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Titel182013

Bemerkungen

Kenntnis vom Kriegsbeginn

Die Uhr schlägt keinem Glücklichen.
Max in Schiller (Die Piccolomini).

Irgendwie las ich mal, daß intelligente Leute oder zumindest solche, die ich dafür halte, vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht gewesen seien. Mitte August 1939 kam mein Vater etwas später als sonst zum Abendessen nach Hause, weil er nach Arbeitsschluß aus irgendeinem NSDAP-Büro etwas hatte abholen müssen. Es war in Packpapier eingewickelt und enthielt sorgfältig gestapelte Formulare.

Nach dem Abendbrot (es gab irgendwas mit Tomaten, denn mein Vater war ein Tomatenliebhaber, und er züchtete in unserem Buchholzer Kleingarten nichts wie Tomaten), sagte er, indem er das Päckchen aufriß: »Ich muß noch mal nachzählen. Das sind Lebensmittelkarten. Wenn es so weit ist, soll ich die verteilen.« Er hatte eine Liste, und ich half ihm beim Nachzählen.

»Wann ist es denn so weit?« fragte ich. »Das kann nicht mehr lange dauern«, sagte er.

Es dauerte nicht mehr lange. Vor dem 1. September 1939 hatte ich schon gewußt, daß ein Krieg beginnt.

Was ein Krieg wirklich ist, erfuhr ich erst später. Später und genauer.
Lothar Kusche


Die Propagandakompanie
Der US-amerikanische Präsident (so der Stand bei Redaktionsschluß dieses Heftes) zögert immer noch, in den Krieg gegen die syrische Regierung direkt einzugreifen. Und die deutsche Bundeskanzlerin hat auch ihre Bedenken. Da braucht es antreibenden publizistischen Einsatz, wozu in der Bundesrepublik die Leitmedien und ihre redaktionellen Lenker fast ausnahmslos freudig bereit sind.

Der Spiegel mit Titelbild und Titelgeschichte: »Giftgas vor den Augen der Welt – Massenmord in Syrien«. Die LeserInnen müssen erst gar nicht darüber nachdenken, was denn genau da geschehen und wer dafür verantwortlich ist, die Botschaft ist eindeutig: Assad ist der Giftmörder und Obama muß endlich zuschlagen. Die Folgen eines solchen militärischen Zugriffs müssen nicht bedacht werden, damit kann sich der Spiegel später mal beschäftigen.

Angriffslustig auch die Süddeutsche, da heißt es: »Kosovo-Einsatz könnte zur Vorlage für Syrien werden ..., zum Rezept für das weitere Vorgehen gegen Assad«. Kurt Kister, Chefredakteur der Zeitung, erhofft einen »Wendepunkt« in der Syrienpolitik, jetzt sei der »Zivilisationsbruch« endlich vorzeigbar, durch »das Gas vor Damaskus«. Daß »radikale Guerillos« (sic!) (chemische Waffen benutzt haben könnten, erwähnt er kurz als »denkbar«, läßt diesen Gedanken aber sofort wieder fallen, um sich dem Sturz Assads zu widmen.

Das Kosovo-»Rezept« also – aber war da nicht was? Im Archiv der SZ hätte man leicht fündig werden können, unter der Personalie »Scharping«: Der deutsche sozialdemokratische Militärminister, unter dem Beifall des grünen Außenministers, legte der Öffentlichkeit damals den »Hufeisenplan« vor, angeblich eine Vorschrift der jugoslawisch-serbischen Regierung für einen Völkermord an den Kosovaren. So sollten Zweifel ausgeräumt werden, ob denn dieser Krieg gegen Jugoslawien und die deutsche Teilnahme daran zu rechtfertigen seien.

Das »Hufeisendokument« erwies sich später als gezielte Fälschung, der ehemalige Bundeswehrgeneral Heinz Loquai legte dies offen. Da hatten die Bomber ihr Werk schon getan.
P.S.


