnen Departements zu entscheiden. Unter ihnen waren auch diejenigen des sogenannten »Halbmonds« der vier reichen »weißen« Departements, die sich mit Hilfe der USA und verfassungswidriger Volksbefragungen im Juli von La Paz losgesagt hatten. Die Autonomisten von Santa Cruz, Beni und Tarija erhielten knappe Mehrheiten, nicht aber diejenigen im Departement Cochabamba. Der oppositionelle Gouverneur von La Paz muß ebenfalls gehen. Evo Morales respektiert die Wünsche der abtrünnigen Regionen (»...es ist der Wille der – dortigen – Bevölkerung«) und hat Verhandlungen über mehr Autonomie anberaumt, jedoch – zum Mißfallen Washingtons – jeden Gedanken an Eigenstaatlichkeit und »Kosovisierung« ausgeschlossen.
Im permanenten Kampf gegen den US-amerikanischen Imperialismus gleich zweimal »Gold« für Südamerika.
Wolf Gauer
Schütt macht sich lustig
In der Zeitung
Neues Deutschland mokierte sich unlängst Hans-Dieter Schütt über die Namibier, die »Schädel aus deutschen Universitätssammlungen« haben möchten. Das Fernseh-Magazin
Fakt hatte berichtet, daß in den Universitäten Freiburg und Berlin Schädel von Opfern des Völkermords in der einstigen Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika lagern, die der Staat Namibia – wie dessen Botschafter erklärte – endlich ordentlich bestatten will. Zwischen 1904 und 1908 hatten die deutschen Kolonialtruppen 80 Prozent der Herero und 50 Prozent der Nama niedergemetzelt. Im Stil altertümlicher Sieger brachten sie Trophäen mit nach Hause – Schädel und Knochen der besiegten Feinde.
Die Forderungen Namibias seien verständlich, räumt Schütt ein, aber zurückhaben wollten inzwischen viele etwas: die einen ihren Kaiser Wilhelm, die anderen die Mauer, viele Russen ihren Stalin. Das kennzeichne die Tendenz: Alles gehört jemandem anderen – Territorien, gestohlene Kunst, verlorene Arbeit. Bald werde nicht mal mehr die Kirche im Dorf bleiben.
Also Schlußstrich? Die Herero-Schädel sind nicht das einzige »Material«, das deutsche Anthropologen und Mediziner für ihre Forschungen sammelten.
In dem unlängst erschienenen Buch »Die Charité im Dritten Reich« (s.
Ossietzky 16/08) wird berichtet, daß der Anatom Hermann Stieve, Ordinarius an der Medizinischen Fakultät der Berliner Universität, die Leichen hingerichteter Frauen sezierte und damit seine Sammlung histologischer Präparate der weiblichen Geschlechtsorgane erweiterte. Autor Andreas Winkelmann benennt Stieves Forschungen als unmenschlich-kühle Leichenverwertung, die eine zusätzliche Entehrung der Opfer bedeutete.
In einer Tagung in der Gedenkstätte Sachsenhausen berichtete der Historiker Florian Schmaltz, daß 1944 in der Gaskammer des KZ Natzweiler 86 jüdische Häftlinge ermordet wurden, weil der Medizin-Professor August Hirt deren Skelette seiner »jüdischen Skelettsammlung« am Anatomischen Institut der »Reichsuniversität« Straßburg zuführen wollte. Die Gaskammer in Natzweiler war übrigens keine profane Tötungsanlage, sondern eine »Experimentalanlage der naturwissenschaftlichen Forschung« für Versuche mit Kampfgas.
Wie es scheint, haben Universitäten noch manche Leiche im Keller. Je mehr redliche Wissenschaftler einer neuen Generation davon ausgraben, desto mehr packt einen das Grauen.
Wo es noch möglich ist, muß Wiedergutmachung geleistet werden. Aber erst vor kurzem hat der Deutsche Bundestag einen Antrag der Fraktion Die Linke zur Entschädigung an Namibia abgelehnt. Daran sollten besonders die deutschen Unternehmen beteiligt werden, die einst von der Zwangsarbeit und den Enteignungen der Herero und Nama profitiert hatten. Doch es kommt auch darauf an, die Verantwortung für die Verbrechen im historischen Bewußtsein der Deutschen zu verankern. Die Aufarbeitung der Verbrechen des deutschen Imperialismus ist längst nicht erledigt. Und Schütts Vergleich der namibischen Forderungen mit dem Wembley-Tor von 1966, das »wir« dann auch endlich wiederhaben wollen, ist einfach widerwärtig.
