Schönes Bayern
Ach, wie war es ehedem
mit den Bayern doch so schön.
Weißwurst und ein kühles Bier,
das gefiel doch nicht nur mir.
Aber jetzt – wohin du hörst,
immer dieses Bayern first,
und dazu aus schierem Wahn
auch noch Horstis Masterplan.
Der besteht aus heißer Luft,
die bekanntlich schnell verpufft.
Bayern first? Das wird man sehn,
wenn die Leute wählen gehn.
C. T.
Leb wohl, Schalom, Uri Avnery!
Als Neunjähriger floh Uri Avnery 1933 mit seiner Familie rechtzeitig von Hannover nach Palästina. Es waren jüdische Intellektuelle, die »an Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit glaubten«, beschrieb er sie. 1945, also drei Jahre vor Gründung des Staates Israel, leitete er als 23-Jähriger eine Gruppe, um die Idee einer neuen hebräischen Nation zu propagieren. Sie sollte mit den arabischen Nationen Teil der semitischen Region sein, in der alle friedlich miteinander leben.
Zwei Wochen vor seinem Tod widmete sich der 94-Jährige in seinem letzten Artikel genau diesem Gedanken und schloss damit einen großen Lebensbogen. Der Artikel begann: »Vor Jahren hatte ich ein freundschaftliches Gespräch mit Ariel Scharon. Ich sagte zu ihm: Ich bin in erster Linie Israeli. Erst dann bin ich Jude. Er antwortete hitzig: Ich bin in erster Linie Jude und erst danach bin ich Israeli! Das mag sich nach einer überflüssigen Debatte anhören. Aber in Wirklichkeit ist eben das die Frage, die im Zentrum all unserer Gespräche steht. Sie liegt der Krise zugrunde, die jetzt Israel in Stücke reißt.«
In der Unabhängigkeitserklärung von Ben-Gurion von 1948 sei Israel noch als ein jüdischer und demokratischer Staat charakterisiert worden, der allen seinen Bürgern, unabhängig von Religion und Volkszugehörigkeit, vollkommene Gleichberechtigung zusagte. Heute sei beides verschwunden. »Keine Demokratie. Keine Gleichberechtigung. Ein Staat der Juden für die Juden von den Juden.« Die Araber, die Beduinen, die Christen (und übrigens auch die russischen Atheisten – D. D.) würden vollkommen ignoriert. Netanjahu habe öffentlich erklärt, dass alle jüdischen Kritiker des neuen Nationalitätengesetzes »Linke und Verräter (das sind ohnehin Synonyme) seien.«
Der unerschrockene Kämpfer für die Versöhnung mit den Palästinensern war es gewohnt, selbst angefeindet und angegriffen zu werden. Nach dem Krieg von 1967 hatte er in einem Offenen Brief an den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Eschkol gefordert, die eroberten Gebiete nicht dauerhaft zu besetzen, sondern dort einen unabhängigen Palästinenserstaat zu schaffen. Über seine beargwöhnten, frühen Kontakte zu Jassir Arafat schrieb er ein Buch: »Mein Freund der Feind«. All das machte ihn zum verhassten Dissidenten, zum »Outcast. 1975 wurde er durch ein Attentat mit einem Messer schwer verletzt. Da er den israelischen Interessen schade wie auswärtige Feinde, rief der Fernsehkanal 10 gar zu seiner »gezielten Tötung« auf. Nach einer Friedenskundgebung in Tel Aviv wurde er noch als 87-Jähriger tätlich angegriffen.
All das hinderte ihn nicht daran, mit anderen Verfemten solidarisch zu sein. Als Günter Grass 2012 für sein Gedicht »Was gesagt werden muss« im Kreuzfeuer stand, schrieb er, es sei ein völlig unnötiger Krawall, dass Deutsche und Israelis darin wetteifern: »Wer kann Grass mehr beschimpfen, und wer findet extremere Ausdrücke für ihn«. Antisemitisch sei es vielmehr darauf zu bestehen, dass Israel in Deutschland nicht kritisiert werden dürfe.
