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Titel182013

Die Spuren des Lothar Bisky  (Daniela Dahn)

Mit Lothar Bisky hat uns vor allem ein liebenswerter Mensch verlassen. Vor der Zeit, wenn man das so empfinden darf. Ein Bürgerrechtler, der mit der PDS nichts am Hut hatte, sagte mir einmal: Das ist einer, den man gern als Schwiegervater hätte. Die Kunde von Biskys Menschlichkeit sprach sich, neben seinen übrigen Vorzügen, nachträglich betrachtet merkwürdigerweise immer dort herum, wo ich gerade war. Deshalb erlaube ich mir diese persönliche Rückbesinnung.

Als ich in Leipzig studierte, war meine Psychologie-Dozentin verheiratet mit einem namhaften Sexualforscher, der sein nicht eben klassenkämpferisches Fach unter dem Direktor Bisky am Zentralinstitut für Jugendforschung entfalten konnte. Dabei wurden von dieser soziologischen Einrichtung doch eher Erkenntnisse über das vorbildlich sozialistische Bewußtsein der Jugend erwartet. Als sich herausstellte, daß dies mitnichten so erfreulich war, ja immer bedenklicher wurde, landeten zum Ärger von Bisky und seinen Wissenschaftlern auf höhere Weisung viele Studien im Panzerschrank. Am Institut herrschte aber eine offene, vertrauensvolle Atmosphäre, in der es möglich war, über interne Kanäle doch eine Menge zu erfahren. Was interessierte Studenten oder Journalisten, wie ich in meiner dreijährigen Zeit beim Jugendfernsehen, zu nutzen wußten.

Als Lothar Bisky dann Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen war, erzählten die Studenten auf den Mitternachtsdiskussionen der Leipziger Dokumentarfilmwoche, wie ihr Chef mit seinem breiten Kreuz die obrigkeitliche Kritik an brisanten Passagen abwehrte und sie in seinem Windschatten weiter arbeiten ließ. Als Medienwissenschaftler hatte Bisky wohl seine eigentliche Bestimmung gefunden, hier war er ganz bei sich und hat mit seinen Dozenten eine Genration von Filmemachern auf den Weg gebracht, von denen nicht wenige die Filmlandschaft weiter prägen. Weil er ermöglicht hat, daß sie mit einem gestärkten ICH von der Schule gingen.

In dieser Kunst der Selbstermächtigung hat er sich früh geübt, ohne Hilfe, als Autodidakt. Als Flüchtlingskind in Schleswig-Holstein aufgewachsen, hatte er trotzig keine Lust, seine »Ansichten zu mäßigen«, wie ihm anempfohlen wurde. Er wollte 1959 also »abhauen, in die DDR«, weil die Zustände im Westen erkennen ließen, »daß man meinen Eigensinn bändigen wollte«. Also kletterte er durch den Zaun. Aus östlicher Sicht eine Bewegung so gegen den Strom, daß die meisten nur staunen konnten. Ich nicht. Auch meine Eltern waren bewußt von West nach Ost gegangen, und auch die meisten ihrer Freunde – Künstler, Intellektuelle. Die Enttäuschungen und Desillusionierungen setzten sofort ein und steigerten sich und konnten dennoch die Überzeugung nicht ernsthaft erschüttern, daß die westliche Ordnung keine Alternative sei. Lothar Bisky hat nicht der DDR nachgetrauert, wohl aber all den verpaßten Chancen vor, in und nach der Wende.

Es mußte etwas geschehen, um den Niedergang zu stoppen …, ich war hin- und hergerissen, … wie hätte ich das ablehnen können? So klingen seine Sätze, so haderte er mit seinem Abschied aus der Wissenschaft und seinem Verbleiben in der Politik, in der zunächst doch nur ein vorübergehendes Gastspiel geplant war. Seinen frühen Idealen verpflichtet, konnte er schwer Nein sagen. Und er sah ja auch den Erfolg. Die PDS gewann an Einfluß, im Landtag etablierte die Troika Lothar Bisky, Michael Schumann und Heinz Vietze den »Brandenburger Weg«, der die Zusammenarbeit von SPD und PDS ermöglichte. Später gelang es ihm, zusammen mit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi die Linken im Lande zusammenzuführen – vielleicht, weil er der Ostdeutsche war, der aus dem Westen kam. Doch auch Politik fressen Seele auf. Der Preis ist hoch.

