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Titel1809

Erfahrungen mit einem NS-Pfarrer  (Hartwig Hohnsbein)

Vierzig Jahre vor der Wahl zum 17. Bundestag fand am 28. September 1969 die Wahl zum 6. Bundestag statt. Ihr Ergebnis machte es möglich, daß eine Kleine Koalition aus SPD und FDP eine »neue Ostpolitik« einleitete, durch die eine gute Nachbarschaft zu den osteuropäischen Ländern und zur DDR hergestellt werden sollte. Doch dieser Ausgang war bis zuletzt ungewiß. Alles hing davon ab, ob der NPD der Einzug in den Bundestag gelingen würde; sie versprach, gemeinsam mit der CDU eine solche Ostpolitik zu verhindern. Seit ihrer Gründung im November 1964 in Hannover hatte diese neofaschistische Partei einen schier unaufhaltsamen Aufstieg erlebt und bei sieben von zehn Landtagswahlen die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen. In Niedersachsen, ihrem Stammland, erhielt sie im Juni 1967 mit sieben Prozent der Stimmen zehn Abgeordnetenmandate, und in Baden-Württemberg brachte sie es im April 1968, bei der letzten Landtagswahl vor der Bundestagswahl, sogar auf 9,8 Prozent der Stimmen. Ihre Wähler waren vorwiegend Männer mittleren Alters in den protestantischen ländlichen Gebieten, eine Wählergruppe, die vor 1933 für den Aufstieg der NSDAP verantwortlich gewesen war.

Die Gründung der NPD und Ihr Einzug in die Landesparlamente, ihr rassistisches Programm und ihre Schlägertrupps wurden von den Kirchen, die so gern ihr »Wächteramt« beschwören, so gut wie nicht beachtet. Das änderte sich, als im Frühsommer 1969 bekannt wurde, daß ein Pastor, Dr. Werner Petersmann, für die NPD auf dem Spitzenplatz ihrer niedersächsischen Landesliste kandidierte. Petersmann, Jahrgang 1901, hatte von 1953 bis Januar 1969 in der Lukas-Gemeinde in Hannover-Vahrenwald amtiert. Er galt als Fachmann für »Vertriebenenfragen« und war deshalb in der Landeskirche Hannovers zum Vorsitzenden des »Landeskonvents Hannover der zerstreuten Ostkirchen« bestellt worden. Daneben begründete er mit einem »Arbeitskreis für Ostfragen« ab 1957 die »Barsinghäuser Gespräche«, die eine Plattform für Politiker bot, die sich berufsmäßig mit »Vertriebenenfragen« beschäftigten. Dabei konnte er den »Vertriebenenminister« Theodor Oberländer begrüßen, dessen »Ostforschung«, laut Wikipedia, »der SS im Zweiten Weltkrieg als Legitimation für grausame Umsiedlungsaktionen und andere Verbrechen diente«, oder auch Otto Freiherr von Fircks, der ab 1954 Landesgeschäftsführer des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) in Niedersachsen, ab 1961 Mitglied des niedersächsischen Landtages und ab 1969 als CDU-Bundestagsabgeordneter zuständig für »Vertriebenenfragen« war, bis in den 70er Jahren bekannt wurde, daß er 1939 als SS-Obersturmführer daran beteiligt gewesen war, die Polen von ihren Höfen zu vertreiben.

Nun also, 1969, sollte »Vertriebenenpastor« Petersmann in Niedersachsen die »deutschen Vertriebenen« zur NPD führen. Sein Credo lautete: »Es geht darum, die uns völkerrechtlich zustehende Heimat zurückzugewinnen und ebenso für die ganze deutsche Nation den ostdeutschen Raum, den sie dringlich für die quadratkilometermäßig zusammengedrängte und aufs stärkste wachsende Bevölkerung gerade für die Zukunft braucht ...«

Theologisch blieb Petersmann sich zeitlebens treu. Er hatte in den 20er Jahren von dem führenden lutherischen Theologen Paul Althaus die »Theologie der Schöpfungsordnungen« mit der Heiligsprechung von »Blut und Rasse«, »Stamm und Volk«, »Scholle und Boden« mit dem Vorrang der »deutschen Art« gelernt und sie 1934 in dem Buch »Die heilige Sache der Deutschen Christen!« beschrieben. Ab 1939 war er Mitarbeiter am »Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben«. Er hielt sich viel darauf zugute, dazu beitragen zu können, daß »die kommenden Pfarrerkonvente in der Deutschen Evangelischen Kirche insgesamt das Thema der Bekämpfung des Judentums behandeln werden«.

