Nicht allein daß das Projekt Westausdehnung der Partei des demokratischen Sozialismus auf dem Wege ihres Zusammenschlusses mit der WASG Fortschritte macht, es dringen aus dem Osten auch Sitten ins Westland, von denen bis dahin nur in Verbindung mit der SED-Diktatur und dem Unrechtsstaat die Rede sein mußte. Wobei – horribile dictu – sich nicht einmal sagen läßt, daß die Gysi und Lafontaine die Herbeiträger solchen Imports wären. Das rote Gift schleicht, wovon dieser Tage im Schwabenlande berichtet wurde.
Dort steht die Emeritierung eines Professors bevor, der sich an der Universität Stuttgart und darüber hinaus hinreichend Verdienste erworben hat, daß er – wie aus solchem Anlaß üblich – durch das Erscheinen einer ihm gewidmeten Festschrift geehrt werden soll. Die erhebliche Zahl seiner Schüler ließ bei der Suche nach Autoren Verlegenheit nicht aufkommen. Zu ihnen gehört Marlis Prinzing, Dozentin an mehreren Hochschulen, Publizistin und Journalistin, die mit dem nun aus dem Hochschuldienst Scheidenden als ihrem Doktorvater verbunden ist. Was sie ihm als Dissertation vorlegte, eine in Baden-Württemberg angesiedelte wirtschaftshistorische Arbeit, erhielt die Note summa cum laude und einen Preis dazu. Nun verstand sie sich zu einem Beitrag, in dem sie das Verhältnis der baden-württembergischen Ministerpräsidenten von Reinhold Maier bis zum jetzigen Inhaber des Amtes zur Geschichte darstellte. Damit ist sie durchgefallen – aufgrund eines Urteils eines Professors Gerhard Fritz, Lehrer an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd, der die Festschrift herausgibt.
Warum hat der Mann nicht von vornherein abgewinkt, als er hörte, was da als Beisteuer zur Aufsatzsammlung gedacht war? Was hat ihn glauben lassen, daß die Autorin in einer Art Harakiri-Anwandlung einen Text zu Lob und Preis der Filbinger und Oettinger vorlegen würde, deren Umgang insbesondere mit der jüngeren deutschen Geschichte sie weit über das Schwabenland hinaus bekannt machte? Jedenfalls nichts aus der Biographie der Verfasserin, die, der Wahrheit die Ehre gebend, eine »Geschichtsvergessenheit der Landesfürsten« konstatierte, denen sie nachträglich und wohl auch gemünzt auf alle künftigen Amtsinhaber empfiehlt, sich von der Tradition des »Verdrängens, Verschweigens, Verharmlosens« zu verabschieden und, äußern sie sich wieder einmal zur Geschichte, den »Rat beim Historiker« zu suchen. Bei welchem, möchte man da mit dem Seitenblick auf den Herrn Fritz fragen.
So deutlich das Fazit und so zurückhaltend die Anregung von Marlis Prinzing, der Herausgeber konstatierte, eine Festschrift sei »kein Podium für Polemiken«, was, wie immer man zu der Meinung stehen mag, jedenfalls bezeugt, daß er sich mit diesem Genre der wissenschaftlichen Buchproduktion bisher kaum vertraut gemacht haben kann. Ausschlaggebend aber war, welche womöglich erfahrungssatte Befürchtung der Mann an eine Veröffentlichung dieses Textes knüpfte. Er schrieb: »Was glauben Sie wohl, wie die (für die Erhaltung des nun durch die Emeritierung freiwerdenden Lehrstuhls zuständigen Herren in der Landesregierung; K. P.) angesichts Ihres Beitrags entscheiden werden?« Und er ist sich sicher: »Ohne Konformität kein Geld.«
Wie gesagt, von solcher Art Unterwürfigkeit, von derlei Der-Obrigkeit-zum-Munde-Reden, von einer nur auf den eigenen Vorteil ausgehenden Berechnung – Haltungen, die sämtlich auf die Preisgabe wissenschaftlicher Normen hinauslaufen – hatte man bisher aus dem Reich der Ulbricht und Honecker gehört. Freilich, Hoffnung ist noch. Dem Volkskundler Hermann Bausinger geht die Befürchtung des Fritz zu weit, er erblickt in ihr eine vorauseilende Unterstellung, ja eine »herbere Attacke« gar, als sie die Autorin des Beitrags unternommen habe, den ihr Lehrer Franz Quarthal nun gedruckt und gebunden nicht zu lesen bekommen wird. Gegen die beruhigende Sicht Bausingers ließe sich freilich der Einwand vorbringen, daß er schon 1992 emeritiert wurde und womöglich nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand der Beziehungen zwischen Gesellschaftswissenschaft und Staatsmacht sich befinden kann. Die Stuttgarter Zeitung meint, daß hinter Fritzens Standpunkt »die Sorge einer ganzen Profession« stecke, »plattgemacht zu werden«, bildeten die Geisteswissenschaften doch keine Ingenieure aus.