Was in den Nachrufen wenig gewürdigt wurde, ist die Gewissheit, dass das Mitglied des internationalen PEN-Clubs Uri Avnery auch ein herausragender Autor war. Seine Fähigkeit, durch klare Thesen und Antithesen, durch rhetorische Fragen und pointierte Antworten seine wohlformulierten Gedanken zu logischen Schlüssen zu führen, die mit Witz und Schärfe gewürzt waren und in denen es auch an psychologischen Erwägungen nicht mangelte, garantierte immer Lesevergnügen. »Gibt es nun also eine israelische Nation? Natürlich gibt es die. Gibt es eine jüdische Nation? Natürlich gibt es die nicht«, schrieb er in seinem letzten Artikel. »Gehört unser Land zu einer Region, die von Arabern bewohnt wird? … Deshalb müssen wir zu friedlichen Nachbarn in der Region werden, die ich schon vor 75 Jahren die ›semitische Region‹ genannt habe.«
Seine mutigen Texte werden fehlen. Uns Lesern und den bedrängten Mitstreitern im anderen Israel. Schalom chaverim.
Daniela Dahn
Gundermann
Es gibt einen Sänger, den lieben all diejenigen, die zwischen 1976 und 1989 herum rebellisch, kritisch, selberdenkend waren und eine andere DDR wollten, keinen Westen. Und es lieben ihn all diejenigen, die ab 1989 dann begriffen, dass der Westen sie um die Früchte ihrer systemkritischen Arbeit betrogen hat, denn statt einer besseren Arbeiterrepublik mit mehr Demokratie, bekamen sie eine Gelddiktatur mit weniger Demokratie.
Arbeiter wie Gundermann wurden zu Tausenden an die frische Luft gesetzt. Zehntausende Arbeitsplätze verschwanden, ebenso wie ganze Berufsbilder, und nach Jahren der Schichtarbeit war Mitte der 90er plötzlich Schicht im Schacht. Leute wie Gundermann standen nun als Ungelernte da. Gundermann, der 1998 mit nur 43 Jahren starb, spricht ihnen aus der Seele, drückt ihr Lebensgefühl aus, schafft es, ihre eigenen Gefühle auf besonders poetisch-originelle Weise in Liedern auszudrücken.
Nun hat Andreas Dresen einen Film über Gundermann gedreht. Dresen hatte seine Begeisterung für den DDR-Liedermacher schon früh auch auf befreundete Westdeutsche übertragen können, zum Beispiel auf Axel Prahl, der nun auch im Gundermann-Film mitspielt. Übrigens in einer überzeugenden Rolle: als sein Stasi-Führungsoffizier, der sich hier, wie oft geschehen, als eine Art gütig-akzeptierender, verständnisvoller Ersatzvater, dem vom Vater Verlassenen und vom Vater zu Unrecht lebenslang Beschuldigten aufdrängt und ihm Anerkennung und Stärke zu geben versteht. Diese ermöglicht es, dass sich ausgerechnet der Che-Guevara-Bewunderer, der kommunistische Querdenker und Autoritätskritiker, der nicht eine Spur von Opportunismus an sich hatte, anwerben lässt und eifrig Berichte verfasst. Um Missstände aufzudecken, wie er sagt. Später wird er dann selbst überwacht.
All das ist der eine Schwerpunkt des Dresen-Spielfilms über Gundermann, der andere ist seine langjährig heimlich-traurig-spannungsgeladene Liebe zu Conny, die zunächst mit einem anderen Bandmitglied zusammen ist und erst später seine Frau wird.
Diese beiden inhaltlichen Schwerpunkte aus dem Lebenslauf Gundermanns mögen Gundermann-Fans überraschen, denn für sie ist er vor allem etwas ganz anderes: Er ist eins mit ihnen und ihren Zeiterfahrungen. Sie fühlen sich eins mit seinen Liedern, und die sind eins mit der Zeit.
Für sie ist er der Mann, der träumt und hofft und liebt und kämpft. Er ist einer, der nicht leben konnte ohne seinen 24 Meter hohen Schaufelbagger, und der entlassen wurde wie sie. So wie Zehntausende, wie Millionen, die gedemütigt wurden für einen ganzen Staat, die sich trotz hochqualifizierter Berufe auf dem Arbeitsamt als Ungelernte wiederfanden und sich mühevoll in einen Staat integrieren mussten, den sie nie gewollt hatten.
Gundermann begann nach seiner Entlassung noch eine Tischlerlehre, aber die Arbeitsbedingungen waren ihm unerträglich.
