Für die einen franziskanische Einfalt, für andere jesuitische Raffinesse: Mit Charme und gekonntem Marketing hat Jorge Mario Bergoglio, Jesuit und Papst, auf seiner ersten Reise gepunktet. Im wichtigsten Land Lateinamerikas, vom 23. bis 28. Juli beim 28. Weltjugendtag in Rio de Janeiro, Brasilien.
»Papa Chico« (etwa: Papst Fränzchen) erstaunte nicht nur drei Millionen Pilger sondern den ganzen Kontinent. Mit der Mate-Kalebasse in der Hand, mit herzigen Küßchen, Dauerlächeln und – garantiertem Ablaß für jeden Pilgrim. Lateinische Bonhomie in weißer Soutane. »Silvester und Karneval zugleich« befand die Folha de São Paulo.
Wen inkommodiert da noch das offizielle Event-Sponsoring von McDonald (gerade aus Bolivien rausgeflogen)? Gab es nicht vor kurzem erst Massenproteste gegen die Fahrpreise des Omnibuskönigs von Rio, der nun seine Liegenschaften kostenlos dem frommen Treiben überließ? Ein Pontifex zaubert Brücken, auch zur neuen Protestkultur Brasiliens, indem er sie schlichtweg übernimmt: »Geht die Kirche nicht auf die Straße, wird sie eine NGO.« Also eine Nichtregierungsorganisation, die in der Regel Einzel- oder Gruppeninteressen verfolgt. In der Tat genau das, was die römische Kirche ja längst weltweit ist und tut. Sie vertritt unausgesprochen den Erhalt des politischen und sozialen Status quo. Besonders spürbar in Lateinamerika, wo Ratzingers reaktionäre Glaubenskongregation die solidarische Kirche der Armen und ihre Basisgemeinden systematisch abgewürgt hat. Mittels Ächtung der Befreiungstheologie, mit Lehrverboten, Umbesetzung der »linken« Bistümer und Kollaboration mit den Militärdiktaturen. Auch in Bergoglios Heimat Argentinien, wo gerade ihm allzu sanfter Umgang mit dem Folterregime vorgeworfen wird.
Die katholische Kirche Brasiliens ist gespalten: Nur ein Drittel der Getauften ist aktiv. Erzkonservative Kleriker besetzen dennoch die innerkirchliche Hierarchie. Die verbliebenen Vertreter der Befreiungstheologie wie Leonardo Boff oder Frei Betto artikulieren sich außerhalb der offiziellen Strukturen. Und abgehobene, »charismatische« katholische und evangelikale Pfingstlergruppen hüpfen nach Yankee-Vorbild rund um den Altar, dirigieren Abgeordnete und Medienkonzerne wie die zweitgrößte Fernsehanstalt Brasiliens, Rede Record. Um 2030, fürchtet der Rat der Bischofskonferenzen Europas (CCEE) – und damit auch der Bischof von Rom – könnte weltweit jeder dritte Christ ein Pfingstler sein.
Das Glaubensmonopol ist trotz Ratzingers Repression bedroht, eine moderne Gegenreformation muß her. Und dieser Auftrag erging an das Weltjugendtreffen 2013 in Rio, zu allererst an die Jugend des friedlichen, traditionell kompromißbereiten Brasilien, das Konflikten und Frontenbildung eher ausweicht als jedes andere Land der Erde. Ausgerechnet die bis zum »Delirium« (AFP) begeisterungsfähigen und begeisterten jungen Menschen aus Südamerika sollen es nun richten, sie, die in ihrem Alltag so angenehm und unaufgeregt Fraternität und Toleranz vermitteln.
»Geht und macht zu Jüngern alle Völker« befiehlt ihnen das Motto des Weltjugendtreffens. Es mißbraucht den Missionsauftrag des Matthäus- Evangeliums (Mt 28,19) im Interesse des vatikanischen Machtanspruchs, der sich mit der Kreuzzugsmentalität der reichen westlichen Länder kurzschließt. Und Papst Franz verschärft am letzten Tag und am friedlichen Strand von Copacabana nochmals die Order: »Seid wahrhafte Athleten Christi, kämpft in eurer Mannschaft!« Kämpfen sollen sie also – mit dem Rückenwind der Fußball-WM 2014 und der Olympischen Spiele 2016. Die kämpferische Dreieinigkeit war schon zuvor mit der Segnung der Olympia- und WM-Banner beschworen worden. Pelé und Zico durften dabei nicht fehlen, Neymar sagte ab.
»Wunderbare Feiern und Lieder gab es«, faßt der Theologe Leonardo Boff zusammen, »doch hörte man nicht den schönen, engagierten Gesang der vielen Basisgemeinden. Auch nicht ihre Lieder, die vom Jammer der Opfer handeln, von den Indigenen und ermordeten Bauern, vom Martyrium von Schwester Dorothy Stang und von Pater Josimo.«* Statt dessen wurde bis zur Erschöpfung ein zweites Mantra wiederholt: »Dies ist die Jugend des Papstes!« Eine kämpfende Jugend der »Winner« und »Loser«? Von Rom verordnet, nicht von dem Mann aus Nazareth.
*Anm.: Die katholische Ordensschwester Dorothy Stang betreute rechtlose Kleinbauern in Amazonien und wurde 2005 ermordet. Pater Josimo Morais Tavares koordinierte die kirchliche Fürsorge landloser Kleinbauern (Pastoral da Terra) im Bundesstaat Tocantins und wurde 1986 umgebracht. Übs.: W. G.