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Titel1709

Vom Duden für dumm verkauft  (Hans Krieger)

Duden & Co machen sich wieder wichtig. Wenn man schon mit einer Rechtschreibreform die allgemeine orthographische Verunsicherung herbeiverordnet hat (nicht nur in der Sozialpolitik nennt man Verschlechterungen »Reform«), dann muß diese Verunsicherung auch geschäftlich genutzt werden. Drei Jahre ist es immerhin schon her, daß der Deutsche Rechtschreibrat die Reform reformiert und damit neue Wörterbücher nötig gemacht hat. Und irgend etwas muß in so langer Zeit doch wohl passiert sein, das die Anschaffung eines noch neueren Rechtschreibwörterbuches unabdingbar macht. Orthographisch ist aber rein gar nichts passiert; nicht einmal die Schilder »Ausfahrt freihalten« müssen in »Ausfahrt frei halten« geändert werden, wie die Süddeutsche Zeitung herausgefunden zu haben glaubt, denn freihalten durfte man schon bisher nur einen Gast, aber keine Ausfahrt. Warum also Neuauflagen bei Duden wie beim Konkurrenzunternehmen Wahrig?

Dumme Frage! Wo soll man denn nachschauen, wie »Abwrackprämie«, »Bad Bank« oder »Börsenzocker« geschrieben werden? Oder »Datenklau«, »Ehrenmord«, »Nacktscanner«? Gar nicht zu reden von der ungemein geläufigen und orthographisch eminent schwierigen »Herdprämie«. Oder der »Angsthäsin«, die in Zeiten der Gleichberechtigung neben dem »Angsthasen« ihr lexikalisches Daseinsrecht fordert. 5000 solcher Wortschatzbereicherungen hat der neue Duden anzubieten. Also, Leute, kauft den neuen Duden, damit ihr nicht dumm dasteht, wenn ihr Wörter wie »Kreditklemme« oder »Produktpiraterie« schreiben wollt. Oder gar »abbusseln«.

Wer partout den neuen Duden nicht kaufen will, kann ja den neuen Wahrig nehmen; das dient auch der Konjunkturbelebung. Der hat zwar etwas weniger neue Stichwörter im Angebot, ist dafür aber um vier Euro billiger. Und er ist eine echte Alternative. Nicht nur, weil er die aktuelle Version der amtlichen Regeln abdruckt, die man im neuen Duden vergeblich sucht. Nein, nicht nur die Packungsbeilage, sondern auch das Produkt selber unterscheidet sich. Hier herrscht mal wirklicher Wettbewerb: Es steht nicht nur was anderes drauf, es ist auch was anderes drin.

Schreibt man »ratsuchend« oder »Rat suchend«, »leer stehend« oder »leerstehend«, »totgeglaubt« oder »tot geglaubt«, »minutiös« oder »minuziös«, »Drainage« oder »Dränage«? Kommt ganz drauf an, in welches Wörterbuch man guckt. Solche Konkurrenz belebt das Geschäft. Und wunderbar ist es eingerichtet, daß beide Wörterbuchunternehmen zum gleichen Lehrmittel-Großkonzern Cornelsen gehören. Das ist Marktwirtschaft pur.

Waren das noch Zeiten, als eine druckfertige Duden-Auflage eingestampft werden mußte, weil der damalige bayerische Kultusminister Zehetmair noch einigen Unsinn aus dem Reformkonzept gestrichen haben wollte. Auf die Frage eines Spiegel-Redakteurs, ob er das denn verantworten könne, antwortete der Minister ungerührt: »Da haben sich die Herren halt verspekuliert.« Später, als Vorsitzender des Rechtschreibrates, war Zehetmair weniger mutig und ließ sich von der Kultusministerkonferenz den Abbruch der Reform der Reform diktieren, bevor die Absurditäten der neuen Regeln zur Groß- oder Kleinschreibung und zur Laut-Buchstaben-Relation überhaupt erörtert waren. Weswegen heute ein Schüler bestraft werden kann, weil er noch weiß, daß der »Tolpatsch« nichts mit »toll« zu tun hat, der »Zier(r)at« keine Ratsperson mit der Zuständigkeit fürs Dekorative ist und »morgen« in der Verbindung »heute morgen« kein Substantiv, sondern ein Zeitadverb ist.

Die Rechtschreibreform war ein Geniestreich, der viele Fliegen mit einer Klappe schlug. Vorexerziert wurde, wie man auf außerdemokratische Weise und ohne Rechtsgrundlage eine »Reform« durchpeitscht, die das Volk nicht will, und Gehorsam erzwingt. Die bitterste Lehre war, daß auch das Verfassungsgericht sich düpieren ließ und dem »Staat« zubilligte, zu dürfen, was er weder darf noch dürfen darf: die Sprache verändern. Der »Staat« war in diesem Fall aber die Kultusministerkonferenz, die gar kein Verfassungsorgan ist und keine rechtsverbindlichen Beschlüsse fassen kann. Aus »Gründen der Staatsraison« wurde, nach dem Geständnis einer Kultusministerin, an der Reform festgehalten, als alle, auch die Kultusminister, längst wußten, daß sie »falsch« war.

»Falsch« ist aber nicht nutzlos. Erreicht wurde eine tiefgreifende Aushebelung des Sprachgefühls und damit eines Fundaments des genauen und differenzierten Denkens. Früher schrieb man regelkonform, um möglichst präzise verstanden zu werden, und nicht, um einer Regel zu gehorchen; das gilt zumindest für diejenigen, auf die es für die Erhaltung und Weiterentwicklung der Sprachkultur ankommt. Nach der Reform ist vieles so willkürlich und undurchschaubar, daß nur zwei Möglichkeiten bleiben: Man gehorcht dem Reformdiktat (beziehungsweise einer seiner Varianten), oder es ist einem wurscht. Beides nimmt dem kritischen Bürger etwas von seiner Mündigkeit, und das nützt den Herrschenden ebenso wie den Marktinteressen.

Unlängst war in einer Wochenzeitung zu lesen, die deutsche Politik sei im Denken viel zu brav und konventionell, und wo sie »wild zu wachsen« drohe, werde sie »von politisch korrekten Gartenzwergen ziemlich schnell wieder zu Recht gestutzt«. Gemeint war selbstverständlich nicht, daß sie gestutzt wird und das mit Recht. Daß »zurechtgestutzt« trotz Reform noch immer die übliche Schreibung ist, wußte der Autor vermutlich nicht, aber er kannte die neue Faustregel, daß im Zweifelsfall getrenntgeschrieben werden muß, und folgte dem Prinzip: lieber dreimal zu oft gehorcht als einmal zu wenig. Das war in einem Blatt, das sich der linken Opposition zurechnet, und Thema war die mangelnde Bereitschaft der Deutschen zum Widerstand, ihr Schafsgehorsam.