Der Herr der Drohnen
Wenn Sie erfahren, daß der Präsident der größten Militärmacht der Welt immer öfter anordnet, Menschen in fernen Ländern per Joystick gezielt zu töten – bloß auf einen geheimdienstlich konstruierten Verdacht hin, ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren, ohne Verteidigungsmöglichkeiten –, dann empört Sie das, wie es jeden rechtlich denkenden Menschen empören muß – nicht wahr? Aber was können Sie tun?

Lassen Sie mich von einer Initiative in Berlin berichten, einer Abendveranstaltung »Der Herr der Drohnen« im Theater der »Berliner Compagnie«:
Die Schauspieler Gina Pietsch und Jean-Theo Jost trugen das Gedicht »The Lord of the Drones« von Heathcote Williams vor, in dem es über Barack Obama heißt: »Ein Mann, sich vom globalen Helden zu einem Kriminellen wandelnd, nur ein weiterer Gefangener, verstrickt in einem imperialen Netz«, und sie sangen von Tucholsky/Eisler »Einigkeit und Recht und Freiheit«, »Küßt die Faschisten« und andere Lieder. Weitere Mitwirkende waren Tereschkowa Obaid vom Afghanischen Kulturverein, der Autor Victor Grossman, Lühr Henken vom Bundesausschuß Friedensratschlag, Klaus Eichner von der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde, die in der deutschen und US-amerikanischen Friedensbewegung aktive Elsa Rassbach und Laura von Wimmersperg als Sprecherin der Friedenskoordination Berlin. Eingespielt wurden aus einer Bundestagsdebatte Beiträge der Abgeordneten Agnes Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) und Inge Höger (Die Linke), die sich vehement gegen die Anschaffung von Kampfdrohnen aussprechen – im Gegensatz zu Minister Thomas de Maizière, der die Waffe als ethisch neutral anpreist. Auszüge aus der Veranstaltung findet man unter http://www.youtube.com/watch?v=QMMju2elxXI. Ob mein Kurzbericht Sie zu weiteren Veranstaltungen anregen wird?
Elke Zwinge-Makamizile


Ausgemustert
Voraussichtlich zum 30.9. dieses Jahres wird der Oberleutnant der Bundesluftwaffe Philip Klever vorzeitig aus der Bundeswehr entlassen (s. Ossietzky 16/13 und 17/13). Die rechtliche Grundlage hierfür bildet das Bundeswehrreformbegleitgesetz respektive das Streitkräftepersonalstrukturanpassungsgesetz. Voraussetzung ist, daß die vorzeitige Entlassung im Interesse des Dienstherrn, also des Bundesministeriums für Verteidigung/Personalamt der Bundeswehr ist und daß der Betroffene, also Klever, zustimmt (was er getan hat). Offenbar hat sich die Bundeswehrführung entschlossen, einen »Quertreiber« wie den Oberleutnant Klever schnellstmöglich loszuwerden, anstatt sich, wie in den Fällen Pfaff und Rose, jahrelang 'rumzuärgern.
Red.


Hüh-hott
Peer Steinbrück, um darzutun, mit welchem Elan er – sollte er gewählt werden – die Probleme anpacken werde, hat gesagt: »Da werde ich als Kanzler die Kavallerie satteln.« Das klingt staatsgewaltig. Aber Pferdeverstand allein genügt nicht. Man muß auch reiten können.
Günter Krone


In der fernen Zukunft
sieht es, zumindest im Film, nicht anders aus, als wir es befürchten, die Menschheit ist in mindestens zwei große Klassen geteilt, die Unteren leben auf einer überbevölkerten, staubigen, schmutzigen Erde, die Oberen in einer großen grünen Raumstation im Himmel. Interessant ist, wie die Herrschenden mit der sogenannten sozialen Frage umgehen, sie »lösen« oder auch nicht. Um es gleich auf den Punkt zu bringen, dieser Film läuft nach dem Muster: Der (alte, schlechte) König ist tot, es lebe der neue (gute).

