Spuk-Propaganda
Der mediale Druck auf die deutsche Regierung, gegen den »Islamischen Staat« auch militärisch tätig zu werden, war enorm. Die Leitmedien, von der Bild- und Welt-Gruppe bis zur F.A.Z., waren sich wieder einmal einig im Aufruf, »drohenden Völkermord« mit deutschen Waffen zu verhindern, und Joseph Fischer, auch im fortgeschrittenen Alter stets kämpferisch, wurde als Experte präsentiert. F.A.Z.-Redakteur Jasper von Altenbockum, eigentlich für Innenpolitik zuständig, beklagte die Zögerlichkeit des deutschen Außenministers in dieser Sache, es mangele nicht nur ihm immer noch an weltpolitischem »Verantwortungsgefühl«, so wie auch beim Umgang mit dem Konflikt in der Ukraine. Die Bundesrepublik, so der Tenor, müsse sich endlich ihrer »pazi-fistischen Altlasten« entledigen, offensiv »westliche Werte« durchsetzen.
Was ist zu tun gegen den terroristischen »Islamischen Staat«, der im Irak und in Syrien sich ausbreitet? Wo liegen die Herkünfte dieser politischen Bewegung? Rainer Hermann, Nahost-Mitarbeiter der F.A.Z. erklärte es uns: Bei den Assassinen, also im 11. bis 13. Jahrhundert – und »heute haben die Araber die Wahl, ob sie in einer solchen Zeit leben wollen oder im 21. Jahrhundert«. Eckart Fuhr von der Welt beschrieb die jetzt Schrecken verbreitende IS-Organisation als »irre Kraft mit gespenstischer Zielstrebigkeit«. Die »Islamisten«, proklamierte er, »stellen sich zur Schlacht«; nun müsse »dem Spuk ein schnelles Ende bereitet werden«. Er setzte auf deutsche Waffenhilfe für die Kurden, ihnen attestierte er einen erfreulich »archaischen Freiheitsdrang«, der »Ordnung« schaffen könne, seine einstige eifrige Karl-May-Lektüre habe ihn zu dieser Bewertung gebracht.
Solcherart Expertise ist dazu geeignet, lästige Überlegungen zu den Entstehungsumständen derzeitiger islamistischer Gewalt ebenso beiseite zu räumen wie die Frage nach den Gründen und möglichen Effekten westlicher militärischer Interventionen.
Ein historischer Rückblick wäre dabei durchaus nützlich, wenn er es nicht beim Mittelalter beläßt.
Weshalb denn rief seltsamerweise Kaiser Wilhelm II. im Jahre 1914 die muslimischen Völkerschaften zum Dschihad auf? Was trieb vorher schon das Deutsche Reich an, die Bagdad-Bahn zu bauen? Um sentimentale Gefühle für das Wohlergehen arabischer Menschen hat es sich dabei nicht gehandelt. Es ging um geopolitische Strategien und ökonomischen Gewinn. Nicht anders war es auf Seiten der britischen und französischen Politik im Nahen Osten nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Westliche – untereinander konkurrierende – machtpolitische Interessen schufen jene Staatsgebilde in Mesopotamien, denen damit dauerhafte innere Konflikte eingepflanzt waren, heute wieder explosiv hervortretend. Ethnischer und konfessioneller Streit war einkalkuliert in den Herrschaftsplänen der externen Machtinteressenten.
Ein Politikmuster, das der Westen hinter sich gelassen hat? Beim Krieg gegen Saddam Hussein, bei der Förderung islamistischer Warlords durch westliche Geostrategen, beim Umgang mit dem Assad-Regime in Syrien, bei dem immensen und andauernden Transfer von Rüstungs-»Gütern« des Westens in die Nahost-Region – war und ist da der fromme Wunsch nach Menschenrechten für eine gequälte Region das leitende Motiv?
Eine aktuelle Politik, die solche Fragen erst gar nicht zulassen will, wird dem Gewaltgeschehen im Nahen und Mittleren Osten kein Ende machen, auch nicht islamistischem Terror.
