Ein Nachmittag im August
Es war ein drückend heißer Nachmittag, der Donnerstag am 6. August, im grünen Berliner Volkspark Friedrichshain. Und dennoch versammelten sich einige Hundert Menschen, um eines Ereignisses zu gedenken, dessen tödliche Glut 70 Jahre zuvor in Japan das Weltkriegsende angeblich beschleunigt hatte, obwohl die Niederlage des Faschismus längst feststand.
Zugegeben, die meisten Leute kamen zufällig vorbei, die meisten »in familia«. Sie suchten Schatten vor der Sonnenglut und ein Fußbad im künstlich angelegten Flüsschen oder eine Dusche für ihre quengelnden Kinder in unmittelbarer Nähe der Weltfriedensglocke. Dieses eindrucksvolle Mahnmal wurde auf Vorschlag der Weltfriedensglockengesellschaft Tokio/Japan errichtet und am 1. September 1989 anlässlich des 50. Jahrestages der Auslösung des Zweiten Weltkrieges eingeweiht.
Viele verharrten vor den erschütternden Fotodokumenten, an denen sie auf ihrem Schlenderweg vorbeikamen. Fotos mit unendlichen Ruinenfeldern, verbrannten und entstellten Menschen, grauen Rauchsäulen und jenem bedrohlichen Rauchpilz.
Die Friedensglockengesellschaft Berlin, unterstützt durch PRO Kiez, der Einwohnerinitiative des Bötzow-Viertels, erinnerte mit Dokumenten und einem kleinen Bühnenprogramm an das todbringende Geschehen in Hiroshima und Nagasaki 1945 (s. Ossietzky 15/2015).
Seit damals wurde und wird immer wieder am Rande eines Atomkrieges herumbalanciert, erneut in den letzten Monaten. Schon 1983 verhinderte der Befehlshaber des sowjetischen Atomwaffenarsenals Oberst Stanislaw Petrow den Einsatz von Atomwaffen, als er den Verteidigungsfall eigentlich hätte auslösen müssen. Das Gewissen galt ihm mehr als der Befehl. Und Minuten später stellte sich heraus, dass der Alarm durch einen Computerfehler verursacht worden war. Das war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass die Welt gerade noch an einem nuklearen Inferno vorbeischrammte. Doch, so sagt Petrow heute: »Wir haben nichts aus der Vergangenheit gelernt«, und er setzt hinzu, der Einsatz von Atombomben sei nur eine Frage der Zeit. (Tagesspiegel, 4.8.15) Möge er unrecht behalten!
Die Erinnerung wachzuhalten war der Sinn des nachmittäglichen Programms mit Liedermachern, Musikern, Sängern und Rezitatoren, bei dem sich auch die Kurt-Tucholsky-Gesellschaft engagierte. Deren Verbindung zu PRO Kiez war bereits Jahre zuvor entstanden, als es mit Erfolg darum ging, die Schließung der im Kiez gelegenen Tucholsky-Bücherei zu verhindern.
Wolfgang Helfritsch
Die Ukraine und ihre Oligarchen
Ulrich Heyden ist langjähriger Korrespondent der deutschsprachigen Presse in Osteuropa. Im Buch »Ein Krieg der Oligarchen« liefert er nicht nur Hintergrundinformationen zur sogenannten Ukrainekrise und widerlegt gestrickte Mythen, sondern lässt in eingestreuten Interviews auch zahlreiche Einwohner der Ukraine zu Wort kommen.
Ausführlich geht der Autor auf die Eskalation der Auseinandersetzungen auf dem Maidan zwischen Demonstranten und regierungstreuen Polizeieinheiten ein und thematisiert, dass die Gewalt im Wesentlichen nicht von der Polizei, sondern von bewaffneten Rechtsradikalen ausging. Sehr viel spreche dafür, dass die Schüsse, denen am 20. Februar 2014 etwa 80 Menschen zum Opfer fielen, tatsächlich von faschistischen Provokateuren abgefeuert wurden.
