Nein, Engel, wie im Programm angekündigt, sind es nicht, sondern sehr irdische Menschen, auf der Suche nach einem himmlischen Glück und einem geistigen Führer, ihrem Guru. In Hamburg auf Kampnagel ging das Sommerfestival so zu Ende, wie es begonnen hatte: mit Tanztheater.
Akram Khan, in London als Sohn bengalischer Eltern geboren, schafft mit seiner international zusammengesetzten Truppe in dem Stück »Vertical Road« eine Verbindung indischer, besonders des Kathak, und westlicher Tanzformen. Und es gelingt erstaunlich gut. Die acht Tänzerinnen und Tänzer, in weißen Gewändern, mit Puder oder Mehl bestäubt, bewegen sich anfangs suchend, manchmal wie kleine Tiere auf dem Boden. Ein zarter durchscheinender Vorhang bläht sich auf, man denkt an Segel, Wind und Wellen, die Musik unterstreicht diesen Eindruck. Es klingt wie unter Wasser, Walgesänge.
Einer der Tänzer fällt heraus aus dieser Einheit. Sein Kostüm ist dunkler. Er sondert sich ab, geht einen anderen Weg. Baut abseits an seinem Image – setzt Holzplatten zusammen, oder sind es Bücher, in die er sich vertieft? Er nähert sich der Gruppe, zieht einzelne heraus, bringt sie unter seinen Einfluß, seine Kontrolle. Ein Tanz der Fast-Berührungen, der magnetischen Anziehung. Der elektrische Funke springt über zwischen dem Guru und dem (oder der) ihm Verfallenen. Nun gibt es kein Entkommen mehr. Leidenschaftliche Hingabe, die Arme zum Himmel erhoben im Drehtanz, der Rausch erzeugt. Fast modellhaft die religiöse Verblendung und Verführung, das Sich-Unterordnen, Willenlos-werden.
Eine Tänzerin wird getragen wie eine Puppe ohne eigenes Leben. Das Auf-dem-Boden-Wälzen zeichnet Muster in den weißen Staub. Und Muster werden in die Psyche eingegraben durch Wiederholung und Gewalt. Die Musik, oft schmerzhaft laut, verbunden mit aggressiven Lichtblitzen, wechselt zu sanften Tönen, so leise wie nur gedacht. Die Beeinflussung kann tödlich sein. Die Tänzer erscheinen einzeln, dann in einer Reihe hinter dem Vorhang als Schatten. Abbilder der Lebenden? Nur der Guru steht davor, kämpft mit einem Riesenschatten – oder mit sich selbst. Auch ein Guru ist nur ein Mensch und sterblich. Keine Engel sind für ihn da. Der Vorhang zerreißt, gibt den Weg frei.