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Titel172013

Christliche Logik  (Carsten Schmitt)

Abgezapfter Samen: Der hl. Thomas von Aquin († 1274), Kirchenlehrer und Doctor Angelicus, hat sich die Frage gestellt, woher denn der Samen stamme, mittels dessen ein Incubus (»oben liegender« Dämon) mit einer menschlichen Frau die bösen Kinder zeugt. Seine Antwort: Den Samen hat sich der Dämon, diesmal in Gestalt eines Succubus (»unten liegend«) vorher von einem schlafenden Mann eigens zu diesem Zweck »abgezapft«. Thomas hat den Vorgang nicht direkt beobachten können, doch bei späteren peinlichen Befragungen durch erprobte Inquisitoren wird sich sicher gezeigt haben, daß die Samenabzapfungstheorie stimmt.

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Zeugnis der Herrschaft Christi: Der hl. Augustinus von Hippo († 430), Kirchenvater erster Güte, gab die Marschroute für den Umgang mit Juden, dieser »triefäugigen Schar«, aus: Man soll sie nicht alle umbringen, sondern ein paar von ihnen in der Versklavung und Zerstreuung übrig lassen, damit sie Zeugnis geben von der Herrschaft Christi. Das erschien dem Gelehrten plausibel, denn gäbe es ausschließlich Christen, wüßten diese irgendwann gar nicht mehr, daß sie ebensolche sind. Der Hippo-Bischof zitierte in diesem Zusammenhang gern Psalm 59: »Gott läßt mich meine Lust sehen an meinen Feinden. Erwürge sie nicht, daß es mein Volk nicht vergesse; verstreue sie aber mit deiner Macht, Herr, unser Schild, und stoße sie hinunter!« Daß es sich hier um einen innerjüdischen Konflikt handelt (Davids Flucht vor König Saul), spielt für christliche Logik keine Rolle. Im Zeitalter der Kreuzzüge wurde die Abschlachtung und Ausplünderung der »triefäugigen Schar« mancherorts allerdings zu weit getrieben; die christlichen »Befreier« vergaßen sich vollends.
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Beichtabnahme – gewußt wie: Beichten will geübt sein. Und die Abnahme der Beichte erst recht. So soll die Befragung zu begangenen Sünden sexueller Art seit dem Konzil von Trient (1545–1563) nicht allzusehr ins Detail gehen. Alfons von Liguori († 1787), maßgeblicher Moraltheologe für das 19. und 20. Jahrhundert, wies die Beichtväter an, die Ehefrauen »so zurückhaltend wie möglich« zu befragen, zum Beispiel danach, ob sie die eheliche »Pflicht erfüllt hätten« oder »ob sie ihrem Ehemann in allem gehorcht hätten«. Die anbefohlene Zurückhaltung in der Befragungspraxis fußt auf historischer Erfahrung: Je detailgenauer die Fragen ausfielen, umso eher bestand die Gefahr, daß eine Sünderin aus ihnen Anregungen für neue, ihr bis dahin noch unbekannte Sexualpraktiken bezog – paradoxes Ergebnis einer gutgemeinten Sündenvermeidungsstrategie. Da hilft nur eine ausgeklügelte christliche Logik, die die Balance hält zwischen Schweigen und Neugier.
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Mysteriöse Herkunft: Gleich zu Beginn des »Neuen Testaments« kann man lesen: »Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi, der da ist ein Sohn Davids, des Sohnes Abraham.« (Mt 1,1) Es folgt ein ausführlicher Stammbaum mit zweiundvierzig Gliedern (3 mal 14). Doch schon hier muß ein dogmengläubiger Christ stutzig werden: Ist Christus nicht der Sohn von Maria und dem Heiligen Geist? Wozu die lange Aufzählung, wenn Christus das Ergebnis einer jungfräulichen Geburt ist, ohne Beteiligung von Joseph (der von wem auch immer abstammen mag), somit genealogisch gleichsam die »Reset«-Taste gedrückt wurde? Christliche Theologen, denen keine Argumentation peinlich ist, werden den Widerspruch als weiteres »Mysterium« ad acta legen.
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Von Kopf bis Fuß: »Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch begangen.« (Mt 5,27). Dieser rigorose jesuanische Satz, obwohl er wohl hauptsächlich auf das Herz abstellt, hat christliche Gelehrte immer wieder zu weiterem – selbstverständlich schamhaftem – Nachdenken inspiriert. Denn: Was genau ist mit lüsternem Ansehen gemeint? Der Moraltheologe Heribert Jone († 1967) führt dazu aus: »Wegen ihres verschiedenen Einflusses auf die Erregung der geschlechtlichen Lust werden die Körperteile eingeteilt in ehrbare (Gesicht, Hände, Füße), weniger ehrbare (Brust, Rücken, Arme, Schenkel), unehrbare (Geschlechtsteile und Partien, die ihnen sehr nahe sind).« Und Franz Adam Göpfert († 1913) meint: »So kann die leise Berührung der Hand einer Frauenperson Todsünde sein, wenn sie aus unreiner Absicht geschieht«. »Hallo«-Sagen mit Handgeben ist wahrscheinlich sündenfrei oder allenfalls läßlich sündhaft; aber wie ist es um einen ehrlichen Fußfetischisten bestellt, dessen Leidenschaft sich auf einen »ehrbaren« Körperteil bezieht? – Hier wird christliche Logik noch genauer nacharbeiten müssen …