Einen weiteren Schwerpunkt des Buches bildet das Massaker von Odessa vom 2. Mai 2014. Zahlreiche im Buch dokumentierte Berichte belegen, dass der Angriff militanter Rechtsradikaler, das Abfackeln des Gewerkschaftshauses und der Massenmord regierungsseitig gewollt waren mit dem Ziel, die russischsprachige Bevölkerungsgruppe der Stadt einzuschüchtern. Seit dem Abfall der Krim ist Odessa die einzige größere Hafenstadt des Landes.
Die Ursachen für das Bürgerkriegs-chaos und die katastrophale soziale Situation sieht der Autor in der Herrschaft räuberischer, sich untereinander befehdender Oligarchenclans. Anders als in Russland habe die ukrainische Staatsmacht nach der neoliberalen Schocktherapie der 1990er Jahre das Land nie wieder vollständig in die Hand bekommen. Anstatt vernünftigerweise weiter zwischen russischen und westeuropäischen Wirtschaftsinteressen zu lavieren, habe eine Fraktion der Oligarchenschicht nun gewaltsam eine einseitige Westorientierung durchgesetzt. Die sozialen Folgen für die Bevölkerung erwiesen sich jedoch als verheerend. Um von diesen abzulenken, setze die neue Regierung weiter voll auf die nationalistische Karte.
Mit deutlicher Sympathie schildert Heyden die in der Ukraine entstehende Antikriegsbewegung. Große Teile der Bevölkerung würden sich dem Krieg der Oligarchen verweigern. Zehntausende Wehrpflichtiger seien desertiert oder erst gar nicht zur Einberufung erschienen. Eindeutig ist sein Fazit am Schluss des Buches: »Frieden kann es nur geben, wenn wir gemeinsame Wege und Lösungen mit Russland suchen.«
Gerd Bedszent
Ulrich Heyden »Ein Krieg der Oligarchen. Das Tauziehen um die Ukraine«, PapyRossa Verlag, 173 Seiten, 12,90 €
Nordend-Geschichten
Das Frankfurter Nordend war einmal, im Unterschied zum Westend und zu noch vornehmeren Lagen, ein Stadtteil, in dem Studenten preisgünstig wohnen konnten. Auch daraus ergab sich, dass es eine Hochburg der Grünen wurde. Die sind mittlerweile in die Jahre gekommen, haben Eigentumswohnungen und andere Besitzstände zu verteidigen. Aber es wäre ganz falsch, damit alleine zu erklären, was man neuerdings die Gentrifizierung des Nordends nennt. Hier spielen die auch auf dem Wohnungsmarkt geltenden Gesetze unserer Wirtschaftsordnung und die wachsende Zahl gut verdienender Dienstleister mit Wunsch nach innenstadtnahem hochwertigen Wohnen eine größere Rolle
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Sonntagmorgens kann man die neuen Nordendler beim Alternativbäcker Schlange stehen sehen. Der Smalltalk bezieht sich meist auf den Urlaub auf nichtgriechischen Inseln und die Frage, wo man den besten Veganerkäse oder ökologisch korrektes Fleisch bekommt. Von Politik ist keine Rede mehr.
Hatte Adorno einst dekretiert: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen«, so würde der szenetypische Nordendbewohner heute vollkommen verständnislos auf diesen Satz reagieren. Ihm geht es doch gerade um sein richtiges Leben, um die richtige Wohnungseinrichtung. Kaum mehr um das Große und Ganze. Das mag so falsch sein, wie es ist – die über den Süden der Stadt im Minutentakt donnernden Flieger zum Beispiel zeigen es jeden Tag und die halbe Nacht. Was kann man da schon machen? Notfalls wählt man immer noch die Grünen, die praktischerweise in Frankfurt wie in Hessen mit den Schwarzen im Koalitionsbett liegen. Viel kann also nicht passieren, aber man hat das beruhigende Gefühl, etwas getan zu haben.
Zum Sprichwort wurden inzwischen die »Nordend-Mütter«, von denen es heißt, dass sie seelenruhig ihren Latte macchiato trinken, während ihre Blagen im oder vor dem Lokal herumtoben und Gäste belästigen, die in Ruhe Zeitung lesen wollen.
