Kohl, Tomaten, Schnittlauch und Kartoffeln, angebaut in der Großen Freiheit auf St. Pauli. Eine Freifläche gleich neben dem ehemaligen Lokal »Grünspan«. Sie gehört zum Projekt »Gärtnern für alle« und ist Teil des diesjährigen Kampnagel-Sommerfestivals in Hamburg. das die neue Kultursenatorin Barbara Kisseler eben dort eröffnete. Wegen des vielen Regens in diesem Sommer war einiges Gemüse prächtig, anderes etwas spärlich aufgegangen.
Vom »urbanen Garten«, der als »Gemeingut« verstanden wird (das Thema 2011) zum Festivalort, der Kampnagelfabrik: Nicht blaue Glassteinchen wie letztes Jahr, sondern blaßgrüner quietschnasser Kunstrasen bedeckt den Außenbereich neben dem echten Gras. Ein flacher Kasten mit Bienen und eine Informationstafel: Nur vier Jahre würden wir ihr Aussterben überleben. Auch innen etwas Natur: echte und künstliche Pflanzen, gemischt.
Zu Beginn Pina Bauschs »Kontakthof«, Tanztheater von 1978, diesmal mit »Teenagern ab 14«, Laien also. Ein Stück, das nicht altert. Wenn mir auch die Fassung mit Senioren ab 65 (Ossietzky 18/02) noch etwas lebendiger und aufregender erschien.
26 Tänzerinnen und Tänzer, aus Wuppertaler Schulen ausgewählt, spielen, tanzen und erzählen von ihren Erfahrungen mit der ersten Liebe. Manchmal sogar wie in einer Talk-Show, plaudernd ins Mikro, das schnell zum Nachbarn wandert, Sätze bleiben unvollendet. Angezogen wie zur Tanzstunde: pastellfarbene Kleider und Pumps, die jungen Männer in Anzügen. Das Linkische ist echt und rührend. Zaghaft die Annäherungen, theatralisch ein Sich-auf-den-Boden-Fallenlassen. Es scheint nicht beachtet zu werden. Minutenlanges Schreien oder Lachen in unendlichen Variationen. Die Musik: Schlager der Großväter. Schrecklich gefühlvoll. Die Komik der Wiederholungen kann plötzlich in drastische Gesten münden, nichts ist konstant.
Nach der Pause – der Abend wird fast drei Stunden dauern – führt der lustige kleine Tänzer einen Naturfilm über Enten vor, alles sehr nostalgisch, das Abspielgerät und auch der Kommentar. Was soll’s, denkt der Zuschauer. Wie die Entenmutter sich rührend um ihre Küken kümmert, die schon gleich nach der Geburt schwimmen können, aber Schutz und Anleitung brauchen. Szenenwechsel. Ein Mädchen im schwarzen Kleid steht vorn an der Rampe, sieht wie Hilfe suchend nach oben und piept kläglich wie ein Entchen nach der Mutter. Dann kommen die andern und tun das Gegenteil: beugen sich zum Boden, ein Suchen – oder Verbeugen? Das schwarze Kleid wird ausgezogen, darunter kommt ein weißes hervor. Das Mädchen steht stumm in der Mitte, wird von jungen Tänzern gestreichelt, getröstet, unbeholfen. Dann wird an ihr gezupft, sie wird gerüttelt, hochgehoben, auf den Boden gelegt. Sie wacht nicht auf, nicht wieder auf, die Mutter, Entenmutter. Pina Bausch, gestorben 2009, auf Kampnagel lebt sie.