Interessant wird sein, ob es der Dresen-Film »Gundermann« schaffen kann, dass der sensible Arbeiter und Sänger nun auch im westlichen Landesteil wahrgenommen wird, ob es also seine Lieder, der Bericht über sein Leben schaffen können, auch über seine Zeit hinaus ins Heute zu wirken. Politisch hält sich der Film stark zurück, wirkt nur indirekt, indem er die besondere Art der selbst-outenden IM-Enthüllung Gundermanns zu einem der beiden Ausgangspunkte der roten Fäden des Films macht und auch Gundermanns Begründung aus dem Jahr 1995 hineinnimmt, wo er sagt: »Ich sehe mich nicht als Opfer und auch nicht als Täter. Ich habe mich mit der DDR eingelassen – mit wem sonst? – und ich habe ausgeteilt und eingesteckt. Und ich habe gelernt. Deswegen bin ich auf der Welt.«
Hier erleben West- und Ostdeutsche einen anderen IM als den gemeinen Spitzel, den ihnen Konzernpresse und offizielle Geschichtsschreibung so gern seit bald drei Jahrzehnten vorführen.
Liebe und IM-Tätigkeit – ist das genug Stoff, um nicht zu langweilen? Der Film ist vielschichtig und überraschend. Er zeigt, welche ungewöhnliche Persönlichkeit Gerhard Gundermann war, wie faszinierend seine oft von einem melancholischen Unterton geprägten Lieder waren und immer noch sind. Er zeigt, wie seine Auseinandersetzung mit Themen wie Leben und Sterben, seine politischen, umweltspezifischen und sozialen Inhalte, untermalt mit seinen Erfahrungen im beruflichen und privaten Alltag, wie die die Menschen begeistern können. So sehr, dass man ihn einfach lieben muss. Es gibt so Menschen, die liebt man einfach, denn sie tragen ihre Gefühle auf der Zunge und in den Augen, und eigentlich ist jeder so, aber die meisten verbergen es unter dicken Panzern, die sie sich angewöhnt haben gegen den Schmerz.
Unbedingt anschauen und dazu auch bei Buschfunk den Dokumentarfilm von 1999, »Ende der Eisenzeit« von Richard Engel, bestellen.
Anja Röhl
Wie gruselig ist die Schule?
»Wer Angst vor der Schule hat«, empfahl der Berliner Kurier am 17. August, wenige Tage vor Beginn des Schuljahres 2018/19, »kann im Dungeon schon mal probieren, wie man mit Ängsten umgeht! Horror pur ist garantiert!« Dann lockt der Bericht mit düsteren Begegnungen in der Berliner Unterwelt, konkret gesagt in einem Verließ zwischen dem Hackeschen Markt und dem Alex, mit Serienmördern, Folterkammern und einer »Weißen Frau«. Und da sich alles rechnen muss, wirbt die Tageszeitung im Bunde mit dem Berliner Rundfunk für Familientickets mit einer Gültigkeit von sechs Monaten. Wahrlich, eine erstaunliche Empfehlung zum Schuljahresbeginn!
Aber wer, verdammt noch mal, soll sich denn vor der Schule gruseln, und warum? Welcher Horror ist garantiert? Die Schulverwaltung hatte es doch noch geschafft, wie die Berliner Zeitung vom 18. und 19. August mitteilte, für die um 8000 Kinder und Jugendliche gestiegene Schülerzahl an den allgemeinbildenden Schulen 2700 zusätzliche Kräfte einzustellen. Das war erstmal positiv zu bewerten, nachdem jahrelang der Schülerzuwachs amtlich unterschätzt und Lehrgebäude »rückgebaut« oder zweckentfremdet wurden oder baulich und sanitär verfielen. Aber danach kam das große Gruseln: Wie man im neuen deutschland vom 21. August erschaudernd nachlesen konnte, sind 1653 der neuverpflichteten Möchtegernpädagogen Quereinsteiger, Vertretungslehrer oder – hört! hört! – »in der DDR ausgebildete Pädagogen«. Zu den Quereinsteigern im Allgemeinen kann und will ich mich nicht äußern, weil das quere Feld des Einsteigens sehr unterschiedlich und damit schwer zu beurteilen sein wird. Aber was soll man auch in der selbstgeschaffenen Notlage tun, wenn es an Personal fehlt! Was bisher jedoch generell gegen »in der DDR ausgebildete Pädagogen« gesprochen haben soll, ist mir schleierhaft. Meines Wissens sind auch viele in der DDR ausgebildete Ärzte und Ingenieure der unterschiedlichsten Disziplinen und Spezialgebiete nach wie vor in allen möglichen Bundesländern oder im Ausland im Einsatz, und das mit Erfolg! Es wäre wunderbar, wenn die Schulbehörden noch mehr Ex-DDR-Lehrer zur Verfügung hätten oder aus dem Fundus des Ruhestands zeitweilig herauslösen könnten! Da hat sich der Autor der »Zahlen und Fakten zum Schulstart« (jlo/dpa) wohl selber aufs Glatteis gelegt. Wo und von wem ist er denn einst unterrichtet worden?