Aber das ist noch gar nichts gegen Erfahrungen, die pädagogische Hilfskräfte in diesem Sommer machen, wenn sie mit Mittelschichtskindern aus dem Nordend Ferienspiele für Grundschüler veranstalten. Ein paar Beispiele: Da schubst ein Erstklässler ein Mädchen beim Rangeln etwas zu heftig, so dass es hinfällt und sich den Ellenbogen aufschrammt. Auf die Idee, ihr zu sagen, dass es ihm leid tue, kommt er nicht. Auch die Aufforderung der Betreuerin dazu ignoriert er. Als seine Mutter ihn abholen will und mit dem mangelnden Sozialverhalten ihres Sprösslings konfrontiert wird, bestätigt sie dieses und fängt eine fruchtlose Diskussion mit ihm an. Der Kleine weiß schon, wie es geht: Das Mädchen sei selbst schuld, dass es gefallen ist, schließlich habe es ihm vorher auch etwas getan.
Ein anderer Junge drängt die Betreuerin dazu, ihm ein Brötchen mit Schnitzel zu kaufen, weil er Hunger habe und nur dieses Brötchen ihn stillen könne. Als er es bekommt, wirft er es nach zwei Bissen in den Abfallkorb. Der Grund: etwas Senf, mit dem das Schnitzel bestrichen ist. Später öffnet er seine Proviantdose, in der ein Brot mit veganer Wurst zum Vorschein kommt, die er nicht mag, und ein Balisto-Riegel der Firma Mars, der als besonders gesund, weil ballaststoffreich gilt, aber in Wirklichkeit 42 Prozent Zucker enthält.
Die begehrteste Schaukel auf dem Spielplatz ist das »Vogelnest«. Als ein Ferienspiel-Betreuer zwei lange darin schaukelnde Kinder ernsthaft bittet, auch mal andere ranzulassen, antwortet das eine, eine Zweitklässlerin: »Das sag ich meinem Vater, der ist Rechtsanwalt, dann verlierst du deinen Job.«
Die Entwicklung des Nordends zum Biotop für betuchte Egoshooter scheint also bereits, wenn alles so weitergeht, für die nächste Generation gesichert.
Reiner Diederich
Luxemburger Frühkommunismus
Die Geschichtsschreibung behandelt die Mitstreiter der »großen Männer« zumeist recht stiefmütterlich (erst recht deren Mitstreiterinnen). Statt dass der Glanz, in dem diese stehen, auch ein wenig auf jene abstrahlte, stehen sie in deren Schatten und sind häufig genug bald vergessen. Dabei wären die Großen ganz ohne jede Wirkung geblieben, hätten sie diese Mitstreiter nicht gehabt. Das ist in der Geschichte der revolutionären Linken nicht sehr viel anders als in der Geschichte der reaktionären Rechten.
Der Held der Biographie, deren erster Band hier zu besprechen ist, Victor Tedesco (1821–1897), hat zwar nicht, wie die Legende berichtet, das Manuskript des »Kommunistischen Manifests« vom nach Brüssel exilierten Verfasser zum Drucker nach London gebracht, aber den Frühkommunismus in Belgien und Luxemburg hat er zweifellos mitbegründet. Er war einer der wenigen zum zweiten Kongress des Bundes der Kommunisten (Dezember 1847) Delegierten, deren Name überliefert ist. Manchen gar gilt er als der erste Luxemburger Marxist. Eine Übersetzung des »Manifests« ins Französische, mit der er begonnen hatte, ging bei seiner Verhaftung im Sommer 1848 verloren. Sein »Hauptwerk«, der im Druck nur 16 Seiten umfassende »Katechismus des Proletariers«, den er 1849 im Gefängnis geschrieben hatte, ist aber keineswegs bloßer Abklatsch des »Manifests« und in Anlage und Stil weit eher orientiert an den zunächst unveröffentlicht gebliebenen »Grundsätzen des Kommunismus« von Friedrich Engels. Der »Katechismus« erlebte damals, im Unterschied zum »Manifest«, mehrere Auflagen und wurde aus dem Französischen ins Deutsche von keinem Geringeren übersetzt als von dem Revolutionsdichter Ferdinand Freiligrath.
