1938, als ihr der französische Surrealist André Breton bei einem Besuch in Mexiko begeistertes Lob spendete (»un ruban autour d’une bombe«), antwortete Frida Kahlo, sie sei weder eine Surrealistin noch überhaupt eine Künstlerin, sie stelle nur mit eigenen Mitteln dar, was sie in ihrem Innersten bedränge. Diese Äußerung wird bis heute unter dem Gesichtspunkt künstlerischer Bescheidenheit sowie mit Hinweisen auf ihr Autodidaktentum interpretiert. Doch man kann ihre Bildungsgrade und künstlerische Ausbildung nicht hoch genug ansetzen. Ihre jetzt veröffentlichten, von Salomon Grimberg herausgegebenen Briefe an Nickolas Muray, dem sie anläßlich ihrer Parisreise Anfang 1939 über die surrealistische Kunstszene berichtete, läßt die angebliche Bescheidenheit gegenüber Bretons hochfliegenden Worten in einem ganz anderen Licht erscheinen. Kahlo gibt sich als scharfe Beobachterin und als Künstlerin zu erkennen, die sich von niemandem ein X für ein U vormachen lässt. Bretons Gegeneinladung nach Paris beschreibt sie als katastrophales Fiasko. Ihre rechtzeitig voraus gesandten Bilder zur Pariser Ausstellung lagen bei ihrer Ankunft immer noch beim Zoll, weil – so schreibt Frida ihrem Geliebten nach New York, dieses »A…loch von Breton sich nicht die Mühe gemacht hatte, sie abzuholen«. Die Auslösung der Bilder vom Zoll regelte Marcel Duchamp für sie, »der einzige in diesem Haufen durchgedrehter Surrealistenärsche, der mit beiden Beinen auf der Erde steht«. Duchamp war es auch, der tatsächlich erst die Galeristen Renou et Colle für eine Ausstellung ausfindig machte, weil Breton sich überhaupt nicht bewegt hatte. Das Konzept blieb dennoch bei ihm. Er kuratierte die ihr gewidmete Ausstellung unter dem Titel »Mexique« als eine Kuriositätensammlung mit Bildern aus dem 19. Jahrhundert, Fotos und Kunsthandwerk vom Flohmarkt, wie sie verärgert schreibt, »lauter Plunder«. Breton hatte seine Hochschätzung von Frida Kahlos Kunst rasch vergessen oder in Mexiko nur vorgetäuscht. Über die Pariser Kunstszene schreibt Kahlo: »Was diese Leute für Kanaillen sind… Sie sind so verdammt ›intellektuell‹ und mies… sitzen stundenlang in den »Cafés«, wärmen ihre feinen Ärsche und quatschen ununterbrochen über ›Kultur‹, ›Kunst‹ und ›Revolution.‹«
Viele Geheimnisse um Frida Kahlo sind gelüftet. Zwei Problemkreise bieten noch Stoff für Rätsel. Erstens Kahlos Krankheiten mit der Folge von 22 Operationen. Ihre ungeklärte Todesursache steht in diesem Zusammenhang auch immer wieder zur Diskussion. Jedoch hat Diego Rivera Recherchen dieser Art einen Riegel vorgeschoben. Nach dem Tod seiner Ehefrau lehnte er die Obduktion ihres Leichnams ab. Außerdem veranlaßte er eine Urnenbeisetzung. In dieser Richtung kann die Forschung wegen der Persönlichkeitsrechte und der Sperrfristen medizinischer Gutachten vorläufig nicht fündig werden. Die Wallfahrten von täglich 4000 Besuchern zur Retrospektive im Berliner Gropiusbau in den vergangenen Wochen verrieten eine gesteigerte Neugier, die nicht so sehr dem Werk Frida Kahlos, sondern mehr der Art und Weise ihrer Lebensbewältigung gilt. Dafür hat Herausgeber Salomon Grimberg den Begriff »Fridolatrie« geprägt.