Sigurd Schulze
Traditionspflege
Vor dem Rathaus der brandenburgischen Stadt Lychen steht eine Tafel mit vielen konkreten Angaben zur Stadtgeschichte. Gar nicht konkret ist aber das, was über die Jahre 1933–1945 zu lesen ist: »Die Arbeitsschwerpunkte verlagern sich zu systemkonformen Aufgaben.« Das wird mit keinem Wort erläutert. Wer soll es verstehen?
Nach Berlin zurückgekehrt schaue ich in Meyers Lexikon von 1940. Es gibt unter anderem den Hinweis, daß Lychen damals Sitz einer Gauschulungsburg der NSDAP war.
Heute hüllt man die Nazi-Vergangenheit in künstlichen Nebel – nicht nur in Brandenburg. In Bayern wird der Geschichtsunterricht über die Jahre 1933 bis 1945 durch amtliche Anordnung drastisch verkürzt.
Dagegen schwelgt man überall in der Erinnerung an weiter zurückliegende Zeiten. Auf der vorpommerschen Insel Usedom firmieren die drei benachbarten Seebadeorte Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck stolz als »Kaiserbäder«. An der Heringsdorfer Seepromenade wurde auf einem marmornen Sockel ein bronzener Wilhelm I. aufgestellt. Viele Touristen fotografieren sich gegenseitig mit Kaiser. Höhepunkt der Badesaison sind die »Kaisertage« mit Festumzug. In einer stattlichen Karosse wird jemand herumgefahren, der als Kaiser kostümiert ist; huldvoll grüßt er in die Reihen der Badegäste und läßt sich huldigen. Wer hier etwa daran erinnert, daß dieser Wilhelm, bevor er Kaiser wurde, 1848 in Berlin Demonstranten niederkartätschen ließ und als König von Preußen einen Angriffskrieg nach dem anderen führte, zieht allgemeinen Unmut auf sich. Die preußische Königs- und Kaiserherrschaft wird zum Gegenstand allgemeiner nostalgischer Verehrung; darum müssen auch die Schlösser in Berlin und Potsdam wiedererrichtet werden, sogar die Potsdamer Garnisonkirche als Symbol des deutschen Militarismus.
Aber wehe dem, der auch nur ein einziges gutes Haar an der DDR läßt. Als »DDR-Nostalgiker« ist er sofort unten durch. Logisch. Für eine imperialistische Gegenwart und Zukunft ist die DDR-Vergangenheit nicht traditionsfähig. Jener Wilhelm dagegen hat Kriege nicht nur begonnen, er hat sie sogar gewonnen, hurra! Davon träumen heutige Generale und regierende Politiker.
Und das Volk darf mitträumen.
Karla Koriander
Eberhard Rebling
»Feinfühlig, leise, verhalten« – diese Kurz-Charakteristik des vielseitig aktiven Musik-Künstlers und Künstler-Menschen, der uns mit 96 Jahren körperlich verlassen hat, stammt von Tilo Medek, der bei Rebling, jahrelang Professor und bis 1976 Rektor der Hochschule für Musik, erfolgreich die Kunst der Komposition studierte. Medeks Urteil ist absolut glaubwürdig, denn er kannte seinen Lehrer natürlich besser als ein wohlgesinnter Nekrologist. Doch hat auch Jan Brachmann recht, der seine Gedenkworte in der
Berliner Zeitung (15.8.08) überschrieb: »Ein kreativer Marxist«. Zweifellos trauern wir um einen feinfühligen, leisen, verhaltenen und kreativen Marxisten. Es mag immer noch grobschlächtige, laute und ungehaltene Marxisten geben – das ist eine andere Erfahrung. Ich würde den Schriftsteller, Menschenfreund und Familienvater Rebling, den Teilnehmer am antifaschistischen Widerstandskampf in den Niederlanden, nicht mal in erster Linie kämpferisch nennen. Heutzutage tritt mancher, der in einem Leserbrief das Weltproblem der Kneipen-Raucher-Abteile in Grund und Boden analysiert, als Kultur-Kämpfer auf. Mit Eberhard Rebling konnten wir sehr anregende Gespräche führen. Seine Überlegenheit beruhte auf Überlegungen, glaube ich. Er war Pfeifenraucher. Und (man kann beides zugleich sein) auch ein Denker.