Rudolf Kern, vor seiner Pensionierung Professor für Germanistik an verschiedenen belgischen Universitäten und »nebenbei« auch mit Lebensgeschichten aus der Zeit der Merowinger befasst, hat eine Darstellung der ersten Etappe von Tedescos Leben geschrieben, die die Zeit bis zu seiner Entlassung aus dem Gefängnis (1854) umfasst und in ihrer Ausführlichkeit über weite Strecken zugleich eine Geschichte von Belgien und Luxemburg in dieser Zeit mitliefert. Das macht die Lektüre nicht immer ganz einfach. Auch muss, wer die im Anhang veröffentlichten Dokumente lesen will, des Französischen mächtig sein. Das ist besonders schade hinsichtlich des »Katechismus«, denn gerade in den Schlusspassagen hatte dessen deutscher Übersetzer sich damals große dichterische Freiheiten herausgenommen. Vielleicht ist die Biographie ja Anlass, an geeigneter Stelle eine neue Übersetzung zu veröffentlichen.
Dass Rudolf Kern die Lebensgeschichte von Victor Tedesco in zwei Etappen unterteilt hat, ist ganz richtig, denn bei der Entlassung aus der Haft war dieser schon bürgerlicher Demokrat geworden und wurde sodann ein sozial engagierter Rechtsanwalt, der sich von seinen revolutionären Anschauungen verabschiedet hatte. Die Beschreibung des Wegs, der ihn dorthin geführt hatte, ist gleichfalls interessant zu lesen.
Thomas Kuczynski
Rudolf Kern: »Victor Tedesco – ein früher Gefährte von Karl Marx in Belgien. Sein Leben, Denken und Wirken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts«, 1. Band: 1821-1854. Mit einer Dokumentation der Schriften Tedescos und zahlreichen Abbildungen, Waxmann Verlag Münster, 807 Seiten, 74 €
Eine spannende Zeit
Da der Bau der Mauer nicht die erhofften vorrangig ökonomischen Erfolge brachte, sah Walter Ulbricht 1964/65 in Reformen – ökonomischen und anderen – die Lösung: Betriebe sollten selbständiger arbeiten, die Jugend weniger gegängelt werden und so weiter. Auch viele Künstler setzten in dieser Zeit auf die produktive und kritische Unterstützung dieses Projektes mit den humanistischen Potenzen. Im Dezember 1965 war alles mit dem 11. Plenum der SED vorbei. Nicht nur eine ganze DEFA-Jahresproduktion wurde verboten, auch vom »Neuen Ökonomischen System« war kaum noch die Rede.
Gunnar Decker verfolgt die damalige Situation und beschreibt vor allem die vielen interessanten Kunstwerke, die kurz vor oder nach diesem Jahr entstanden und allesamt von sturen Funktionären behindert und bekämpft wurden. Sie wollten die Kunst eng im Dienst ihrer Ideologie agieren sehen, und da gefielen engagierte lustvolle Kritik und mannigfaltige Ausdrucksformen überhaupt nicht. So kommt eine schwer zu ertragende Menge von Vermessen- und Dummheiten zusammen. Gleichzeitig »singt« Decker ein sehr kunstsinniges Hohelied auf damalige DDR-Bücher, Filme, Plastiken, auf Wolf Biermann und Stephan Hermlin, auf Franz Fühmann, Fritz Cremer und viele andere.
Mit diesem Plädoyer für eine reine, freie Kunst erweist sich Decker als glühender Verteidiger der Utopie und unverbesserlicher Romantiker.
Christel Berger
Gunnar Decker: »1965. Der kurze Sommer der DDR«, Carl Hanser Verlag, 493 Seiten, 26 €
Schon wieder Weihnachten
Man will es einfach nicht glauben …, aber so schnell und einfach habe ich noch nie einen Kasten Bier gewonnen. Mit einem Freund hatte ich gewettet, dass bereits im August die ersten Weihnachtssüßigkeiten in den Geschäften auftauchen.
Und tatsächlich, die Discounter haben mich nicht im Stich gelassen. Draußen herrscht bei sommerlichen Hitzerekorden noch Grillsaison, die ABC-Schützen freuen sich auf ihre Zuckertüten und Halloween ist noch in weiter Ferne, trotzdem wächst von Tag zu Tag in den Regalen das Sortiment an Lebkuchen und Pfeffernüssen. Noch haben wir den Ostseesand von unserer Urlaubsreise in den Sandaletten, da stolpern wir auch schon über die Paletten mit den Weihnachtsüberraschungen aus Marzipan und Schokolade. Ja, auch dieses Jahr werden wir es nicht verhindern können: Weihnachten, das Fest der Feste, rückt unaufhörlich näher. Und jedes Jahr, auf wundersame Weise, immer früher.