Demokratisch-sozialistisch ist von diesen Science-Fiction-Blockbustern kaum einer, denn darunter verstehe ich, daß die Masse oder besser: ein (fortschrittlicher) Teil von ihr agiert. In »Elysium« kommt das nur als Robin-Hood-Verschnitt vor, indem die Aufständischen mitkämpfen dürfen auf dem Weg des Helden in den Himmel nach »Elysium«. Der Filmheld muß dorthin, weil er bei einem Arbeitsunfall verstrahlt wurde. Und auf Elysium gibt es Maschinen, die alle Krankheiten heilen können. Die Firma, in der er arbeitet, erinnert mich an meine Zeit als Student bei Daimler am Fließband ...

Der neudeutsch »Subtext« des Films – sagen wir mal seine heimliche Ideologie – ist das »Happy-End«: zum einen der leider nicht aus der Mode kommende Heldentod, zum anderen der neue »König« von Elysium, der die Medizinschiffe nach der digitalen Eroberung der Macht auf die Erde schickt.

Nun, stellen wir uns das mal realistisch vor: Von dieser kleinen Raumstation, dem Paradies am Himmel, werden ein paar medizinische Rettungsschiffe mit Wunderheilungsmaschinen an Bord auf die Erde geschickt. Was würde passieren? Erstens: Ansatzweise sehen wir, daß diese Schiffe Platz für vielleicht 20 schwerkranke Menschen haben. Wie viele Fälle gäbe es wohl auf einer überbevölkerten verseuchten Erde? Man kann sich das Chaos ausmalen.

Aber noch besser: Was wären die Folgen: ein Zuwachs der Bevölkerung, eine Steigerung der Verteilungskämpfe? Der neue Regierungschef von Elysium wird nicht so dumm sein, alle Erdenbewohner zu sich in den »Himmel« einzuladen. Also: Jedem, der das Kino verläßt, muß klar sein, daß es so nicht gehen kann. Gehen kann es nur über eine strukturelle Veränderung der Verhältnisse, der Ökonomie, der Produktionsweise, der Lebensweise. Das liegt aber jenseits von Hollywood, und noch weiter weg als der Himmel ...

Freilich, die Vorstellung einer freien medizinischen Versorgung und Behandlung, es muß ja nicht gleich eine Wunderheilungsmaschine sein, gewinnt auch bei uns an Brisanz, nicht nur im Heimatland des Hollywood-Films.

Da Wahlkampf ist, stellen wir uns mal die Antworten der Parteien auf unser Problem vor. Die CDU/CSU will selbstverständlich nichts ändern, die FDP ist der Meinung, daß sowieso schon genügend Leistungsträger im Himmel sind, die anderen interessieren sie nicht, die SPD ist dafür, den Unteren auch eine Chance zu geben, vielleicht wie im alten China, daß jedes Jahr ein Examen abzulegen ist, und von denjenigen, die die Prüfung bestehen, dürfen jeweils fünf in den »Himmel«. Die Grünen legen Wert darauf, daß das nach allen Seiten gut durchquotiert wird und die Neuen nicht den grünen Rasen versauen, die Linke möchte gern daran beteiligt werden.
Wolfgang Haible

»Elysium«, Regie Neill Blomkamp, mit Matt Damon und Jodie Foster


Erhebung zur Lehrergesundheit
Die hessische Schulbürokratie hat der Lehrerschaft vor einer Weile freundlich nahegelegt, an einer »online-gestützten landesweiten Befragung« teilzunehmen. In »Kooperation mit dem hessischen Kultusministerium« eruieren die Abteilungen für Klinische Psychologie und für Arbeitspsychologie der Universität Gießen »Belastungen« und »Wohlbefinden« der heimischen Lehrkräfte.

