Die Tagungen, Bücher, Artikel, Veranstaltungen und Ausstellungen zum Thema »100 Jahre Erster Weltkrieg« sind kaum mehr überschaubar. Briefe, Fotos, Tagebücher werden ins Internet gestellt; alles zur Kenntnis zu nehmen, ist schier unmöglich. Schon lange nicht wurde zwischen HistorikerInnen, aber auch in der deutschen Öffentlichkeit so viel gestritten, wie über die Ursachen und die Auslösung des Ersten Weltkrieges. Die von HistorikerInnen aufgespürten oder vermuteten Gründe sind vielfältig und spekulativ. Auch sie füllen 100 Jahre später ganze Bücherschränke.
Nach dem Krieg erinnerten in (fast) allen deutschen Städten und Gemeinden Denkmäler und Tafeln mit langen Namensreihen an die im Krieg umgekommenen »Kameraden«. Pfarrer vieler Gemeinden gedenken bis heute jährlich zum Volkstrauertag vor den Kriegerdenkmälern der gefallenen »Helden« und beten mit ihren Gemeinden für sie. Schließlich waren sie »Mit Gott für König und Vaterland« zu Tode gekommen.
Ein etwas anderes Denkmal weihte die Gemeinde Kelsterbach am 11. März 1928 am Mainufer der hessischen Kleinstadt unter großer Beteiligung der Bevölkerung ein. Die Kelsterbacher Zeitung hatte im Oktober 1924 einen Aufruf veröffentlicht, der die Einwohnerschaft bat, Geld für ein Denkmal zur Erinnerung an die 120 im Ersten Weltkrieg gefallenen Kelsterbacher Soldaten zu spenden. Ein Ausschuß sammelte schließlich Spenden für ein Denkmal, »das Leid und Trauer von Front und Heimat treffend verkörpert und gleichzeitig als dringende Mahnung unseren Kindern und Kindeskindern vor Augen steht«. Den Zuschlag bekam der Bildhauer Martin Henrich aus Schwanheim für einen für seine Zeit ungewöhnlichen Entwurf einer »Trauernden Frau«. Nun mag man der Meinung sein, daß es auch nicht besonders phantasievoll sei, Frauen immer nur als Opfer, als bedauernswerte Witwen oder als Mütter, die ihre Söhne »verloren« haben, darzustellen. Schließlich unterstützten auch Frauen den durch die Männer geführten Krieg an der sogenannten »Heimatfront« als versorgende Helferinnen.
Dennoch, es war ein Denkmal, das vor weiteren Kriegen mahnen sollte. Auf den Sockel des Denkmals meißelte der Bildhauer den Spruch: »Den Opfern des Weltkrieges 1914 bis 1918«. In die Urkunde, die in das Denkmal eingelassen wurde, war die »ernste Mahnung an die zivilisierte Menschheit mit dem Ausspruch ›Nie wieder Krieg’« eingeschrieben. Die »Trauernde Frau« stand nur acht Jahre am Ufer des Mains. Heute steht sie auf dem Kelsterbacher Friedhof. Die Nazis verbannten sie dorthin, weil ihrer Ansicht nach die Figur die Leiden des Krieges betonte und nicht den »Heldentod« verherrlichte. Schließlich sollte den Männern bald erneut eingetrichtert werden, sie müßten ihre Frauen und Kinder in der Heimat beschützen, während Frauen wieder die Rolle der sozialen Wesen und versorgenden Helferinnen an der »sozialen Front« einnehmen sollten.
Auch der acht Meter hohe »Obelisk«, der mit Pomp und Marschmusik am 30. Mai 1937 vom damaligen NSDAP-Ortsgruppenleiter und zugleich Bürgermeister Karl Busch eingeweiht wurde, stammt aus der Werkstatt des Schwanheimer Bildhauers Martin Henrich. Er nahm nun die Stelle der »Trauernden Frau« am Mainufer ein. »Unseren Toten zum Gedenken«, hatte er nun als Inschrift gewählt. Gewidmet ist es nicht mehr den Opfern des Weltkrieges, sondern »den Helden des großen Krieges 1914 bis 1918«. Die ursprüngliche Bedeutung hatte der Künstler offensichtlich vergessen oder verdrängt. Der Bürgermeister soll sich bei seiner Rede darüber beklagt haben, daß nicht alle Kelsterbacher Bürger zur Ehrung der »Helden des großen Krieges« gekommen waren, ja daß sie sogar »über unnötige Geldausgaben« debattiert und geschimpft hätten. Vielleicht waren sie bereits 1928 dabeigewesen und hatten immer noch genug von den Opfern »für ihr Heimatland«.
Am Tag des offenen Denkmals 2013, der unter dem Motto »Jenseits des Guten und Schönen – Unbequeme Denkmäler« stand, führten der Stadtarchivar und ein Oberstudienrat des Ortes zu beiden Denkmälern. Für sie war die Frage des Umgangs mit den Denkmälern nicht geklärt. »Sollen sie erhalten werden oder einfach nur dem Zahn der Zeit überantwortet werden?«, war eine Frage, die am Denkmaltag angestoßen wurde. So entzog man sich der Positionsbestimmung anläßlich der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen.
Gisela Notz ist Historikerin und Sozialwissenschaftlerin, und soeben ist der von ihr herausgegebene Kalender 2015 Wegbereiterinnen XIII erschienen. Der Wandkalender im Format DIN A 3 präsentiert zwölf bemerkenswerte Frauen aus der Geschichte. Bezug für 14,50 € zzgl. 4,90 € Versandkosten unter: www.agspak-buecher.de. Der nächste »Tag des offenen Denkmals« findet am 14. September 2014 unter dem Motto »Farbe« statt.