Also schnell, schnell, raus aus den Freibädern und ab in die Supermärkte. Dort surren die Klimaanlagen und retten die schokoladigen Hohlkörper vor dem Schmelzen. Auch ein Blick ins Schaufenster des benachbarten Bekleidungsgeschäftes sagt uns: die neue Wintermode ist längst angekommen. Also rein in die Umkleidekabine und den Kunstpelz über dem Bikini anprobiert.
Der Einzelhandel rechtfertigt seinen jährlichen »Frühstart« des Weihnachtsgeschäfts mit der verlängerten Vorfreude bei uns Kunden und deklariert die Stollen und Lebkuchen im August und September einfach als »Herbstgebäck« um.
Ich frage mich besorgt: Wieso dauert Weihnachten eigentlich nicht zwei Tage, sondern fast fünf Monate? Aber nur mal zur Erinnerung: Heiligabend ist tatsächlich erst am 24. Dezember, auch wenn uns der Handel etwas anderes glauben machen will.
Manfred Orlick
Unsere Zustände
Inbrünstig sang er »Ich lieb‘ nur dich allein«. Vor seinem Spiegel.
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Spielemesse: Eines Tages sitzt die gesamte Nation vor ihren Mediengeräten und spielt. Und sie bemerkt nicht, wie mit ihr gespielt wird.
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Die meisten, welche aus einer Welt der Kriege, des Mordens und des Hasses zu uns flüchten, sind unsere Gläubiger.
Wolfgang Eckert
Zuschriften an die Lokalpresse
Auf über eine halbe Million Euro beziffert die MAZ vom 17. August den im Gebiet um Beelitz durch Manöver-Panzer angerichteten Schaden. Betroffen seien Autobahnen, Bundesstraßen und Landstraßen, vor allem durch den volkstümlichen Panzer »Leopard II«, und die Verwüstungen seien beträchtlicher als im Vorjahr.
Ich halte diese Art der Berichterstattung für einseitig, denn jede Medaille hat schließlich zwei Seiten. Je mehr Panzer durch dafür ungeeignete Straßen rattern, desto mehr Reparaturarbeiten fallen an, und es ergeben sich Ausschreibungen, Aufschwünge von Gewerken und der Einsatz von Saisonarbeitern. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Bilanz der Arbeitsagenturen aus. Man soll also nicht nur herumzetern, sondern muss auch das Positive sehen. Und als ehemaliger Bauarbeiter weiß ich, wovon ich spreche. – »Kalle« Klotzenbach (68), Tiefbauer i. R., 17121 Wüstenfelde
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Ich habe da wieder mal eine Frage an die Redaktion vom Berliner Kurier. Die Zeitung greift am 21. August die Frage auf, wo sich die Bundesbürger am glücklichsten fühlen, und Berlin nimmt dabei den Spitzenplatz ein. Aber gleich in den Nebenspalten befinden sich Fotos von jungen Leuten, denen im Erlebnis-Revier Revaler Straße der Hals aufgeschlitzt wurde, oder Berichte über einen Erdrosselten im Tiergarten oder Überfallene in der U-Bahn. Und Ehedramen, bei denen ein Partner seine ehemalige große Liebe ins Jenseits befördert, gehören zur Tagesunterhaltung der hauptstädtischen Boulevard-Presse. Vielleicht liegt meine Auffassung von einem glücklichen Leben etwas daneben oder ist ein wenig überholt. Ja, ich lebe gern in Berlin und finde, es ist eine vielfältige, interessante Stadt. Aber wenn der Kick, wieder einmal einer Schlägerei oder einem Überfall entkommen und nach einem Theaterbesuch trotz später Stunde wohlbehalten nach Hause gelangt zu sein, schon ein Glücksempfinden auslöst, sollten sich die Soziologen den Glücksbegriff vornehmen und zeitnah umdefinieren. – Nina Brausewetter (53), Hausfrau, zurzeit in 24960 Glücksburg
Wolfgang Helfritsch