erstellt mit easyCMS
Titel1812

Die Denkmalschlacht  (Ralph Hartmann)

1813 war es, als die verbündeten Heere der Österreicher, Preußen, Russen und Schweden in der Völkerschlacht von Leipzig den Truppen des französischen Kaisers Napoleon Bonaparte nach blutigem Gemetzel eine entscheidende Niederlage zufügten. 199 Jahre danach ist die sächsische Großstadt erneut Schauplatz einer erbitterten Bataille, dieses Mal allerdings keiner Völker- sondern einer Denkmalschlacht.

Gar bitter hatten sich die Leipziger Oberen beklagt, als bekannt wurde, daß in der Bundeshauptstadt, auf dem Berliner zeitweiligen Marx-Engels- und heute endlich wieder Schloßplatz ein Freiheits- und Einheitsdenkmal errichtet wird und die Wiege der Revolution, die Heldenstadt an der Pleiße, leer ausgehen sollte. Immerhin war Leipzig Ausgangspunkt der Montagsdemonstrationen, an denen am 9. Oktober 1989, zwei Tage nach dem 40. Jahrestag der DDR-Gründung etwa 70.000 Menschen teilgenommen haben sollen. Das Wehklagen der Stadtfürsten wurde erhört. Im Dezember 2008 forderte der Bundestag die Bundesregierung auf, »gemeinsam mit dem Freistaat Sachsen und der Stadt Leipzig den Beitrag der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt zur Friedlichen Revolution auf angemessene Weise zu würdigen.« Und da eine Revolution »angemessen« nur mit einem eindrucksvollen Monument gewürdigt werden kann, erhält nun auch die sächsische Metropole ein Freiheits- und Einheitsdenkmal, das zum 25. Jahrestag der Revolution eingeweiht werden soll.

Ein international besetztes Preisgericht hat kürzlich aus 38 Entwürfen die ersten drei Preisträger gekürt: Der erste Preis ging an eine Arbeit aus München mit dem Titel »70 000«, zu der das Preisgericht unter anderem feststellte: »Die Arbeit übersetzt das Wesen der Friedlichen Revolution von 1989 als Bewegung einer Vielzahl von Individuen ohne Anführer in ein geometrisches buntes Farbenfeld.« Bild beschrieb das Erinnerungskunstwerk so: »Auf eine Fläche von 9.000 Quadratmetern werden kunterbunte Karos gemalt, auf denen 70.000 Menschen Platz haben sollen ... Auf jedem Kästchen steht ein bunter Kunststoff-Hocker. Jeder kann sich einen mitnehmen – bis sie alle sind! Denn: ›Die gewollte Mitnahme der Objekte in private und öffentliche Räume trägt den Gedanken der Redefreiheit in jeden Winkel der Stadt und darüber hinaus‹, so die offizielle Erklärung. Ein Stück Freiheit zum Mitnehmen. Was zurückbleibt ist die bunte Fläche.«

Auf Platz zwei landete ein Vorschlag mit dem Titel »Eine Stiftung an die Zukunft«, der einen »Platz der Meinungsfreiheit« vorsieht, auf dem tagesaktuelle Losungen geschrieben werden können. Auf den 3. Platz schließlich kam eine Arbeit mit dem schönen Namen »Herbstgarten«. Sie sieht die Verwandlung des Platzes in einen Obstgarten vor, der von dem Schriftzug »Keine Gewalt« durchzogen wird und dessen Apfelbäume mit ihrem jahreszeitlichen Zyklus von Blüte und Ernte auf die »Leipziger Revolution« verweisen.

Wie leicht zu erkennen ist, handelt es sich durchweg um höchst einfallsreiche Siegerentwürfe, so daß es den Stadtoberen und ihren höheren Oberen im Hintergrund äußerst schwerfallen dürfte, im Herbst zu entscheiden, welcher davon umgesetzt werden soll.

Kaum waren die Preise vergeben, da prallten in Leipzig die Meinungen aufeinander. Die einen sprechen sich für den Münchner Hockervorschlag aus, die anderen präferieren den Obstgarten, oder sie fordern, das Geld – der Bund spendiert fünf Millionen und der Freistaat Sachsen 1,5 Millionen Euro – nicht für ein Denkmal zu »verbraten«, sondern es für nützliche Zwecke zu verwenden. Während viele den Siegerentwurf als »Kasperle-Denkmal« bezeichnen, findet eine Minderheit diesen fabelhaft. So auch Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Er ist ein leidenschaftlicher Befürworter der 70.000 Sitzgelegenheiten, im Falle der Realisierung dieses Entwurfes ist er gar bereit, bei zukünftigen Revolutionsjubiläen eine zweite Fuhre Hocker zu beschaffen. Nicht wenige Teilnehmer an den ersten Demonstrationen sind da anderer Meinung. Einer ihrer Sprecher widerspricht den Befürwortern des »Freiheits- und Einheitsdenkmals« in dem von der Stadt eingerichteten »Online-Dialogforum«: »Auch ich war '89 auf dem Ring, bevor Einheitsrufe erschollen und es eher ein Narrenumzug wurde. Es ging um Freiheit, nicht um Wiedervereinigung.«