Dabei geht es nicht nur um zu große Klassen oder überfrachtete Lehrpläne. Erhoben wird zum Beispiel auch, ob man Single ist, Kinder hat, »in Trennungsphase« lebt, eine gute Ehe zu führen und seine Ziele zu erreichen glaubt, sich von Kolleginnen oder Freunden unterstützt findet und sich finanziell abgesichert fühlt. Wissen wollen die Psychologinnen außerdem, ob man problemlösungsfähig und stolz auf sich ist oder die Bedeutung der eigenen Arbeit bezweifelt und sich ausgebrannt vorkommt. Gefragt wird, wie es um eigene Schuldgefühle, Versagensängste und Selbstvorwürfe, Reizbarkeit, Konflikte und Selbstmordgedanken steht. Außerdem soll man Trinkgewohnheiten, Verdauungsschwierigkeiten, Angstattacken, Menstruationsbeschwerden und Probleme beim Geschlechtsverkehr offenlegen.

Manche Lehrer/innen werden vielleicht Fragen nach gewissen systemimmanenten Belastungsursachen vermissen. Andere werden angesichts der erfragten intimen oder heiklen Sachverhalte schlucken, dann aber denken, die Beantwortung sei kein Problem. Schließlich haben die beiden federführenden Professorinnen in ihrem Anschreiben versichert: Da nicht nach »Name, Adresse u.ä.« gefragt werde, könnten die erhobenen Daten »weder einer bestimmten Schule noch einer bestimmten Person zugeordnet werden«. Doch darf man sich auf diese Aussage verlassen?

Beim Aufrufen der Umfrage-Website übermittelt man automatisch die eigene IP (= individueller Internetab-sender) und den unverwechselbaren »Browser­Fingerprint« (durchs notwendigerweise aktive Javascript). Gespeichert werden sodann Angaben zu Geschlecht, Alter, Berufsjahren, Schulart, Schulbezirk und Dienstverhältnis. Zusätzlich plaziert der Website-Betreiber auf den Computern der Umfrage-Teilnehmerinnen sogenannte Cookies. Das alles zusammen könnte die Anonymität des einzelnen durchaus zunichte machen.

Beunruhigend wirkt auch der Umstand, daß bei der Internetadresse, die die Professorinnen für die Lehrerbefragung bekanntgegeben haben, alle Antworten unverschlüsselt übermittelt werden, also unbefugt mitlesbar sind.
Das Kultusministerium hat gegenüber der Lehrerschaft eine Fürsorgepflicht – auch und gerade, wenn eine fremde Firma heikle personenbezogene Lehrerdaten erfaßt. Sollte tatsächlich niemand auf die Idee gekommen sein, im Vorfeld den Landesdatenschutzbeauftragten zu Rate zu ziehen, damit er einen kritischen Blick auf Inhalt und Code der Umfrage-Website wirft und den Vertrag prüft, den die Psychologinnen wegen der Datenverarbeitung doch sicherlich mit der die Website betreibenden GmbH abgeschlossen haben?

Vorsicht: Wer die zugrundeliegende Domain http://unipark.de aufsucht, wird auf unipark.info umgeleitet. Dabei werden die eigenen Internetdaten (IP, Browser-Fingerprint und gegebenenfalls Konzern-Cookie) automatisch an den Google-Konzern durchgereicht. Datenschutz ist vielleicht wirklich nicht die oberste Priorität dieser mit »Datensicherheit« werbenden QuestBack GmbH.