Ob es Jahr für Jahr wieder gruselig für die Schule wird oder nicht, hängt normalerweise von einer soliden und langfristigen Bedarfsplanung ab, von einer fundierten Ausbildung, von der pädagogischen Betreuung noch unerfahrener Kollegen während ihrer Einarbeitung und von einer vernünftigen Zusammenarbeit mit Schülern und Eltern. Dann kann man sich manchen Anwalt ersparen und das Dungeon möglicherweise auch. Und was die pädagogischen Quereinsteiger angeht: Aus meiner Schulzeit in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre kann ich mich an Lehrer erinnern, die unter wesentlich komplizierteren Bedingungen in den Schuldienst eintraten, nämlich aus der Gefangenschaft entlassen, in zusammengeflickter Militärkleidung, zum Teil kriegsverletzt, hungrig, frierend und oft ohne jeden Lehr- und Lernmittelfundus. Da wurde »Bluhme« auch schon mal versehentlich mit h geschrieben. Die neuen Lehrkräfte brachten in ihrer Mehrzahl allerdings Idealismus mit und bemühten sich darum, die Schüler unter Einbeziehung eigener Lebenserfahrungen Abstand vom Krieg gewinnen zu lassen und sie auf gesellschaftliche Perspektiven in Friedenszeiten vorzubereiten. Nicht wenige von ihnen wurden später Direktoren oder anerkannte pädagogische Wissenschaftler. Bei ihrer Einarbeitung konnten sie und ihre Schüler gut und gern auf künstlich eingerichtete Horrorkabinette verzichten. Und Anwälte waren damals sowieso dünn gesät und hatten anderes zu tun.
Wolfgang Helfritsch
Werner Kühn
Dass wir uns mindestens einmal vierteljährlich in seiner mit Büchern, Manuskripten und Computerausdrucken überfrachteten Wohnung in der Berliner Karl-Marx-Allee zu einem kleinen Gedankenaustausch treffen, ist für mich zu einer Gewohnheit geworden, die ich nicht missen möchte. Er, der jetzt 95-jährige Professor der Kulturwissenschaften Werner Kühn, gehört nicht nur zu jenen, die Gewichtiges über die Entwicklung von Kultur und Kunst in der verschwundenen DDR berichten und erzählen können, sondern dabei auch eigene, originelle Standpunkte formulieren. Der Arbeiterjunge aus Chemnitz, der in den 1950ern »Kulturfunktionär« im besten Sinne des Wortes wurde, hat sie alle auch persönlich gut gekannt: Becher und Abusch, Henselmann und Holtzhauer, Pischner und Hellberg, auch Bloch und Mayer. Als Direktor des Zentralhauses für Laienkunst hatte er großen Anteil an der Entwicklung des künstlerischen Schaffens und der Herausbildung junger Kultur- und Klubhausleiter in der DDR. Unvergessen ist seine Arbeit bei der DEFA und seine Tätigkeit als Sekretär des »Nationalen Rates der DDR für die Pflege und Verbreitung des deutschen Kulturerbes«. Was mich heute aber an dem 95-Jährigen immer wieder fasziniert, ist seine ungebrochene Neugierde, sein Wissensdurst, wenn es um Neues auf dem von ihm geliebten Gebiet von Kunst und Literatur geht. Dann fragt er nach der Markus-Lüpertz-Ausstellung im Leipziger Museum der bildenden Künste, nach Christoph Heins‘ neuem Roman »Verwirrnis oder einzelnen Konzerten von »Young Euro Classic« in Berlin. Als ich ihm von meinem Besuch im Marbacher Literaturarchiv und im Literaturmuseum der Moderne berichtete, meinte er mit listigem Blick auf seinen Rollator: »Es wäre wunderbar, wenn ich dahin noch einmal käme!« Herzlichen Glückwunsch, Werner Kühn!
