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Aufstehen gegen die Kriegsministerin  (Ralph Hartmann)

Am 11. August stand der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu in einem der üblichen Fernsehinterviews im staatlichen russischen Fernsehen Rede und Antwort. In dessen Verlauf wurde er gefragt, was er von der im April abgegebenen Erklärung seiner deutschen Amtskollegin Ursula von der Leyen halte, die gefordert hatte, »aus einer Position der Geschlossenheit und Stärke« mit Moskau zu sprechen. Ein »harter« Russland-Kurs sei nötig, da »Präsident Putin keine Schwäche schätzt«. Das war beileibe kein Ausrutscher gewesen. Der russlandfeindliche Kurs der deutschen Verteidigungsministerin ist gut bekannt.

 

Bereits 2014 setzte sie nach der von einer überwältigten Mehrheit der Bewohner der Krim beschlossenen Wiedervereinigung der Halbinsel mit Russland – die sie gemeinsam mit ihrer Kanzlerin und ihren westlichen Verbündeten eine »Annexion«, also eine gewaltsame Einverleibung, nennt – auf eine stärkere Rolle der NATO: »Jetzt ist für die Bündnispartner an den Außengrenzen wichtig, dass die NATO Präsenz zeigt«, sagte sie dem Spiegel. Weitere Erklärungen dieser Art folgten.

 

Im September 2017 zeigte sie sich besorgt wegen Berichten, nach denen Russland angeblich Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle unterlaufen würde. In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung meinte sie: »Natürlich besorgt uns das gesamte sicherheitspolitische Verhalten des Kreml – angefangen von der eklatanten Verletzung des Völkerrechts durch die gewaltsame Annexion der Krim, über militärische Drohgebärden gegenüber Nachbarstaaten bis hin zu Hinweisen, dass Russland gemeinsame Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle unterläuft. Wir nehmen diese Hinweise sehr ernst.«

 

In einem Interview mit Bild im März 2018 warf sie Putin vor, »permanente Provokation« zu betreiben. Indem er unterschwellig Krisen provoziere, destabilisiere er und schüre Konflikte. Sie verurteilte das russische Vorgehen in Syrien. Das Grauen dort zeige, mit welcher Rücksichtslosigkeit Russland und sein Verbündeter Assad handeln würden.

 

Im Mai 2018 meldete dpa, dass von der Leyen »wegen der zunehmenden Spannungen mit Russland« die Bundeswehr künftig wieder stärker auf die Landes- und Bündnisverteidigung ausrichten wolle. Die jahrelang vorherrschende Fokussierung auf Auslandseinsätze solle beendet werden, künftig werde man sich wieder »gleichrangig« der Landes- und Bündnisverteidigung widmen.

 

Anfang Juni traf sie sich in Singapur mit dem US-amerikanischen Außenminister James Mattis beim »Shangri-La-Dialog«. Dort beriet sie über die Bildung einer gegen China und Russland gerichteten »NATO des Ostens«. Diese soll aus den USA, Australien, Indien und Japan bei notwendiger Kooperation mit der deutschen Bundesrepublik bestehen.

 

Auch das Treffen zwischen Trump und Putin missfiel ihr. Sie warf dem US-Präsidenten Planlosigkeit gegenüber Russland vor. Eine »klare Strategie« Trumps nach dem Treffen, so erklärte sie, sei »nicht zu erkennen«. Putin wolle die wirtschaftliche Schwäche seines Landes überspielen, indem er sich als globaler Player positioniere.

 

Im eingangs erwähnten Fernsehinterview platzte dem russischen Verteidigungsminister nun der Kragen. Nachdrücklich warnte er davor, Russland aus einer Position der Stärke zu behandeln. Russland werde einen solchen Umgang nicht dulden, und er erinnerte dabei an den Ausgang des Zweiten Weltkrieges. Er empfahl der deutschen Ministerin einen Rückblick in die Geschichte. »Nach all dem, was Deutschland unserem Land angetan hat, müsste es in den nächsten 200 Jahren diesbezüglich lieber schweigen.« Deutschland sollte seine »Großväter fragen, was passieren werde, wenn man mit Russland aus der Position der Stärke zu sprechen beginne, so Schoigu weiter. Dabei versicherte er, dass Russland für eine gleichberechtigte Zusammenarbeit weiter offen sei.

 

Kein einziges der sogenannten deutschen Leitmedien erwähnte die Erklärung des russischen Verteidigungsministers. Auch von der Leyen schwieg fein still. Sie muss ihren Großvater, Carl Eduard Albrecht, ein Arzt, der sich mit Bewusstseins-philosophie, vor allem mit Mystikforschung befasste, nicht fragen. Die Fakten sind bekannt: Im Ergebnis des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion verloren 27 Millionen Sowjetbürger, die meisten davon Russen, ihr Leben. Der deutsche Eroberungskrieg war der barbarischste, bestialischste Feldzug in der Weltgeschichte. Der Historiker Wolfram Wette bezeichnet diesen Krieg als »den größten Gewaltexzess in der modernen Menschheitsgeschichte«. Jeder siebte Sowjetbürger, davon die Hälfte Zivilisten, ist dem deutschen Eroberungskrieg zum Opfer gefallen. Die jahrelange Hungerblockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht war eines der unbeschreiblichsten Kriegsverbrechen. 2,8 Millionen kriegsgefangener Russen wurden zur Sklavenarbeit in der deutschen Industrie verdammt. Von den rund 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen wurden 3,3 Millionen auf bestialische Weise umgebracht. Eines der Hauptziele des Eroberungskrieges war es, »Lebensraum im Osten« zu schaffen und die dortige Bevölkerung auf 30 Millionen zu reduzieren. Auf einer Besprechung am 16. Juli 1941 hatte Hitler das Kriegsziel in Russland skizziert: »Besetzen, verwalten, ausbeuten.« Der Blutzoll, den die Russen und letztlich auch die Deutschen für diese barbarische Kriegspolitik bezahlen mussten, war ungeheuerlich.

 

Man darf annehmen, dass die gebildete von der Leyen, Mutter von sieben Kindern, zumindest einen Schimmer von den von Deutschen an den Russen begangenen Verbrechen hat. Das hindert sie jedoch nicht, sich mit an die Spitze der russlandfeindlichen Politik zu stellen. Unter ihrem Kommando ist die Bundeswehr mit ihren NATO-Verbündeten wie einst die Hitlerwehrmacht an die russischen Grenzen vorgerückt. Mit dem Aufbau eines neuen NATO-Hauptquartiers in Ulm schafft sie momentan die strategischen Voraussetzungen, um weitere Truppen und alles erforderliche Kriegsgerät auf schnellstem Wege an die Ostfront zu bringen.

 

Kennt die deutsche Verteidigungschefin das tatsächliche ganze Ausmaß der an den Russen verübten unsäglichen Kriegsverbrechen und betreibt trotz alledem eine kreuzgefährliche russlandfeindliche Politik, dann sollte sie schnellstmöglich zurücktreten. Kennt sie es nicht, dann hätte sie ihr einflussreiches Kriegsamt nie und nimmer antreten dürfen. Wenn es darum geht, aufzustehen, dann vor allem gegen Kriegspolitiker vom Schlage der Ursula von der Leyen.