Ob Lehrer/innen die Umfrage unter solchen Umständen wohl mit ehrlichen Antworten bedenken? Zweifelhaft könnte die Aussagekraft der Erhebung am Ende auch deshalb sein, weil offenbar neben der umfragerelevanten Berufsgruppe unkontrolliert jeder mitmachen und die Ergebnisse beeinflussen kann. Schade.
Irene Denk

Zur Umfrage: ww3.unipark.de/uc/
Lehrergesundheit_Hessen/



Wanderer, kommst du nach ...
Daß die brandenburgischen Orte Großbeeren und Dennewitz in deutsche Geschichts- und womöglich in manche Schulbücher geraten sind, ist einem der vielen Zufälle zuzuschreiben, die sich gleich oder ähnlich auch in anderen Gegenden Deutschlands zutrugen. Es lagen Dörfer am Wege einer militärischen Streitmacht, die eben dort auf eine andere, die gegnerische, traf. Und es begann das Hauen, Stechen, Schlagen und später dann auch Schießen, also eine Schlacht, im minderen Falle nur ein Gefecht oder Scharmützel. Bei den beiden Ortschaften stießen im Sommer 1813 französische Armeen, die Berlin wieder erobern sollten, das sie vor den heranrückenden Russen Monate vorher verlassen hatten, mit den sie erwartenden Verteidigern zusammen, bestehend aus Preußen, Russen und Schweden. In beiden Schlachten wurden die Franzosen und deren Kollaborateure, die in ihren Reihen kämpfenden Kontingente aus deutschen Staaten, geschlagen und zur Umkehr gezwungen. Berlin war vor erneuter Besetzung und Besatzung gerettet. Das ergab hinreichenden Grund, sich der Ereignisse wieder und wieder zu erinnern.

Zwei einst Berliner Historiker, das Ehepaar Evamaria und Gerhard Engel, die es in der Nachwendezeit in die Gegend verschlagen hat, nahmen sich mit dem Blick auf den 200. Jahrestag des Geschehens und seines Hergangs an und präsentieren ihre Arbeitsergebnisse in einer Sonderausstellung in der Dorfschule zu Wünsdorf, die ihrem ursprünglichen Zweck nicht mehr dient, sondern die sich der Kreis Teltow-Fläming als Kreismuseum leistet. Für die Exposition haben die Historiker mit nahezu kriminalistischem Gespür das Kreisgebiet im wahrsten Wortsinn durchmustert, sich in Kirchen umgesehen, Gedenksteine in Orten, an Wegen und auf Friedhöfen inspiziert, selbst nach letzten baulichen Resten von Verteidigungsanlagen und -stellungen aus jenem Jahr gefahndet, eine Masse von alten lokalen Zeitungen und Blättern durchgesehen und sich selbstredend der reichlichen Literatur, verfaßt von ihren Vorgängern, bemächtigt. Ihr Interesse galt gleichermaßen den Abläufen des Jahres 1813 wie der Erinnerung, die diesen in sechs Staaten, erst dem preußischen Königreich, danach dem deutschen Kaiserreich, später der Republik, dann im Nazireich, schließlich im Staate DDR und in der Bundesrepublik zuteil wurde. Stets aus wie auch immer verpacktem politischem Interesse. So ist in Zusammenarbeit mit dem Hausherrn eine sehenswerte Schau entstanden, zwar vorwiegend aus der bei Museologen nicht eben geschätzten Flachware bestehend, die aber, von einer versierten Fachfrau hergestellt, durch Gestaltung, Farbe und Aussage gefangen nimmt. Dazu hat ein Pfarrer aus seiner Kirche eine jener wenigen erhaltenen hölzernen Tafeln ausgeliehen, die auf Befehl König Friedrich Wilhelm III. zur Erinnerung an die Kriegstoten in allen preußischen Gotteshäusern anzubringen waren. Wem, was er da an wiedergegebenen Gemälden, alten und neuen Fotografien, Textdokumenten und sachkundigen Kommentaren der Ausstellungsmacher lesen und betrachten kann, nicht ausreicht, der kann ein Heft erwerben, das noch ausführlichere Informationen enthält und es getrost nach Hause tragen. Also: Wanderer, kommst du nach Wünsdorf, es muß nicht vollends zu Fuß sein, denn dahin fährt stündlich und rasch ein Regionalzug aus der Mitte der Bundeshauptstadt, spendiere eine gute Stunde für einen Besuch dieser Ausstellung.
Kurt Pätzold

