Jens Kerstan, Hamburger Bürgerschaft. – Völlig reibungslos hat die von Ihnen geführte Fraktion der Grünen dem CDU-Politiker Christoph Ahlhaus ins Bürgermeisteramt verholfen, Bedenken gab es nur, weil dieser sich in Heidelberg mit einer schlagenden Studentenverbindung eingelassen hatte. Kein Problem, haben Sie im Deutschlandfunk erklärt. Denn erstens sei Ahlhaus nur »Gastconkneipant« gewesen, und zweitens habe er den Hamburger Grünen versichert, beim nächsten Christopher-Street-Day werde er »mitmarschieren«. Und dann könne ihn die Burschenschaft gar nicht mehr als festes Mitglied haben wollen. Lebensstilwechsel – ein schöner Erfolg Ihrer Alternativpartei!
Christoph Meyer, Berliner Abgeordnetenhaus. – In Ihrer Partei, der FDP, braut sich ein Gewitter zusammen, und es bedroht vor allem den Parteivorsitzenden Guido Westerwelle. Freimütig geben Sie nun als Berliner Landesvorsitzender der Partei und als Fraktionsvorsitzender im Landesparlament bekannt, wann der Blitz einschlagen könnte: »Sollte ein Jahr nach dem Start der Bundesregierung (November!) keine meßbare Stimmungswende eintreten, müssen wir über eine neue Aufgabenverteilung sprechen.« Ein neuer Außenminister? Oder ein neuer Parteivorsitzender? Wie auch immer, Sie denken unternehmerisch: Wer sich nicht rentiert, in Umfragewerten, wird aus betrieblichen Gründen entlassen. Die FDP soll ja eine Partei der Leistungsträger sein.
Hans Michelbach, Deutscher Bundestag. – Als Finanzobmann der Unionsfraktion haben Sie der SPD vorgeworfen, eine »üble Abzockpartei« zu sein, weil deren Führung jetzt für eine Heraufsetzung des Spitzensteuersatzes plädiert. Sachte, sachte! Mit einem Wahlprogramm wird doch noch nichts abgezockt, außerdem war es ja die Schröder-Regierung, die erst einmal hingezockt hat: Sie setzte den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent herab. In jedem Falle bliebe ein Gewinn: Gabriel schlägt die Heraufsetzung auf 49 Prozent vor.
Sigmar Gabriel, Vorsitzender der SPD. – Ihrer Partei geht es demoskopisch wieder gut, also machen Sie sich schon mal Gedanken, wer 2013 ins Kanzleramt einrücken soll. Auf Publikumseignung kommt es da an, deshalb schlagen Sei vor: Die SPD lädt zum Casting für ihre Spitzenkandidatur ein; nicht nur die Parteimitgliedschaft, das ganze Wahlvolk soll sich daran beteiligen. Das kann aber, je nach Vorauswahl, schiefgehen. Wenn sich genügend Leute aus der Sache einen Jux machen, steht die Mehrheit der SPD-Mitglieder am Ende mit ihrem Favoriten dumm da. Auch weiß man nicht, wen Springer & Co. zum Sympathieträger hochjubeln. Es ist nicht sicher, daß Ihnen diese Ehre zukommt.
Andrea Nahles, Generalsekretärin der SPD. – Thilo Sarrazin will seine Partei freiwillig nicht verlassen, und da haben Sie verbalen Druck gemacht: »Mißbrauch« treibe dieser Mann mit der SPD. Bitte bedenken Sie: Über viele Jahre hin hat Sarrazin von Ihrer Partei ganz einvernehmlich Gebrauch gemacht und diese von ihm als ministeriellem Finanzexperten, Staatssekretär, Treuhandmanager, Bahnvorstand, Finanzsenator – und die SPD war es, die ihn zum Bundesbanker machte. Da liegt es doch nahe, daß Sarrazin, jetzt Erfolgsautor bei einem Bertelsmann-Verlag, seiner Partei die Treue halten möchte.
Thilo Sarrazin, Medienstar. – Sie haben völlig recht: Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gilt nicht nur für kluge Leute. Niemandem ist es verboten, sich zu blamieren. Es liegt ganz allein in Ihrer Entscheidung, ob Sie als anständiger Mensch gelten wollen. Sie brauchen auch nicht aus der SPD auszutreten, da die SPD längst selber aus der SPD ausgetreten ist.
Und nochmal Sarrazin. – Gegen Ihre krankhafte Xenophobie gibt es kein Heilverfahren, nur eine schonungslos offene Diagnose. Formuliert auf Ihrem Argumentationsniveau: Sie leiden darunter, daß Sie nicht von germanischen Heroen, sondern von sarazenischen Grabräubern abstammen. Denn der Name Sarrazin – das können sich sogar Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund aus der Internet-Enzyklopädie Wikipedia zurechtbuchstabieren! – verweist auf die Abstammung seiner Träger von den Sarazenen, einem Nomadenvolk, das einst in Arabien siedelte und dessen Nachfahren über die Türkei nach Mitteleuropa gelangten. Der Name Sarrazin, schränkt Wikipedia ein, habe in Einzelfällen auch auf die Zugehörigkeit seines Trägers zu den »Zigeunern« angespielt. Leiden Sie darunter?
Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Linkspartei. – Murren geht in Ihrer Partei um, nicht nur über Ihren Kovorsitzenden. Da braucht es innerparteiliche Klimapflege. Ihr Vorschlag: im Berliner Karl-Liebknecht-Haus regelmäßig eine »Sprechstunde für Basisgenossen« anzubieten. Der Namensgeber Ihres Parteihauses muß wohl so etwas wie politischer Familientherapeut gewesen sein.