»Vergessen Sie Honduras nicht«, appellierte die von der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) im Oktober 2010 mit dem Hans-Litten-Preis ausgezeichnete Richterin Tirza Flore Lanza an die Deutschen. Sie hat damit sicher nicht zu den Aktivitäten der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) ermutigen wollen, die für Anfang September zum zweitägigen Seminar »Soziale Marktwirtschaft – ein Modell für Lateinamerika« nach Tegucigalpa einlädt. Teilnehmer der mit deutschen Steuergeldern finanzierten Schulung werden »Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Parteien« sein. Im rechtskonservativen Regime von Staatschef Porfirio Lobo, das seine Macht auf Großgrundbesitzer, Industrielle und Militärs stützt, sieht die KAS den besten Garanten dafür, daß Honduras auch nach den für November nächsten Jahres geplanten Kongreß-, Präsidenten- und Bürgermeisterwahlen eine neoliberale Bastion in Lateinamerika bleibt. Ohne Scheu und Scham fördert sie deshalb die Unterstützer des brutalen Staatsstreichs vom Juni 2009. Der vor allem von US-Geheimdiensten gesteuerte Putsch richtete sich gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya, der weitgehende soziale und demokratische Rechte in der Verfassung verankern wollte und damit für große Teile der Bevölkerung zum Hoffnungsträger wurde. Politiker und Konzernmedien in Europa und den USA fördern durch Verschweigen das Vergessen, während europäische Parteien und deren Stiftungen die Herrschaft der Nutznießer des Putsches zementieren. Vor dieser Entwicklung hatte die honduranische Juristin gewarnt (s. Ossietzky 22/10). Wenn der Staatsstreich vergessen und die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen würden, seien demokratische und soziale Regierungen auch in anderen Ländern der Region gefährdet, sagte sie bei der Verleihung des Hans-Litten-Preises in Berlin.
Für Menschenrechte setzen sich gern auch die deutschen staatstragenden Parteien und Politiker ein. In der letzten Zeit besonders in Libyen, Syrien oder dem Iran. Auch die Inhaftierung einer verurteilten kriminellen Multimillionärin oder die Untersuchungshaft eines spanischen Verkehrsrowdys, der für den Tod zweier Menschen verantwortlich ist, lösen den Pawlowschen Menschenrechtsreflex aus. Vorausgesetzt die Delinquenten werden in der Ukraine oder auf Kuba zur Rechenschaft gezogen.
Aber in Honduras? – Noch am Tag des blutigen Staatstreichs, dem 28. Juni 2009, rechtfertigte der Büroleiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) in einem Bericht unter der Schlagzeile »Zelaya – Mehr Täter als Opfer« den Putsch. Und zur Verschleppung des Präsidenten schrieb der damalige Leiter des für Honduras zuständigen KAS-Auslandsbüros in Guatemala, Tjark Marten Egenhoff: »Eine Rückkehr von Präsident Zalaya mag man sich in Honduras momentan nicht vorstellen.« Denn, so Egenhoff weiter: »Eine Mehrheit in der Bevölkerung unterstützt … das Vorgehen der neuen Regierung.« – Verletzung von Menschenrechten? – In Honduras? – Es geht um Bedeutenderes.
So hatte eine auf Steuerzahlerkosten von der KAS nach Brüssel und Berlin eingeladene Regierungsdelegation ihren Gesprächspartnern im Kanzleramt, im Außen-, im Wirtschafts- und im Innenministerium im vergangenen Jahr die Fortschritte bei der »Demokratisierung« des Landes geschildert und Kontinuität bei der Beseitigung der sozialpolitischen Reformansätze des Ex-Präsidenten Zelaya versprochen. Ganz besonders gefielen den deutschen Regierungsbeamten die von Staatschef Lobo unterschriebenen »Leitlinien für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit«. Damit gehöre Honduras »offiziell zu den Unterzeichnern dieser weltweiten Initiative zur Förderung der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft«. – Wer fragt da noch nach Menschenrechten?
Anwältin Tirza Flore Lanza zum Beispiel. »In Honduras leben wir in einem ständigen Klima der Angst«, sagte sie in einem Interview des Internetportals amerika21. Seit dem Putsch seien hunderte Oppositionelle, Landarbeiter, Gewerkschafter und vor allem Journalisten ermordet worden. Das Schlimmste sei die Rechtsunsicherheit, weil Staatsanwälte und Richter »uneingeschränkt auf der Seite der Putschisten stehen«. Die Bevölkerung sei deshalb der täglichen Gewalt des Staates schutzlos ausgeliefert.
Daran hat sich seit Juni 2009 nichts geändert. »Militär- und Polizeiangehörige, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, hatten weiterhin keine strafrechtlichen Konsequenzen zu befürchten«, heißt es im aktuellen »Amnesty Report 2012«. Die Organisation registrierte neben den Gewalttaten auch eine Verschärfung der sozialen Not: »Rechtswidrige Zwangsräumungen machen Hunderte von Kleinbauernfamilien obdachlos.« Landarbeiter, fliehende Mütter mit Kindern, Angehörige auf der Suche nach Verschwundenen, Jugendliche aus armen Bevölkerungsschichten und Journalisten werden laut Amnesty zunehmend angegriffen und getötet. Mit Hilfe von Polizei, Militär und Justiz terrorisiert eine kleine Gruppe von Oligarchen, Großgrundbesitzern und Industriellen die überwiegend besitz- und schutzlose Bevölkerung. Honduras gilt heute mit 86 Morden pro 100.000 Einwohnern als das gefährlichste Land der Welt und gehört – nach Haiti – zu den ärmsten Staaten Lateinamerikas. Auch 2012 kann Amnesty International dem von FDP- und CDU-Stiftungen gehätschelten Regime von Porfirio Lobo kein rechtsstaatliches Verhalten bescheinigen.
Doch trotz Repression und Staatsterror ist der Wahltermin 29. November 2013 ein Risiko für die Oberschicht. Im März dieses Jahres gründeten Aktivisten aus Gewerkschaften, Landarbeiterorganisationen und sozialen Bewegungen unter der Leitung des nach internationalen Protesten mittlerweile zurückgekehrten ehemaligen Präsidenten Manuel Zelaya die neue Partei LIBRE (Libertad y Refundación), auf deutsch »Freiheit und Neugründung«. Deren Abkürzung bedeutet »FREI«. Als Präsidentschaftskandidatin für die Wahl 2013 nominierte die Partei Zelayas Ehefrau Xiomara Castro, die sich unter anderem für einen demokratischen Sozialismus, die Beendigung des neoliberalen Wirtschaftskurses und eine Bodenreform einsetzt. Die USA fürchten eine Schwächung ihres Einflusses und ihrer Militärbasen.
Damit es soweit nicht kommt, legen sich die der Marktwirtschaft verpflichteten deutschen Parteistiftungen im Vorfeld der Wahlen mächtig ins Zeug. Bereits im März letzten Jahres bildete die Konrad-Adenauer-Stiftung in Tegucigalpa 30 zukünftige Pressesprecher von Lobos regierender Nationalpartei (PNH) aus. Am 6. und 7. September sollen die Vertreter der politischen Elite im »Diplomkurs Soziale Marktwirtschaft« für die kommenden Auseinandersetzungen fit gemacht werden. Während immer mehr Menschen in den USA und vor allem in Europa unter den sozialen Verwüstungen des marktwirtschaftlichen Systems leiden, verordnen die Politinstrukteure der KAS es ihren Gesinnungsgenossen in Honduras als »Modell für Lateinamerika«.