Demographen hatten das Stichwort geliefert, und angebliche Fachleute verwiesen auf den »Sachzwang«: In einer alternden Gesellschaft müsse länger gearbeitet werden. Der damalige SPD-Obere und Merkel-Stellvertreter Franz Müntefering vollbrachte das, was die tonangebenden Medien ihm bis heute als seine große Tat anrechnen: die Rente erst ab 67 Jahren. Von 2012 an soll dieser Beschluß schrittweise bis 2029 umgesetzt werden. In Wahrheit handelt es sich aufgrund der Realitäten im Arbeitsmarkt um ein Programm zur Kürzung der Renteneinkommen, zugleich um eine Wohltat der Politik für die privaten Versicherungen, denen nach der Devise »Privat vor Staat« neue Kunden in Massen zugeschanzt werden. Den Wahlergebnissen der SPD allerdings ist dieses Reformwerk nicht gut bekommen.
Jetzt richten sich die Blicke der sozialdemokratischen Wahlstrategen auf das Jahr 2013. Die Partei ist (prozentual) im demoskopischen Aufwind, und sie möchte darin bleiben. Also ist eine propagandistische Wende angesagt, möglichst so, daß dem Wahlvolk nicht zu sehr auffällt, daß die SPD sich als verbale Opposition gegen eine eigene Entscheidung in Szene setzt.
In der Partei wurde hin- und herdiskutiert, was da zu tun sei. Vielleicht die ersten Schritte zur Rente mit 67 auf das Jahr 2015 verschieben, wenn die nächste Bundestagswahl gelaufen ist? Schon die Ankündigung könnte Ärger bringen. Da ist das Konzept, mit dem die SPD-Führung jetzt den Parteimitgliedern Erleichterung verschaffen und demoskopisch punkten will, etwas geschickter: Die Rentenreform soll nur in Gang kommen, wenn 50 Prozent der 60 bis 64 Jahre alten ArbeitnehmerInnen Beschäftigung gefunden haben. Beschwiegen wird dabei, daß als »beschäftigt« auch Mini-JoberInnen gelten und die anderen 50 Prozent, die Arbeitslosen, unter dem späteren Eintritt in die Rente ganz besonders zu leiden hätten. Vor 2013 muß die SPD mit Forderungen nicht kleinlich sein. Nach der Wahl gelten andere Prioritäten als vor der Wahl, und programmatische Versprechungen sind bei einer Regierung nicht einklagbar. Notfalls wird die SPD auf den Zwang zum Koalitionskompromiß verweisen können; die grüne Oberin Renate Künast hat schon erklärt, es müsse bei der beschlossenen Regelung bleiben, basta. Die meisten Anhänger der Grünen sind »besserverdienend«, sie haben kein Problem mit der privaten Zusatzversicherung.
Die üblichen Kronzeugen für die Notwendigkeit des späteren Renteneintritts, allen voran Bert Rürup und Bernd Raffelhüschen (Professoren, Politikberater und zugleich für die private Versicherungsbranche tätig), haben sich über den »Rückfall« der SPD empört, was dieser wiederum für die Profilierung als Rentenretter nützlich ist. Die Sorge dieser »Experten«, daß sich die Sozialdemokraten einer Expansion des privaten Versicherungsgeschäfts nun doch in den Weg stellen könnten, wird nicht allzu ernst sein; sie kennen ja die Genossen.
Verdeckt wird bei der Rentendiskussion – und zwar von der CDU/CSU und der FDP wie von den Grünen und der SPD – das heftigste Problem: die von der Politik betriebene, gerade unter Gerhard Schröder forcierte Ausdehnung des »Niedriglohnsektors« und der Frist- oder Teilzeitarbeit. Durch die »unsteten« Erwerbsbiographien, die sich daraus ergeben, wird für eine immer größere Schicht der abhängig Arbeitenden auf Sicht die staatlich zugestandene Rente, ob mit 65 oder 67, zum bloßen Almosen. Leben läßt sich davon nicht.
Bei dieser Schicht ist auch für die privaten Versicherungsunternehmen kaum etwas zu holen. Aber die sind aufs Prekariat nicht angewiesen, solange noch andere Kundschaft hinreichend zur Verfügung steht. Das walte Riester.