»Raub, Terror und Mord kamen aus Deutschland, einem Land, das sich in eine gewissenlose Diktatur verwandelt hatte. Deutsche Soldaten und Offiziere exekutierten im besetzten Land, was deutsche Ideologen und Schreibtischtäter in nationalistischer Hybris ersonnen hatten.«
Mit diesen Worten bekundete am 7. März 2014 der damalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck während einer Gedenkstunde im griechischen Märty-rerdorf Lyngiádes »tiefes Erschrecken und doppelte Scham« über die Verbrechen der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland während des Zweiten Weltkrieges und bat »im Namen Deutschlands [...] um Verzeihung«. Der Bremer Historiker Karl Heinz Roth, der die deutsche Reparationsschuld gegenüber Griechenland umfassend dokumentiert hat (siehe Ossietzky 7/2017), sieht in diesen Worten »Krokodilstränen«, »wohlfeile Akte der Erinnerungskultur«, mit denen die deutsche Politik seit einigen Jahren ihr »Konzept des »Aussitzens« der Reparationsforderungen aller griechischen Regierungen seit 1945 abzufedern versuche.
Denn noch immer gilt die Erklärung, die im Jahr 2015 der für Europafragen im Auswärtigen Amt zuständige Staatsminister Michael Roth (SPD) abgab: Deutschland stehe »zu seiner historischen Schuld und auch zu seiner Verantwortung«, aber die Frage deutscher Reparationen sei »politisch und juristisch abgeschlossen«.
Darauf beharrt die Regierung Merkel auch aktuell und anscheinend unbeeindruckt, seit die griechische Regierung im Juni 2019 Berlin in einer diplomatischen Note erneut zu Verhandlungen über Reparationsleistungen aufgefordert hat. Die griechische Regierung in Athen – damals noch unter Ministerpräsident Alexis Tsipras – war dazu parteiübergreifend vom Parlament in Athen gedrängt worden. Zuvor hatte eine Expertenkommission des griechischen Parlaments die Summe für die von der deutschen Wehrmacht zwischen 1941 bis 1944/45 verursachten Schäden auf 290 Milliarden Euro einschließlich Zinsen beziffert.
Als »beschämend« verurteilen inzwischen zahlreiche deutsche Bürgerinnen und Bürger die Haltung der Bundesregierung in einem bundesweiten Aufruf mit dem Titel »Deutsche Kriegsschuld und Verpflichtungen gegenüber Griechenland«. Zahlreiche prominente Unterzeichner aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Kirchen (siehe www.respekt-fuer-griechenland.de//?p=2406) unterstützen den Aufruf (»Positionspapier«), den der Berliner Solidaritätsverein »Respekt für Griechenland« erarbeitet hat und der von der früheren Vizepräsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses Hilde Schramm verantwortet wird. Sie werben um Mitarbeit und Hilfe bei ihrem Versuch, in der tabuisierten Entschädigungsfrage mit einer Kampagne zivilgesellschaftlichen Druck gegen die Haltung der Bundesregierung aufzubauen. Der Regierungsansicht halten sie entgegen, »die Verpflichtungen aus der Kriegsschuld« und der deutschen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« seien »keineswegs erledigt«, vielmehr würden diese, da der Blick sich auf den NS-Besatzungsterror weiter schärfe, auch zukünftig »nicht erledigt sein«.
Um ihr Anliegen politisch gleitfähig zu machen, erinnern die Aufrufer daran, dass die Bundesrepublik Deutschland »über die Jahre, immer unterhalb von Rechtsansprüchen, mit einzelnen Ländern ›indirekte‹ oder ›außergesetzliche‹ Beiträge zur Wiedergutmachung vereinbart und für bestimmte Verfolgtengruppen Fonds oder Stiftungen, die humanitär oder moralisch begründet wurden, eingerichtet« hat. Auch wenn dies nicht ausreichend sei, stellen sie in diesem Sinne drei Forderungen an den Bundestag und an die Bundesregierung, die sie »für vordringlich und zeitnah erfüllbar halten«. Die Forderungen lauten:
Erstens: Rückzahlung des Zwangskredits, den das Nazi-Regime während der Besatzungszeit von Griechenland erpresst hat und dessen Restschuld sich 1945 nach dem Rückzug der deutschen Truppen auf 476 Millionen Reichsmark belief. Respekt für Griechenland beziffert den heutigen Wert der Zwangsanleihe auf schätzungsweise sieben Milliarden Euro, mit Zinsen betrage er elf Milliarden Euro. Um zu einer Klärung zu kommen, solle die Bundesregierung der Regierung in Athen anbieten, gemeinsam den Vergleichs- und Schiedsgerichtshof innerhalb der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) anzurufen. Dessen Zuständigkeit sei gegeben.
Zweitens: Rückzahlung des Lösegelds, das der damalige Chef der deutschen Wehrmachtsverwaltung in Thessaloniki, der Kriegsverbrecher Max Merten, von der jüdischen Gemeinde in Thessaloniki 1942 erpresst hatte als Gegenleistung für die vorübergehende Freilassung von 7500 jüdischen Zwangsarbeitern, die er dann wenige Monate später mit mehr als 46.000 Juden aus Thessaloniki in das Vernichtungslager Auschwitz deportieren ließ (siehe Ossietzky 14/2017). Das geforderte Lösegeld hatte damals einen Wert von 38 Millionen Reichsmark.
Drittens: Die Einrichtung eines Fonds zur nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums in Griechenland – unter besonderer Berücksichtigung der von den Nazis zerstörten »Märtyrerdörfer«. Obwohl zahlreiche Bürgermeister während der 1950er Jahre um Hilfe gebeten hatten, habe die Bundesregierung bisher keines der mehr als 1000 von der Wehrmacht gebrandschatzten griechischen Dörfer unterstützt und auch sonst jede Aufbauhilfe verweigert.
Unterdessen hat Anfang Juli 2019 der wissenschaftliche Dienst des Bundestages das Nein der Bundesregierung zu Entschädigungszahlungen an Griechenland in Zweifel gezogen. Die deutsche Weigerung sei völkerrechtlich vertretbar, aber »keineswegs zwingend«, heißt es in dem Sachstandsbericht, den die Fraktion Die Linke in Auftrag gegeben hatte. Die Völkerrechtsexperten des Bundestages regen eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag an, um für Rechtsklarheit zu sorgen.
Wer die Kampagne unterstützen will, wendet sich an: Respekt für Griechenland e. V., c/o Hilde Schramm, Ringstraße 83, 12203 Berlin. Informationen unter www.respekt-fuer-griechenland.de/?p=2520. Spendenkonto (Verwendungszweck: »Kriegsschuld«) IBAN: DE42 4306 0967 1175 7746 01, BIC: GENO DE MI GLS.