Ausgerechnet im Sommerloch hat das Bundesverfassungsgericht ein sensationelles und doch von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenes Urteil gefällt. Nach dem Spruch der Richter sollen die Pensionen oder Pensionsansprüche entlassener oder zurückgetretener hoher und höchster Staatsdiener rigoros gekürzt werden. Zukünftig sollen diese Personen nicht mehr, aber auch nicht weniger als die statistischen Eckrentner erhalten, also diejenigen, die 45 Jahre lang Versicherungsbeiträge gezahlt haben und in der Alt-BRD gegenwärtig monatlich 1224 Euro überwiesen bekommen. Wenn sie Pech haben und ihre Karriere, ausschließlich im Osten Deutschlands gemacht haben, reduzieren sich ihre Altersbezüge aufgrund des geringeren Rentenwertes auf 1085 Euro.
Das Hohe Gericht begründete seine einschneidende Entscheidung mit der Feststellung, daß es schlicht und einfach darum gehe, »ein Fortwirken eines Systems der Selbstprivilegierung zu verhindern«. Der Gesetzgeber, so das Gericht, habe davon auszugehen, daß die Betroffenen – Bundespräsident, Kanzler, Bundesminister, Ministerpräsidenten und Minister der Landesregierungen sowie deren Stellvertreter – ihre Position »entscheidend durch Parteilichkeit und Systemtreue erlangten«. Ihre frühere oder jetzige Tätigkeit in Schlüsselpositionen des Staates sei »stets mit der Zahlung überhöhter, nicht leistungsgerechter Entgelte einhergegangen«, so daß die genannten Kürzungen völlig legitim seien.
Auslöser für das überraschende Urteil waren Informationen über die horrenden Abfindungssummen und Ruhegehälter der in letzter Zeit aus ihren Amtsräumen flüchtenden Spitzenpolitiker, Summen, die zwar nicht zu Unruhe in weiten Teilen der Bevölkerung führten, aber beim besten Willen nicht in das »sozial ausgewogene Sparpaket« der Merkel-Westerwelle-Regierung passen. So soll der noch in diesem Monat ausscheidende Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Ole von Beust, noch drei Monate lang sein monatliches Salär von 13.577 Euro erhalten und nach mehreren Zwischenschritten bei etwa 7.000 Euro landen. Sein ebenfalls amtsmüder hessischer Amtskollege und Parteifreund Roland Koch rechnet damit, in spätestens drei Jahren eine monatliche Pension von 10.212 Euro einstreichen zu können. Nach den bisher geltenden Regelungen könnte selbstverständlich der Amtsflüchtling des Jahres, Alt-Bundespräsident Horst Köhler, finanziell einer sorgenfreien Zukunft entgegensehen. Wie alle bisherigen Bundespräsidenten hofft er auf einen lebenslangen »Ehrensold« in Höhe seines bisherigen Gehaltes von 16.583 Euro monatlich.
Nach dem neuesten Karlsruher Richterspruch wird daraus nichts. Die Bezüge werden gekürzt; und den Genannten und vielen gleich oder ähnlich gestellten jetzigen oder zukünftigen Pensionären droht, von den Rücklagen bei der Deutschen Bank und anderswo einmal abgesehen, das Leben eines Eckrentners. Das Vaterland, das teure, dankt ihnen nicht für ihre treuen Dienste. Im Gegenteil, es verurteilt sie zu einer Strafrente, denn ihre vorangegangenen Gehälter seien, wie der Gerichtshof konstatierte, eben »nicht leistungsbezogen«, sondern »Prämien für Systemtreue« gewesen.
Eine wirklich schöne Nachricht, aber Ossietzky-Leser haben den Schwindel des Autors dieser Zeilen längst durchschaut. Das Strafrentenurteil des Bundesverfassungsgerichtes mit den zitierten Begründungen betrifft nicht die fahnenflüchtig gewordene und die andere bundesdeutsche Politprominenz, sondern zwei hohe Staatsbedienstete der vor 20 Jahren dahingeschiedenen DDR, den ehemaligen Umweltminister Hans Reichelt und den Vize-Minister für Leichtindustrie, Hans Lessing, sowie alle Minister, stellvertretenden Minister oder stimmberechtigten Mitglieder des Staats- und des Ministerrats. Den beiden Uneinsichtigen mit dem gleichen Vornamen erging es nahezu wie dem bekannten »Hans im Glück«. Sie wollten Besseres eintauschen, wagten es, gegen die Strafrente (Ost) zu klagen, und gingen leer aus.
Aber eigentlich ist das Ganze doch ziemlich gerecht. Warum sollten die Kläger und ihre ehemaligen Amtskollegen plötzlich eine Rente gemäß ihren Einzahlungen in die Kassen der Sozialversicherung und Zusatzsysteme erhalten, wo doch ihre Ministergehälter bis 1990 eh schon um ein Vielfaches niedriger waren als die der altbundesdeutschen Amtsträger?
So bestätigt das Urteil, daß die BRD nicht nur ein Rechts-, sondern auch ein Gerechtigkeitsstaat ist. Warum sollten diejenigen, die leistungsschwach und »systemtreu« dem Unrechtsstaat DDR dienten, gleichbehandelt werden mit jenen, die in der Bundesrepublik im Schweiße ihres Angesichts, selbstlos, mit enormem Fachwissen und beispielhaftem Elan für das Wohl des Volkes wirkten und wirken? Gerechtigkeit muß sein. Wer weiß das besser als die hochbesoldeten Richter in Karlsruhe, deren Einkommen selbstverständlich ihrer Leistung entspricht – wenn sie so über andere urteilen.