Zweitens Frida Kahlos Liebesaffären. Sie spielen im Wallfahrts-Geschehen des Jahres 2010 kaum eine Rolle. Über ihre Ehejahre hinweg, aber auch über die Zeit ihrer Trennung von Diego Rivera hatte sie Liebhaber mit ausnahmslos glanzvollen Namen. Dazu gehörten der Revolutionär Leo Trotzki in seinem mexikanischen Exil, der Kunstsammler Hans Berggruen und der Fotograf Nickolas Muray. Aus Briefschaften, die diese Liebesbeziehungen erhellen können, ist noch viel zu erwarten. Doch liegen diese Quellen wiederum in schwer oder gar nicht zugänglichen Nachlässen (Leo Trotzki) und Archiven. Salomon Grimberg hat sich der Liebesgeschichte von Frida Kahlo und Nikcolas Muray (1892–1965) angenommen. Die Ergebnisse sind beachtlich. Aus beider Korrespondenz und anderen Quellen liefert er einen komplexen Entwurf von der Persönlichkeit Murays. Der ungarische Jude Miklós Mandl, später nennt er sich Nickolas Muray, verließ als Einundzwanzigjähriger Europa. In Amerika führt er die Farbfotographie in das Werbegeschäft ein. Für Vanity Fair, Vogue und andere Modemagazine gestaltete er jahrelang höchstbezahlte Titelseiten. Viele bekannte Starfotos der amerikanischen Film- und Politprominenz sind von Muray. Zu seinen Freunden gehörten Künstler wie Langston Hughes, Paul Robeson, Eugene 0’Neill und Jean Cocteau.
Grimberg konnte noch Zeitzeugen befragen, Murays Nichten Iloni Muray Kerman, Cornelis Muray Braun, Violetta Muray Tamas. Er fand Zugang zum Miguel-Covarrubias-Archiv in Mexiko Stadt. Das George-Eastman-House bewahrt Murays gesamten fotografischen Nachlaß mit 25.000 Abzügen auf. Die frühen Farbnegative der wunderbaren Frida Kahlo-Bildnisse sind restauriert, neue Abzüge in Schwarzweiß angefertigt worden. Muray, ein überaus attraktiver Mann, der lebenslang Cleverness und sportive Eleganz in sich vereinte, war übrigens einer der berühmtesten amerikanischen Fechter. Bei seinem letzten Wettkampf 1965 erlag er einem Herzinfarkt.
Die Beziehung zwischen beiden dauerte neun Jahre. Sie begann mit Murays erster Mexiko-Reise im Jahr 1931, als der 39jährige die 24jährige Frida Kahlo kennenlernte. Die letzten Briefe schrieb sie ihm 1940 aus Coyoácan; in diesem Jahr zerbrach die Beziehung. Grimberg hat die wenigen Briefe ediert, die zwischen dem 16. Februar 1939 und dem 6. Februar 1940 zwischen den beiden ausgetauscht wurden. Was sich vor allem einprägt, sind ihre Urteile über die europäische Avantgarde: »Abschaum sind sie, nichts als Abschaum.« Heute wird sie dafür bewundert, daß sie kompromißlos letzte Dinge ausgesprochen hat.
Die neunjährige Liebesgeschichte zwischen Frida Kahlo und Nickolas Muray läßt sich aus den wenigen Briefen der Jahre 1939 bis 1940 allerdings nicht ausreichend beurteilen. Grimbergs Bemerkung, Frida Kahlo habe zu keinem ihrer Liebhaber ein so tiefes Verhältnis gehabt wie zu ihrem Ehemann Diego Rivera, erhellt wenig.
»Ich werde Dich nie vergessen…– Frida Kahlo und Nickolas Muray. Eine Liebesgeschichte«, Frühe und unveröffentlichte Photographien und Briefe, mit einem Text von Salomon Grimberg, aus dem Amerikanischen übersetzt von Christian Quatmann, Verlag Schirmer/Mosel, 120 Seiten, 19.80 €