Die Zeit der Raubritter, die im späten Mittelalter Dörfer und Städte, Bauern, Handwerker und Kaufleute bedrohten und ausplünderten, ist längst vorüber. Selbst der berühmte Räuber Hotzenplotz ist nur eine Figur aus Kinderbüchern. Aber geraubt wird wie eh und je. 48.021 Mal haben die Gewaltverbrecher im vergangenen Jahr zugeschlagen. Das jedenfalls behauptete Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), als er die Kriminalstatistik für 2011 präsentierte. In der Regel gehen die Räuber skrupellos und brutal vor, um schnell und unerkannt mit ihrem Raubgut zu verschwinden. Selbst im Internet verwischen sie ihre Spuren so geschickt, daß sie in der Kriminalsstatistik, wie der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, kritisierte, nicht erfaßt werden. Nur höchst selten sind die Kriminellen so dreist, den Beraubten ihre Beute zum Rückkauf anzubieten. Abgesehen von wenigen Ausnahmen entschließen sich nur erfahrene Räuber, die den Rechtsstaat auf ihrer Seite wissen, zu diesem Schritt.
Die Regierenden in unserem Land, gleich ob sie schwarz-gelb oder rot-grün eingefärbt sind, verfügen über diese Erfahrungen. Mit dem Anschluß der DDR haben sie bekanntlich ein riesiges Volksvermögen, darunter 6.546 Industrie- und Wirtschaftsunternehmen sowie 22.340 Gaststätten, Hotels und Verkaufseinrichtungen, 1.734 Apotheken, 481 Kinos und 475 Buchhandlungen, geraubt und zum größten Teil über die Treuhand verhökert. Zu ihrer Beute gehörten auch die volkseigenen Agrar- und Forstflächen, die von der Treuhand-Filiale und späteren Nachfolgerin, der Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG) zu Geld gemacht wurden. Im Verlauf der vergangenen 20 Jahre hat sie rund 80 Prozent dieser Flächen, 1,3 Millionen Hektar, verkauft und 5,3 Milliarden Euro eingenommen. Zur Beute der Landräuber gehören auch die Seen. Einst waren auch sie Eigentum der Bürger der DDR, die auch in diesem Fall entschädigungslos enteignet, also beraubt wurden. Die wiederholte Forderung der Linkspartei nach einem Verzicht auf jegliche Privatisierung und auf eine unentgeltliche Rückgabe der Gewässer wurde von den bundesdeutschen Raubrittern zurückgewiesen. Inzwischen haben sie einen Teil der Gewässer bereits privatisiert, was ihnen immerhin 15 Millionen Euro einbrachte.
Eine gelungene Privatisierung war der Verkauf des Wandlitzsees für 400.000 Euro an den Düsseldorfer Anwalt Werner Becker, der inzwischen durch die Eintreibung von Gebühren für das kommunale Strandbad (60.000 Euro) und die Stege der 150 Anleger (pro Zugang im Schnitt 15.000 Euro) mehr als eine Million Euro »verdient« hat. Ein anderer Teil der geraubten Seen wird mittlerweile den vormaligen Eigentümern, den ostdeutschen Bürgern, vertreten durch die 1990 wieder auferstandenen Länder, zum Kauf angeboten. Nachdem Mecklenburg-Vorpommern Ende des vergangenen Jahres 37 Seen für rund drei Millionen Euro zurückgekauft hat, wird nun das seenreiche Land Brandenburg nach langwierigen Verhandlungen 65 Gewässer für 3,74 Millionen Euro zurückgewinnen. Ursprünglich wollte die BVVG für die ehemals volkseigenen Seen des Landes 30 Millionen Euro kassieren. Wahrlich treffliche Beispiele dafür, wie ein Räuber seine Beute dem Beraubten zum Rückkauf anbietet und wie dieser sein geraubtes Eigentum zurückerwerben kann.
Wie gesagt, dieses Vorgehen ist nicht gerade häufig, aber sonderlich originell ist es nun auch wieder nicht. So wurden zum Beispiel bereits in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts englische Grafschaften von einer Räuberbande unsicher gemacht, deren Anführer Jonathan Wild als scheinbar völlig Unschuldiger den Bestohlenen die Beute zum Rückkauf anbot. Das Räubergeschäft florierte prächtig und fand erst 1725 sein Ende, als besagter Wild in London vor einer riesigen Menschenmenge gehängt wurde. Das räuberische Geschehen regte John Gay an, »The Beggar’s Opera« zu schreiben, deren Hauptfigur Peachum sich an den Beute-Rückkauf-Kriminellen Wild anlehnt und die drei Jahre nach dessen Hinrichtung mit großem Erfolg in London uraufgeführt wurde. Zwei Jahrhunderte später diente das satirische Singspiel dem jungen Bertolt Brecht als Vorlage für die »Die Dreigroschenoper«. Obwohl diese 1928, in der angeblichen Blütezeit der Weimarer Republik, am Berliner Schiffbauer-Theater ihre Uraufführung hatte und wie sein Vorläufer im viktorianischen London spielt, ist sie bekanntlich eine bleibende beißende Satire auf die morbide und räuberische kapitalistische Gesellschaft.
Wer wachen Sinnes erlebt, welche Figuren heutzutage in der bundesdeutschen Gesellschaft in politische und wirtschaftliche Schlüsselpositionen gelangen und bei Versagen weich gebettet werden, dem drängt sich unwillkürlich die »Moritat von Macky Messer«, dem Ganovenkönig aus der »Dreigroschenoper«, auf, der nach all seinen Missetaten vom König begnadigt, in den Adelsstand erhoben, mit einem Schloß und einer lebenslangen Rente beglückt wird: »Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht, und Macheath, der hat ein Messer, doch das Messer sieht man nicht.«
Bekanntlich hat Brecht dieser Moritat 1930 eine Schlußstrophe hinzugefügt: »Denn die einen sind im Dunkeln, und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.« Beim Rückverkauf von 1990/91 geraubtem Volkseigentum der annektierten DDR, darunter selbst der Seen, ist es ein wenig anders. Man sieht zuweilen auch »die im Dunkeln«. Der Reinerlös fließt in die Kassen des Bundesfinanzministers, der seinerzeit die famose Rechtsgrundlage für den Raubzug, den sogenannten Einigungsvertrag, mit sich selbst ausgehandelt hat.