Evamaria und Gerhard Engel: »1813 – 2013. Befreiungskrieg im Landkreis Teltow-Fläming. Kriegsereignisse und Gedenkkultur«, Projekt + Verlag Dr. Erwin Meißler, 96 Seiten, 5 €;
Ausstellung bis 20. Oktober im Museum des Teltow, Wünsdorf, Information unter
www.museum.teltow-flaeming.de


Berlin – Wladiwostok per Rad
Nikolai, mein Gastgeber, zeigt mir Ufas neueste bauliche »Errungenschaften«, den Gostiny Dwor (Gasthof), ein modernes großzügig angelegtes Shoppingzentrum, und führt mich durch den fast menschenleeren Leninpark zu einem schicken Café. Neben der Statue von Salawat Julajew, dem baschkirischen Nationalhelden, bittet man mich in einer Gastronomiejurte um einen Eintrag ins Gästebuch; und nachdem er ein Foto von mir hat, läßt mich ein Busfahrer umsonst mitfahren, so beliebt sind hier Fremde. Ich streife herum, fotografiere die zerfallenden Holzhäuser im Zentrum, die einmal das Stadtbild prägten und in denen nun Obdachlose leben, spaziere durch den Volkspark Iwan Jakutow mit seinen Spieleattraktionen und kaufe Kuchen. Dazu trinke ich Kwaß, der teils aus Tanks verkauft wird. Ljudmila, eine Kwaßverkäuferin erzählt: Sie stehe hier täglich zwölf Stunden für einen Verdienst unter 200 Euro im Monat, dazu eine Stunde Anfahrt. Die Tochter stehe, das gleiche Los, zwei Ecken weiter. So bestreiten sie den Lebensunterhalt von vier Personen. Der eigene Mann sei im Suff erschlagen worden, kein Einzelschicksal, ergänzt sie, in ihrem Umfeld gebe es einige Männer, die sich morgens zum fröhlichen Beisammensein in männlicher Gesellschaft versammeln, während sich die Frauen zur Arbeit trollen.

Der Ural, das sind meist kilometerlange Anstiege/Gefälle, die ich gerade so bewältige. Mitten in dieser Region hatte ich mein Tagespensum erreicht, bei Satka. An einem Abzweig zu der kleinen Metallurgenstadt frage ich eine Gesellschaft fröhlich Feiernder nach dem Weg und werde nicht mehr losgelassen. Alkohol darf ich nicht trinken, weil eine pensionierte Polizistin dabei ist. Mit einem Konvoi fahre ich in Satka ein: »In diesem Haus wirst du schlafen!« Dort wohnen drei betagte Damen: »Die Banja mußt Du Dir selbst anmachen«, sagt eine. Als das Feuer brennt, erklärt sie mir, daß es schön wäre, wenn ich ein paar Tage bliebe und die Tragebalken der Sauna erneuern könnte. Meine Ablehnung fällt mir schwer, denn an diesem Haus, an diesem Ort wird das Schicksal einer ganzer Regionen ersichtlich: der Verfall ländlicher oder ehemals industrieller Ansiedlungen.

Mit 64 Kilometern pro Stunde rolle ich nach Asien ein, immer hoffend, daß Straße und Autofahrer kein Bremsmanöver veranlassen. Beschwerdefrei komme ich nach Tscheljabinsk. Und wieder eine Sauna beim Empfang in einem komfortablen Haus am Strand des Smolino-Sees. Es ist das Haus der Eltern der »couchsurferin« Anja, die mir den Arbat, den Moskau nachgestalteten Künstlerboulevard zeigt, wo ich mich mit der Referentin für deutsche Kultur treffe, sie arbeitet im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung.

