Die Zeiten, als die radikale Linke sich, wie einst Marx und Engels, vorbehaltlos am Ausbruch einer Wirtschaftskrise erfreuen konnte, waren im Grunde schon mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise von 1929/32 vorbei. Allerdings merkte sie das damals nicht. In Deutschland polemisierte sie gegen Gewerkschaftsführer, die den »Arzt am Krankenbett des Kapitalismus« spielen wollten, und zwar zu Recht, übersah aber in ihrem Kampf für ein künftiges Sowjetdeutschland, daß die radikale Rechte gerade dabei war, der bürgerlichen Demokratie den Garaus zu machen und den Faschismus an die Macht zu bringen. 1935 verabschiedete sie sich zwar von der »absolut falschen Vorstellung, daß ... es den Kommunisten nicht gezieme, die Reste der bürgerlichen Demokratie zu verteidigen« (Wilhelm Pieck), aber in der Praxis ist die Problematik nach wie vor umstritten.
In Europas völlig zersplitterter Linken, so auch in der deutschen, werden Staatshilfen für das Kapital von den einen als Mittel zur Arbeitsplatzsicherung gepriesen, von den andern als Mittel zur Bereicherung der Aktionäre verteufelt. Eine differenzierte Betrachtung der Lage findet sich kaum, erst recht kein Katalog differenzierter Maßnahmen. Es ist in der Tat eine Gratwanderung, in der Wirtschaftskrise weder »Arzt am Krankenbett des Kapitalismus« noch »Totengräber der bürgerlichen Demokratie« zu sein. Aber da die politischen Folgen der Krise kaum absehbar sind und sich zur Zeit nicht darin manifestieren, daß die Linken Zulauf haben, sondern eher die »nationalen« Rechten, bedürfen die einzuschlagenden Wege eingehender Diskussion, von der momentan wenig zu spüren ist. Drei Beispiele mögen die tatsächlichen Unterschiede aufzeigen, die unterschiedliche Maßnahmen des Staates erfordern würden, daher auch unterschiedliches Handeln der Linken.
HypoRealEstate ist eine der zentralen deutschen Immobilienbanken. Vor der Krise hat sie sich höchst profitabel mit faulen Krediten eingedeckt und steht daher völlig zu Recht am Abgrund. Unsere Altvorderen hätten sich gefreut, wenn sie dort hineingefallen und verendet wäre. Unter den gegebenen Bedingungen hätte ihr Zusammenbruch allerdings katastrophale Folgen für die deutsche Wirtschaft sowie die politische Lage in Deutschland gehabt. Staatshilfe war angesagt, allerdings nicht auf dem jetzt gegangenen Wege, der letztlich nur zu einem sattsam bekannten Ergebnis führen wird: Sozialisierung der Verluste mit anschließender Privatisierung der Gewinne.
Eine tatsächliche Verstaatlichung der Bank wäre das Gebot der Stunde gewesen. Das marktliberale Argument, damit würde der Sozialismus durch die Hintertür eingeführt, ist rein ideologisch, denn in allen großen Krisen fanden Verstaatlichungen statt, ob nun nach der »Gründerkrise« von 1873 die der preußischen Eisenbahnen oder in der Weltwirtschaftskrise 1931 die der Dresdner Bank. Die Behauptung, der Staat dürfe sich nicht noch weiter verschulden und diese Schulden der künftigen Generation aufbürden, ist doppelt falsch. Erstens haben Schuldner nie zukünftige, sondern stets sehr gegenwärtige Gläubiger. Zweitens sind die gegenwärtigen Gläubiger des Staates, von den Auslandsschulden abgesehen, vor allem die inländischen Banken und Versicherungen; an sie hat der Staat einen beträchtlichen Teil des jährlichen Zinsendienstes in Milliardenhöhe zu zahlen. Mit einer Verstaatlichung wäre der Staat also nicht nur in der Lage, etwas Ordnung in das Finanzchaos zu bringen – nicht sehr viel, denn dagegen steht der nach wie vor deregulierte internationale Finanzmarkt –, sondern darüber hinaus würde sich ein beträchtlicher Teil seiner Schulden in das verwandeln, was sie tatsächlich sind, Schulden bei den Konteninhabern, den vielen kleinen und den wenigen großen, die dadurch eventuell auch einen besseren Einblick erhielten, was mit ihren Einlagen tatsächlich geschieht. In jedem Falle wäre Schluß mit der Mär, daß die in Deutschland Lebenden über die Staatschuld pro Kopf mit soundso viel -zigtausend Euro verschuldet seien.