L. K.
Hafenbilder
Auf den ersten 100 Seiten dokumentieren Zeichnungen aus der satirischen Wochenzeitschrift
Der wahre Jacob und der Leipziger
Illustrierten Zeitung sowie zeitgenössische Fotos die harten Arbeits- und Lebensbedingungen der Hamburger Hafenarbeiter im ausgehenden 19. Jahrhundert. Auf den nächsten 100 Seiten sehen wir komplett automatisierte Hochregallager mit einer Technik, die fast ohne Menschen auskommt, oder die High-Tech-Brücke eines Container-Riesen, oder wir blicken von der Köhlbrandbrücke auf den Terminal Waltershof mit Container-Stapeln, so weit das Auge reicht.
Dazwischen Bilder aus verschiedenen Orten Europas mit protestierenden Hafenarbeitern, mit Fahnen und Transparenten, Plakaten.
Dieses Buch beschreibt zwei große »Kraftproben«: den Hafenarbeiterstreik von 1896/97 und die jüngsten Kämpfe der europäischen Hafenarbeiter gegen die von der EU-Kommission schon zweimal angestrengte Privatisierung und Deregulierung der Hafenarbeit. Udo Achten (IG Metall), Autor zahlreicher Veröffentlichungen über die Arbeiterbewegung, und Bernt Kamin-Seggewies (ver.di), Betriebsratsvorsitzender der Hafenarbeiter in Hamburg, schildern anschaulich den Wandel der Hafenarbeit. Parallelen zwischen damals und heute müssen sie nicht konstruieren, sie liegen auf der Hand.
Herzstück des Buches ist der komplette Nachdruck der Broschüre über den schon erwähnten elfwöchigen Streik vor mehr als 110 Jahren, verfaßt von Carl Legien, dem damaligen Vorsitzenden der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands und späteren Reichstagsabgeordneten. Sein Fazit: Die Arbeiterschaft wird sich in den kommenden sozialen Kämpfen vornehmlich auf die eigenen Kräfte zu verlassen haben. Sie muß sich daher besser organisieren und Munition sammeln, sprich: ihre Streikassen füllen. Ist es heute anders?
Klaus Nilius
Achten/Kamin-Seggewies: »Kraftproben«, VSA-Verlag, 240 Seiten, 22.80 €
Andreas Buro
Für radikal daherkommende Reden ist er noch nie zu haben gewesen, aber immer hat er entschieden und deutlich für seine Sache argumentiert. Jetzt ist er, der einst die Ostermärsche der Atomwaffengegner mitinitiiert hat, 80 und wirkt so aktiv wie eh und je als Pazifist, Konflikt(lösungs)forscher, Dialog-Anreger zwischen Kurden und ihren türkischen oder deutschen Vormündern und nicht zuletzt als friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Zu gratulieren und zu danken ist ihm vor allem dafür, daß er sich nicht hat verbiegen lassen.
Red.
Berliner Hörspielwettbewerb
Das gab es bislang nicht in Berlin: einen Hörspielwettbewerb. Seine Initiatoren sind Andreas Büttner (Regisseur und Schauspieler), Jan Bischof (Designer, Hörspielmacher, Musiker) und Michael Fersch (Zahnarzt, Hörspielschreiber und -produzent). Sie sind zwischen dreißig und vierzig Jahre jung, Wahlberliner. Sie selber waren mit Hörspiel-Arbeiten bei Wettbewerben in anderen Städten preiswürdig. So entstand die Idee, Ähnliches in Berlin zu starten. Der erste Aufruf brachte 142 Hörspiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ins Haus. Die Themen: Liebe, Karriere, Amok und Fantasie, Arbeitslosigkeit, Vereinsamung, Tod. Ihre Aufbereitung: von kryptisch bis intellektuell, von Propaganda bis Experiment, von Klamauk bis spannend. Die Jury – Autoren, Kritiker, Dramaturgen, Hörspielmacher, Verlagsmitarbeiter –, war zwei Monate mit Anhören und Werten beschäftigt. Ergebnis: Manche Plots sind schwach, manche Figuren flach, manche Darbietungen technisch überfrachtet. Insgesamt jedoch sind die Einsendungen von überraschend hoher Qualität.