Die Folgen des Meteoriteneinschlags vom Februar scheinen beseitigt, die Leute erzählen nur noch davon. Von Tscheljabinsk führt mich mein Weg nach Schumicha, ins Hotel, die junge Frau an der Rezeption checkt erstmals einen Ausländer ein. Sie ist couragiert: In der Nacht setzt sie einen Hotelgast kurzerhand vor die Tür, da er die Gäste durch seine poltrige Art nicht schlafen läßt.

Auf dem letzten Streckenabschnitt nach Kurgan treffe ich Weltenradler Pavel Grachek, der sich Paul (amerikanische Aussprache) nennt und seine Lektion gelernt hat. Wiederholt weist er auf seine Website hin, als Extremsportler könne sich nur behaupten, wer immer wieder präsent ist. Eine furchtbare Vorstellung!
Uwe Meißner


Upton Sinclairs Renaissance
Noch vor einem Jahr mußte ich schreiben, daß hierzulande dem an Upton Sinclairs Roman »Öl!« Interessierten nur das Antiquariat bleibe (Ossietzky 9/12). Jetzt hat mit dem Manesse-Verlag ein Editionshaus sich dieses herausragenden Werks amerikanischer Literatur des 20. Jahrhunderts angenommen, von dem die wenigsten Liebhaber klassischer Weltliteratur es erwartet haben dürften. Doch die Zeiten ändern sich. Wohl bleibt Manesse der Verlag der Bibliothek der Weltliteratur, in der deren Klassiker mehrheitlich in Erst- oder Neuübersetzung erscheinen, zugleich aber stehen heute auch Klassiker der Moderne zunehmend im Blick des Verlages. Dabei bildet, wie Verlagsleiter Horst Lauinger in einem Interview sagte, nicht die literaturhistorische Relevanz eines Autors das Kriterium, sich ihm zuzuwenden, »sondern die Aktualität eines Textes für die Gegenwart«.

Und die ist bei Sinclairs grandiosem Roman »Öl!« aus dem Jahr 1927 wahrlich gegeben. Ilja Trojanows Wertung im Nachwort, daß »kein Roman ... die inhärente Gewalt und die unbegrenzte Gier unseres Wirtschaftssystems so eindringlich ab(bildet) wie Upton Sinclairs Roman ›Öl!‹« trifft das Wesen dieses Buches genau. Tatsächlich ist »Öl!« weitaus mehr als die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines kalifornischen Ölproduzenten. Sinclair zieht den inhaltlichen Bogen seines Grundthemas, den gnadenlosen Konkurrenzkampf der Ölbarone, sehr weit – bis zur Invasion der US-Armee 1918 in Sibirien gegen die russische Revolution und bis zur gnadenlosen Verfolgung der Kommunisten in den frühen zwanziger Jahren der USA. Nun also ist dieser, aus Sicht seines Autors »sozialistische Roman« in neuer Übersetzung und hochwertiger Ausstattung (Leineneinband, illustrierte Vorsätze) dem deutschen Leser wieder zugänglich. Ein besonderes Lob verdient die Übersetzung von Andrea Ott, die die Lektüre des Buches wahrlich zu einem Lesegenuß werden läßt.