2000 stieg er aus, hörte auf Ärzte, begann seine Memoiren zu schreiben. Nach drei Jahren war wieder ein Niedergang zu stoppen, er wurde rückfällig. Seine Memoiren erschienen im Rowohlt Verlag, der ihn umworben hatte. Den Lektoren war der Respekt anzumerken. Nun wurden wir Kollegen, trafen uns auf Verlagsempfängen. Nicht, daß er nicht ein wenig stolz war, aber das schien nicht seine Bühne, er blieb nicht lange.

Damals hatte ich nur den spannenden ersten Teil seiner Erinnerungen gelesen, weil ich den zweiten einigermaßen zu kennen glaubte. Erst jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, blättere ich wieder darin und stoße beschämt auf eine mich betreffende Stelle. Klar, die Idee mit der Verfassungsrichterin war von ihm und meine Kandidatur scheiterte nach wochenlanger Mediendebatte, fabelhaft, live vom Fernsehen übertragen. In einer Erklärung schrieb Bisky damals: »Sind wir schon wieder so weit, daß Denunziation kritischer Intelligenz ganz alltäglich wird?« Aber daß er sich immer noch Vorwürfe macht, mich dieser Kampagne ausgeliefert zu haben, wo er doch hätte wissen müssen, »daß ›ostdeutsch‹, ›intellektuell‹ und ›von der PDS vorgeschlagen‹ Kriterien sind, welche die heilige Familie in Rage bringt«, das hätte ich ihm gern noch ausgeredet. Nein Lothar, nachdem ich drei Jahre mit dem Vorschlag gehadert hatte, war ich, als ich schließlich zusagte, erwachsen und wollte es wissen. Genau wie du, als du für den Vizepräsidenten des Bundestages kandidiert hast. Und sie dich, ebenfalls vor laufender Kamera, drei oder viermal durchfallen ließen. Viele Rituale, in denen sie Entschlossenheit demonstrieren können, sind ihnen doch nicht geblieben – lassen wir´s gut sein.

Zumal du weiter solidarisch warst. Du hast es dir nicht nehmen lassen, demonstrativ nach Frankfurt in die Paulskirche zu kommen, nachdem die FAZ aus ihrem heftigen Unwillen gegen die Verleihung des Börne-Preises an mich keinen Hehl machte. Und nachdem klar wurde, daß die Oberbürgermeisterin und viele Offizielle nicht einmal dem Juror Jorge Semprún ihren Respekt erweisen würden, da hatte ich es der Mobilisation von dir und Diether Dehm zu verdanken, daß die Kirche dennoch gut gefüllt war. Und anschließend hattest du einen Überraschungsgast für mich, Fausto Bertinotti, damals Vorsitzender der Europäischen Linkspartei, dein Lieblingsfreund aus Strasbourg. Worüber wir sprachen? Über Medien.

Im Herzen ist Lothar Bisky immer Medienexperte geblieben. Als ich ihm vor einigen Jahren von dem Plan erzählte, eine unabhängige TV-Plattform im Internet zu gründen, ist er mir nicht mit Vorträgen über die Rolle der Bedeutung gekommen, sondern hat ganz handfest zwei wissenschaftliche Gutachten in Auftrag gegeben. Eins über die technische Machbarkeit und eins über den inhaltlichen Bedarf. Beide fielen zuversichtlich aus, ohne die Probleme zu verharmlosen. Heute freue ich mich, daß weltnetz.tv oder kontext.tv ihren Kinderschuhen entwachsen. Da gibt es vollendete Tatsachen. Und Menschen, die in seinem Sinne vollenden wollen. Lothar Bisky hinterläßt deutliche Spuren. Viel mehr ist hienieden nicht zu machen.