Dieter Götze
Laudatio für eine Unermüdliche
Doch, es ist wahr: Kurt Tucholskys Großcousine Brigitte Rothert, die letzte aus der Verwandtschaft des vielseitigen Autors und zeitweiligen Weltbühnen-Chefredakteurs, vollendete am 16. August ihr 90. Lebensjahr. Etliche Jahre war sie engagiert in Berlin tätig, bevor sie von der Spree wieder an die Elbe zurückzog. Unermüdlich wirkte Brigitte Rothert in der ersten Vereinsreihe der Tucholsky-Gesellschaft, wofür sie bereits vor Jahren mit der Ehrenmitgliedschaft gewürdigt worden ist. Rothert erwarb sich besondere Meriten als Patin und Förderin mehrerer Tucholsky-Schulen sowie als Mitbewahrerin der Berliner Tucholsky-Bibliothek und deren Förderkreis-Gründerin. Sie war aktive und streitbare Teilnehmerin der Jahrestagungen von Rheinsberg, Gripsholm, Minden und Triberg. Durch aktive Spurensuche setzte sie sich für den Nachlass ihres Großcousins ein und bereicherte den Fundus des Rheinsberger Literaturmuseums durch Schenkungen, die den Neid anderer literarischer Sammlungen hervorriefen. Wer die Zeit dafür findet, kann im Museum in vom Autor signierten Buchexemplaren blättern und es sich dabei in Sesseln aus dem geretteten Tucholsky-Inventar bequem machen – vorausgesetzt, Direktor Peter Böthig gibt dafür seine Zustimmung.
Brigitte Rothert hatte im Nazireich als »Halbjüdin« und Antifaschistin ein gefahrvolles Leben zu bewältigen, worüber sie in ihrer Biographie »Tucholskys Großkusine erinnert sich« berichtet. Es war eine Ironie des Schicksals, dass an dem Tag, an dem sie sich mit ihrer Mutter zum Abtransport ins KZ Theresienstadt am Bahnhof einzufinden hatte, der verheerende Bombenüberfall auf Dresden erfolgte. Das rettete ihr und ihrer Mutter Leben, denn der Transport fand wegen des Bombeninfernos nicht statt.
Möge Brigitte Rothert uns mit ihrem Wissen, ihrem Lebensmut und ihren Erfahrungen noch lange gesund, kreativ und kritisch beiseitestehen. Glückwunsch zum 90.!
Wolfgang Helfritsch
Ein Jahrhundertsommer?
Man will es einfach nicht glauben …, aber der Sommer 2018 wird uns wohl noch eine Weile in Erinnerung bleiben. Weniger wegen des ausgebliebenen Fußball-Sommermärchens. Das traurige Kapitel wurde schnell von der permanenten Sommerhitze abgelöst.
Wir haben zwar bereits Anfang September, aber das trockene und sonnige Wetter scheint uns weiter erhalten zu bleiben. Bereits mit April und Mai gab es zwei Rekordmonate hintereinander. Juni und Juli ließen sich da nicht lumpen. Eine unermüdliche Sonne stand täglich grell am Himmel, eine Hitzewelle löste die andere ab. Die Schafskälte fiel aus, dafür setzten Siebenschläfer und Hundstage mit ihren Bauernregeln die Marken für jeweils weitere heiße Wochen.
Besonders die langanhaltende Trockenheit machte Natur und Mensch zu schaffen. Die Landwirte mussten ihre Felder noternten, die Waldbesitzer hatten schlaflose Nächte und die Kleingärtner wässerten sich arm. Fast täglich kam es zu Wald- und Feldbränden.
Freibad-, Biergarten- und Eisdielenbetreiber freuten sich dagegen auf volle Kassen. Ventilatoren und Klimaanlagen fanden reißenden Absatz. Und auf der heimischen Terrasse konnte man in den lauen Abendstunden ohne Regenbedenken den Grill anwerfen.
Als jedoch vor einigen Tagen endlich eine Kaltfront mit etwas Regen im Gepäck heranrückte, jammerte doch ein Festivalbetreiber in Sorge um sein abendliches Freiluftkonzert. So unterschiedlich sind unsere Wetterwünsche. Das erinnert mich an den alten DDR-Witz: »Nur gut, dass wir das Wetter nicht selber machen. Sonst würden wir den Sonnenschein exportieren und das Mistwetter behalten.«
Manfred Orlick