Der heftige Streit um die Gestaltung des Monuments schmerzt jeden wahren Denkmalsfreund, so auch mich. Obwohl in den vergangenen Jahren meine Vorschläge zum Einzug des Bundesnachrichtendienstes in den geplanten Schloßneubau wegen der damit gewonnenen Volksnähe und der Milliarden-Euro-Einsparung durch den Verzicht auf das Neubaumonstrum für die Schlapphüte (Ossietzky 07/06) sowie zur Gestaltung des Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmals in Form verschiedenster Einheitsfrüchte wie Ananas, Banane, Birne (Ossietzky 16/04) keine Zustimmung der Bundesinvestoren fanden, bringe ich es nicht übers Herz, dem Leipziger Denkmalschlachtgetümmel tatenlos zuzusehen und keinen Vorschlag zu unterbreiten. Eingestanden, meiner ist von Realismus, dem sozialistischen, angehaucht, aber zweifellos könnte er die historische Bedeutung des auf ewig zu Gedenkenden eindringlich dokumentieren. Grundidee des Vorschlages ist die Darstellung des Konfliktes zwischen menschenverachtender Diktatur und unbezwingbarem Freiheitsstreben in Gestalt von zwei sich in etwa 20 Meter Entfernung gegenüberstehenden bronzenen Reliefs. Auf dem einen dominieren die Freiheitskämpfer, die in einem mächtigen Demonstrationsstrom aus dem Dunkel des Unrechts und der Unterdrückung vorwärtsdrängen. Vorbild könnte das berühmte Gemälde »Der vierte Stand« von Giuseppe Pellizza da Volpede sein, das demonstrierende Landarbeiter zeigt, die aus der Finsternis der Vergangenheit entschlossen und selbstbewußt in Richtung des Betrachters schreiten, und das Bernardo Bertolucci im Vorspann seines preisgekrönten zweiteiligen Spielfilms »Novecento« (»1900«) verwandte, womit er das Kunstwerk weltweit populär machte. Und wie auf dem Gemälde des italienischen Künstlers sollten drei lebensgroß dargestellte Personen, in unserem Fall die Revolutionsikonen Joachim Gauck, Rainer Eppelmann und Vera Lengsfeld, vormals Wollenberger, voranschreiten. Wichtig ist hier die inspirierende Siegessymbolik, wodurch die historische Exaktheit zur Nebensache wird, so auch die Tatsache, daß die drei Figuren an der Leipziger Demonstration nicht teilnahmen. Gauck, der schlau Abwägende, predigte in seiner Jugendpfarrei und war sich noch nicht sicher, welchen Lauf die Dinge nehmen würden. Eppelmann, der Wendige, betete in Berlin und sann darüber nach, wie man Schwerter zu Pflugscharen und nötigenfalls auch umgekehrt umschmieden könnte. Lengsfeld, die ewig Verbiesterte, konnte beim besten Willen in Leipzig nicht teilnehmen, denn sie kam erst aus der Verbannung in London zurück, als die Mauer – also die Würfel – gefallen waren. Wie dem auch sei, alle drei gehören aufs erste Relief.

Auf das zweite, das Gegenstück, gehören unter anderem Panzer, schwer bewaffnete Polizisten und Leichensäcke. Die inhaltliche Vorgabe, die nur noch der bildhauerischen Umsetzung bedarf, hat bekanntlich Gaucks Vor-Vorgänger Köhler gegeben, als er am 9. Oktober 2009 auf dem Festakt zum 20. Jahrestag der Leipziger Montagsdemonstration an die damalige schreckliche Lage so erinnerte: »Vor der Stadt standen Panzer, die Bezirkspolizei hatte Anweisung, auf Befehl ohne Rücksicht zu schießen. Die Herzchirurgen der Karl-Marx-Universität wurden in der Behandlung von Schußwunden unterwiesen, und in der Leipziger Stadthalle wurden Blutplasma und Leichensäcke bereitgelegt.« Diese Schilderung war zwar eine schnell platzende Lüge, aber ihre künstlerische Darstellung eignet sich prächtig, die Grausamkeit des Unterdrückungsapparates und den Heldenmut der Demonstranten zu veranschaulichen.

Die Enthüllung des Denkmals sollte der Bundespräsident vornehmen, schließlich verfügt er als Ex-Stasiaktenverwalter über exzellente Erfahrungen im enthüllenden Metier. Er könnte förmlich aus dem Demonstrationsrelief herniedersteigen, um eine seiner Freiheitsreden zu halten. Selbstverständlich käme er nicht umhin, die rasante Entwicklung Leipzigs nach der Revolution, die beeindruckende Verschönerung der Innenstadt, den Umbau des Hauptbahnhofs und dessen baldige unterirdische Verbindung mit dem Bayerischen Bahnhof oder auch die magnetische Anziehungskraft der Buchmesse zu würdigen. Tunlichst sollte er jedoch vermeiden, an die endlosen Skandale der Stadtmächtigen zu erinnern und daran, daß in der Heldenstadt innerhalb von zwei Jahren die Zahl der Industriearbeitsplätze von einst 108.000 auf 8.000 zurückging, die Arbeitslosigkeit extrem hoch ist und mehr als jeder vierte Einwohner von Armut bedroht ist.

Sollte mein Vorschlag zur Denkmalgestaltung und -enthüllung wider Erwarten nicht angenommen werden, werde ich es wohl oder übel verschmerzen müssen. Entscheidend ist, daß die Denkmalschlacht wie die Große Deutsche Friedliche Freiheitsrevolution unblutig bleibt und zu Gunsten eines Monuments entschieden wird, das das Völkerschlachtdenkmal in den Schatten stellt und der Heldenstadt zum ewigen Ruhme gereicht.