Seine Anstellung als Pfarrer in der Landeskirche Hannovers mag nach seinem Werdegang bis 1945, der selbstverständlich bekannt war, heute verwundern; damals wurde die Rehabilitierung von hoch belasteten Antisemiten nicht unbedingt als Problem gesehen. Hier fand auch des NS-Bischof der evangelischen Kirche Mecklenburgs, Walther Schultz, 1950 freundliche Aufnahme, hatte er doch ab August 1939 gemeinsam mit dem hannoverschen Landesbischof August Marahrens im dreiköpfigen »Geistlichen Vertrauensrat« für die gesamte Deutsche Evangelische Kirche Hitlers Vernichtungskriege und seinen Antisemitismus befürwortet und »unser deutsches Volk« darauf eingestimmt – so am 2. September 1939 mit der Erklärung: »Seit dem gestrigen Tage steht unser deutsches Volk im Kampf für das Land seiner Väter, damit deutsches Blut zu deutschem Blut heimkehren darf. Die Deutsche Evangelische Kirche stand immer in treuer Verbundenheit zum Schicksal des deutschen Volkes. Zu den Waffen aus Stahl hat sie unüberwindliche Kräfte aus dem Worte Gottes gereicht ...«

Nun, im Sommer 1969, mußte sich die hannoversche Amtskirche erneut mit Rassismus und Revanchismus beschäftigen. Ein Arbeitskreis junger Pastoren stellte an sie den Antrag, ein Disziplin- und Lehrzuchtverfahren gegen Petersmann einzuleiten, weil der sich »einer Partei zur Verfügung stellt, deren Absichten im Widerspruch zu dem bei der Ordination abgelegten Gelübde stehen«. In eine Unterschriftenliste gegen Petersmann trugen sich 300 Pastoren ein und forderten eine Sondersitzung der Synode. Dieselbe Forderung hatte zuvor auch schon die Pfarrkonferenz in Burgdorf erhoben und zugleich beschlossen, eine »Erklärung gegen NPD-Pastor Petersmann« zu veröffentlichen. Die erschien dann auch am 26. September im Burgdorfer Kreisblatt und war wohl die einzige öffentliche amtskirchliche Stellungnahme gegen die NPD. Zwar kam auf Druck jener Unterschriftensammlung eine Presseerklärung des Bischofsrates zustande, in der dazu aufgerufen wurde, allen »Tendenzen zu begegnen, die Verachtung, Haß und Gewalt zwischen Völkern und Gruppen der Gesellschaft fördern«, doch dieses Bischofswort war peinlich darauf bedacht, weder die NPD noch ihren Spitzenkandidaten namentlich zu erwähnen – wahrlich kein Zeugnis christlichen Glaubensmutes. Auch die Synode und ihre sonst so redseligen Ausschüsse übten sich im Schweigen zur NPD, während Petersmann gleichzeitig in Briefen an »seine lieben christlichen Mitbürger« mit seinem Pastorentitel für die NPD werben konnte, unbehelligt von irgendwelchen amtskirchlichen Maßnahmen gegen ihn.

Die amtskirchlichen Vertreter wurden allerdings wieder sehr tapfer, als die Wahl vorüber war und die NPD mit 4,3 Prozent der Stimmen den Einzug in den Bundestag knapp verfehlt hatte. Im November begrüßte die Landessynode, daß »viele kirchliche Gruppen ..., insbesondere Pastoren und Mitarbeiter, zur Kandidatur Petersmanns ... kritisch Stellung nahmen«; gleichzeitig rechtfertigte sie ihr Schweigen, weil durch eine »außerordentliche Verhandlung möglicherweise die NPD in der Öffentlichkeit erst recht aufgewertet worden wäre«. Und sie fügte hinzu, so als hätte sie durch kluges Verhalten den Aufstieg der NPD gestoppt: »Sie sieht sich insoweit in gewisser Weise vom Wahlergebnis bestätigt.«

Das Gegenteil ist richtig: Verhindert wurde der Einzug der NPD in den Bundestag nicht durch Schweigen und Wegsehen, sondern durch die zahlreichen lauten Proteste und Demonstrationen aus dem Bereich der Gewerkschaften, von den heute so geschmähten »68ern«, aus der Ostermarschbewegung und in Niedersachsen, wo die NPD von sieben Prozent Stimmanteil bei der Landtagswahl auf nun 4,6 Prozent zurückfiel, auch von der kirchlichen Basis, die mit ihrem Protest zugleich das Schweigen ihres amtskirchlichen Überbaus tadelte. Das ist ein Hinweis auch für heute, offenen Widerstand zu leisten gegen rechtsradikale und demokratiefeindliche Kräfte und gegen den Revanchismus, der in den »Vertriebenenverbänden« wie zur Zeit des Pastors Petersmann immer noch sehr lebendig ist.

Ausführlicher berichtet Hartwig Hohnsbein darüber in der Broschüre »Als der Pastor Petersmann aus Hannover der Spitzenkandidat der NPD in Niedersachsen war«, für 2.50 € direkt beim Autor zu beziehen (E-Mail: hartwig2@gmx.de)