Die Wiederkehr Upton Sinclairs in die deutschen Buchhandlungen beschränkt sich erfreulicherweise nicht nur auf seinen Roman »Öl!«. Einen weiteren Klassiker des kapitalismuskritischen Autors edierte zur Leipziger Buchmesse der Züricher Europa Verlag – Sinclairs berühmten Chicago-Roman »Der Dschungel«. Im Unterschied zur neuen »Öl!«-Edition liegt der »Dschungel« nicht in einer Neuübersetzung vor, sondern in der von Ingeborg Gronke 1974 für den Aufbau-Verlages besorgten Fassung. Auch das Nachwort von Karl-Heinz Schönfelder zur damaligen DDR-Ausgabe hat der Verlag dieser neuen Edition als »Zeitdokument« beigegeben. In einem »Nachwort zum Nachwort« kündigt der Verlag an, daß er weitere Werke Sinclairs zu publizieren gedenke, dabei sei dann »auch eine Neuedition/Neuübersetzung angedacht. Zunächst wollten wir aber die spannende Edition von Ingeborg Gronke wieder dem Leser zugänglich machen.« Bleibt zu hoffen, daß diese Ausgabe von Upton Sinclairs erstem Welterfolg erneut viele Leser findet, hat doch auch dieser Roman seine Aktualität nicht verloren. Man denke nur an die Gammelfleisch-Skandale vergangener Jahre, vor allem aber an die knallharten Ausbeutungsverhältnisse in der deutschen Fleischindustrie von heute.
Edmund Schulz

Upton Sinclair: »Öl!«, Manesse Verlag, 757 S., 34,95 €; Upton Sinclair: »Der Sumpf«, Europa Verlag, 415 S., 24 €



Bild-Geschichte
Nun ist die »Bewältigung« der hitlerdeutschen Vergangenheit mit einem Paukenschlag abgeschlossen: »Derricks SS-Kiste aufgetaucht!« meldet Deutschlands auflagenstärkste Zeitung in großer Aufmachung auf der Titelseite. In dem Behälter seien ein abgewetztes Bajonett, ein Verwundetenabzeichen und die Tappertsche militärische Erkennungsmarke gefunden worden; aus der habe ihr Inhaber die SS-Rune entfernt. Bild bietet dafür auch gleich eine Erklärung an: »aus Angst vor einer Hinrichtung im Falle einer Gefangennahme«. Diesem drohenden Finale ist der spätere Fernsehkommissar entgangen, und so folgte dem Dienst in der Waffen-SS eine Weltkarriere – wie das Schicksal so spielt.
M. W.


Zuschrift an die Lokalpresse
Frau Merkel hat, wie die Berliner Tageszeitungen berichten, im Berliner Schliemann-Gymnasium den Unterricht im Spezialfach Mauerkunde übernommen und damit ein Zeichen gegen den Lehrermangel gesetzt. Ich finde, dieses Beispiel sollte nicht nur in der Schule Schule machen! Hätte der Verkehrsminister Ramsauer nicht als Lokführer oder Fahrdienstleiter in Mainz einspringen können? Stimmt es, daß der Innenminister Sicherheitsdienst auf dem Alex übernommen hat? Ist Umweltminister Altmaier bereit, sich bei der Befestigung der vom Hochwasser besonders gefährdeten Flußläufe körperlich zu betätigen? Ich finde, für alle Minister und Staatssekretäre sollte man – gerade vor den Bundestagswahlen – Einsatzmöglichkeiten schaffen, damit sich Politiker auch einmal als Leiharbeiter bewähren können. – Hedwig Lohmüller (72), Hausgehilfin, 07907 Wüstendittersdorf
Wolfgang Helfritsch


Welträtsel
Eine geheimnisvolle Verknüpfung verschiedenartiger Wünsche und Sehnsüchte offenbart diese Zeitungsanzeige, die ich schon vor Jahren ausgeschnitten und eingerahmt habe:
»Wer poliert Möbel auf? Suche Zinkbadewanne, normale Größe, u. ein Bild, Größe 75 x 100 cm, kein Stilleben.«

Weshalb ist die Größe des gewünschten Bildes so genau vorgeschrieben? Mag sein, die Aussicht des Inserenten ist denkbar schlecht, und nun will er sich endlich ein Bild vors Fenster nageln.

Dann kann er sich ungeniert auskleiden, in die Zinkbadewanne, normale Größe, setzen, das Bild, kein Stilleben, 75 x 100 cm groß, betrachten und in aller Ruhe und gründlich über die brennende Frage nachdenken: Wer poliert Möbel auf?
Felix Mantel