An drei Abenden eines Wochenendes kamen die besten Arbeiten im Strandbad Berlin-Weißensee zu Gehör. Der See, Liegestühle, zwei (oder drei?) Palmen, Eintritt frei, Picknick erwünscht. Auch Regen kam, unerwünscht. Interessierte ließen sich dadurch nicht abhalten. Beifall votierte für eine Wiederholung im kommenden Jahr.
Ein Sponsor gab Geld für drei Preise. Den Hauptpreis erhielt Elodie Pascal für »mein körper ist ein schlachtfeld«, die verstörende Reflektion einer sich permanent selbst verstümmelnden, an Borderline-Syndrom leidenden jungen Frau. Zwingend gemacht, authentisch, überbordend fantasievoll, manchmal auch komisch, gute Literatur, vorzüglich gesprochen.
Aber nicht nur wegen einzelner überragender Arbeiten, auch wegen der Vielfalt und Aktualität der Themen, der Einblicke in die Befindlichkeit unserer Gesellschaft aus dem Blickwinkel einer jüngeren Generation, wegen der oft kunstvollen Form und -sprache sollte der Berliner Hörspielwettbewerb Tradition werden.
Anne Dessau
Press-Kohl
Unsere Freundin M. A. hat einen empfindlichen Magen. Der ekelt sich vor schlechtem Fett. Die 44jährige dänische Schauspielerin Brigitte Nielsen ekelt sich vor sich selber, was sie einem abgebrühten Journalisten feinsinnig offenbarte: »Ich finde mich Sch ...«
Frau Nielsen ließ sich in einer Serie von sechs sogenannten Schönheitsoperationen aber nicht ihre Sch ... absaugen, sondern ihr Fett. »Ein Heidenstück Arbeit für das Darmstädter Beautyklinik-Team, denn die dralle Dänin verlangt frische Brüste, neue Zähne, Augen- und Facelifting. Ihr abgesaugtes Fett will sie versteigern.« Hoffentlich gerät es nicht in die Küche einer Imbiß-Kette. Über zwei Liter abgepumptes Nielsen-Fett sollen nach dem Willen der Künstlerin zwischenzeitlich in einer gläsernen Karaffe verwahrt werden.
Die ganze fatale Auslassung wurde von
RTL gefilmt und in vier Folgen gesendet. Jeweils um 19.05 Uhr. So steigert man den Appetit aufs Abendessen. Besitzer von Fernsehgeräten, die nicht immun gegen ranziges Fett sind, konnten den ganzen Schlamassel haargenau im
Berliner Kurier nachlesen. Falls sie noch nicht wußten, was man unter einem Schmierenblatt versteht.
*
In Karlsbad, berichtete die
Prager Zeitung, sei »der Film los«, das heißt er war schon los, denn das zentrale Ereignis der Internationalen Filmfestspiele 2008 hatte sich ein bißchen eher zugetragen, wird aber zweifellos aus der Filmgeschichte der Menschheit auch in den nach uns kommenden Zeiten nicht gelöscht werden können:
»Während der Festivalwoche war der ganze Kurort im Filmfieber ... Unter den durchweg jungen Zuschauern ... waren auch Filmschaffende und Studenten, die an einer der Diskussionen im Grand Hotel Pupp teilnahmen. Beim Betreten des Hotels stolperten sie förmlich über den deutschen Schauspieler Armin Müller-Stahl, der sich gerade auf die Eröffnung seiner Gemäldeausstellung ›Menschenbilder‹ vorbereitete.«
Bei der Vorbereitung seiner Vernissage lag, wie es scheint, der Schauspieler und Maler auf dem Fußboden des Grand Hotels Pupp, nicht ahnend, daß man dort förmlich über ihn stolpern könnte.
Oder weil er aus Gründen der PR für seine Existenz und seine Menschenbilder wünschte, daß man über ihn stolpern möge. Wenigstens stolpern.
Felix Mantel