Opel ist ein völlig anders gelagerter Fall. Die Autoindustrie ist weltweit in der Krise, weil seit Jahren viel zu viele Autos produziert und dafür die öffentlichen Nahverkehrssysteme ruiniert wurden. Staatshilfen fielen hier in ein Faß ohne Boden und sicherten allenfalls einigen Großaktionären ihre Kapitalerträge. Hier ist in der Tat das vonnöten, was vor fünfzig Jahren in der alten Bundesrepublik mit dem Steinkohlenbergbau und seinen Beschäftigten getan wurde: sukzessive Reduktion der Produktion und gleichzeitig massive Umschulungsprogramme für die Beschäftigten, damit sie andere, sinnvollere Arbeit bekommen können (die im Rahmen dieses Systems selbstverständlich auch profitabel sein muß und das auch kann). Damals, vor fünfzig Jahren, war das Geld für so etwas da.
Damals mußte das Geld da sein, weil sonst die Gefahr bestand, daß die massenhaft erwerbslos gewordenen Bergarbeiter dem Erzfeind, dem Sozialismus in der DDR, etwas hätten abgewinnen können. Es ist viel zu wenig bekannt, welch enorme Bedeutung die Existenz der DDR für den Aufbau des Sozialstaates in der alten Bundesrepublik hatte, obgleich überhaupt nicht zu verkennen ist, daß mit dem Verschwinden der DDR auch das Signal für einen ganz massiven und bis heute andauernden Abbau des Sozialstaates in der neuen Bundesrepublik gegeben war. Seit Jahren agieren die Gewerkschaften ganz und gar defensiv, es geht nicht mehr um ein Mehr an Sozialstaat, sondern bestenfalls um seine Erhaltung. Und daher führt die IG Metall jetzt einen Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Autoindustrie, der ökonomisch sinnlos, ökologisch sinnwidrig und politisch aussichtslos ist. Staatshilfe tut not, aber nicht zur Weiterführung, sondern zum sozial verträglichen Abbau dieser Branche, einschließlich gar nicht billiger Umschulungsprogramme.
Arcandor ist wiederum anders gelagert. Hier haben sich Eigentümer und Aktionäre kapitalistisch verspekuliert und werden kapitalistisch bestraft. Der Verlust von einigen Tausend Arbeitsplätzen droht. Aber statt daß die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Möhnig-Rahne die Beschäftigten zum Streik aufruft, um so die Eigentümer zu wirtschaftlicher Aktivität im Interesse der Belegschaft zu zwingen, ruft sie nach Staatshilfe für diesen Konzern. Hat dieser Ruf vielleicht auch damit zu tun, daß sie Mitglied des Aufsichtsrats von Arcandor ist?
Die Sache ist sehr einfach: Solange die Eigentümer von Arcandor, insbesondere die Haupteigentümerin Schickedanz, nicht Sozialhilfe beantragen müssen, verfügen sie über genügend Geld und vor allem Sachwerte, die sie erstmal im Interesse ihres – tatsächlich: ihres – Konzerns einzusetzen haben. Sollten sie sich dazu nicht in der Lage sehen, muß der Staat entsprechend Artikel 14 Ziffer 2 Grundgesetz eingreifen: Eigentum verpflichtet. Diese Durchsetzung geltenden Rechts muß keineswegs gleichbedeutend mit Verstaatlichung sein. Im Gegenteil, die Erfahrungen der staatssozialistischen Länder haben zur Genüge gezeigt, daß der Staat nicht in der Lage ist, all und jedes zu regulieren. Viel besser ist hier Staatshilfe, damit die Belegschaften die verschiedenen Betriebsteile kaufen und die Kaufsumme zu moderaten Bedingungen zurückzahlen können.
So verschieden könnte Staatshilfe zu Krisenzeiten aussehen, wohlgemerkt Hilfe des bürgerlichen Staates innerhalb des kapitalistischen Systems.