Sehr geehrter Herr Kollege!
Ich habe erfahren, dass Sie beauftragt worden sind, meinen Nachruf zu verfassen. Fragen Sie mich, bitte, nicht, wie ich es erfahren habe, damit wir uns nicht in metaphysische Gefilde verirren. Ich bin auch darüber informiert, dass Sie sich alles geben ließen, was von mir gedruckt worden ist, und daraufhin den zwar der Würde des Augenblicks nicht angemessenen, aber doch ehrlichen Ausruf taten: »Meine Güte! Der Kerl hat aber Tinte geschwitzt! Und das soll ich nun alles durchlesen …«
Es ist aber – deswegen schreibe ich Ihnen – durchaus nicht nötig, dass Sie alles durchlesen.
Ich muss Ihnen nämlich ein Geständnis machen: Was auch immer ich geschrieben habe – es war (grob ausgedrückt) fast immer dasselbe.
Von Natur aus ein wenig bequem (um nicht zu sagen: faul), schrieb ich im Allgemeinen nur dann, wenn ich mich geärgert hatte. Dies allerdings war häufig der Fall. Hingegen die Anlässe dazu waren nicht sehr vielfältig.
Hauptsächlich habe ich mich geärgert
1. über unnützen Lärm (ich glaube sogar herausgefunden zu haben, dass es überhaupt keinen nützlichen Lärm gibt, also habe ich mich geärgert 1. über Lärm),
2. über nachlässige Behandlung unserer schönen Muttersprache, wobei mich meine eigenen Sünden genauso aufbrachten wie die anderer Leute,
3. über Leute, die mir Ohrenschmerzen zufügten, indem sie sich das Maul zerrissen,
und noch über einiges andere.
Ich war nicht immer gut, jedenfalls nicht zu Schlagerdichtern, Conférenciers und schlampigen Journalisten, und als der siebenundsiebzigjährige Chirurg N. N. starb, habe ich nicht getrauert, sondern mich darüber gefreut, dass er nun endlich niemanden mehr operieren konnte. Ich habe auch zu wenig Romane gelesen und zu viel Bier getrunken, aber es ist wirklich nicht wahr, dass ich daran gestorben bin – weder an dem einen noch an dem anderen.
Ich hatte richtige Menschen stets lieber um mich als Automaten, die Redensarten herunterrasseln. Ich könnte Ihnen noch allerhand Wichtiges und Unwichtiges von mir erzählen – hauptsächlich Unwichtiges –, aber wozu! Erstens haben Sie gar nicht so viele Druckzeilen zur Verfügung, zweitens will’s sowieso keiner wissen, und drittens reden alle Leute ohnehin schon viel zu viel von sich.
Wie immer: auf den Punkt gebracht! Wir trauern um unseren Autor und Freund Lothar Kusche alias Felix Mantel und zahlreicher weiterer Pseudonyme, der am 20. August im Alter von 87 Jahren verstorben ist. Redaktion Ossietzky.
(Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: »Lothar Kusche’s Drucksachen. Geschichten, Feuilletons und Satiren aus zwei Jahrzehnten«, Eulenspiegel Verlag,1986)