A. K.
Ei, ei, Eid
Die von der EU beschlossenen und von der Bundesregierung mitgetragenen gegen Rußland verhängten Sanktionen wecken bei manchen Menschen Ängste. Wirtschaftsfachleute befürchten verlustreichen Abbruch von Geschäftsbeziehungen, massenhaften Wegfalll von Arbeitsplätzen und dergleichen mehr. Nichts davon wird eintreten. Schließlich haben alle Mitglieder unserer Bundesregierung bei Amtsantritt unter Anrufung des lieben Gottes nach Grundgesetz Art. 64 und 56 geschworen, ihre »Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden« zu wollen. Und diesen Amtseid nehmen sie nicht weniger ernst als ihre Wahlversprechen.
Günter Krone
Brandlegung
Der Konflikt in der und um die Ukraine geht weiter, die Auseinandersetzung damit in der deutschen Öffentlichkeit auch, die Leitmedien haben es bisher nicht geschafft, ihre Position zur herrschenden Meinung im Publikum zu machen. Da kommt ein Sammelband gerade richtig, in dem Informationen und Argumente zum Thema geboten werden, unterschiedlich in der Herangehensweise, übereinstimmend jedoch in der Opposition zur Kriegstreiberei.
Ossietzky-LeserInnen finden etliche Autoren dieser Zeitschrift im Buch vertreten. Ein Schwerpunkt der Beiträge liegt in der Kritik jener Deutungen der Ukraine-»Krise«, die uns Tag für Tag aus redaktionellen Zentralen aufgedrängt werden.
M. W.
Peter Strutynski (Hg.): »Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine, Rußland und der Westen«, PapyRossa Verlag, 216 Seiten, 12,90 €
Ein Dachbodenfund
Selbst der eingefleischte Bücherfreund kennt das: Man kauft ein Buch und nimmt sich vor, es in den nächsten Tagen zu lesen. Doch dann liegt es zunächst unbeachtet im Bücherregal, ehe es unter weiteren Neuerwerbungen langsam aus dem Blickfeld verschwindet. Erst bei fälligen Renovierungs- oder Aufräum-arbeiten gerät es wieder ans Tageslicht. Da tauchen plötzlich ungeahnte Schätze auf. Am überraschendsten sind solche Funde, von deren Existenz man überhaupt keine Ahnung mehr hatte. Plötzlich könnte man stundenlang darin schmökern, daß man darüber fast das Renovieren oder Aufräumen vergißt.
Neulich machte die Anschaffung eines neuen Fernsehers den teilweisen Abbau meiner Bücher-Regalwand erforderlich. Anders ließen sich die Kabel nicht ordentlich verlegen. Neben peinlichen Staubfusseln stieß ich auch auf einige dieser unvermuteten Fundstücke. Darunter einen Atlas: »Eduard Gaeblers Handatlas über alle Teile der Erde«, gedruckt 1929 in Leipzig.
Neugierig blätterte ich darin und vertiefte mich in die farbigen Kontinental- und Länderkarten. Ja, vor knapp 90 Jahren sah die Welt noch ganz anders aus. Afrika und Asien waren weitgehend in Kolonien aufgeteilt, und auch Osteuropa hatte noch ein ganz anderes geographisches Gesicht.
Ich konnte mich noch erinnern, daß ich den Atlas vor einigen Jahren als »Dachbodenfund« bei
eBay ersteigert hatte. Jetzt erst wunderte ich mich darüber, daß das Kartenwerk trotz des Alters noch in einem außergewöhnlich guten Zustand war: keine Eselsohren, keine Knicke und Flecken, wie frisch aus der Druckerei. Die oder der Vorbesitzer müssen ebenfalls Bücherliebhaber gewesen sein.
Nur auf einer doppelseitigen Karte des ehemaligen Polen fand ich einige häßliche Eintragungen und die ausgerechnet mit einem Blaustift, der jedem Radiergummi standhält. Mein Ärger verflog jedoch schnell, als ich begriff, daß hier jemand im Frühjahr 1945 den Rückzug der faschistischen Wehrmacht markiert hatte. Sofort mußte ich an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges denken, an Luftangriffe, Zerstörung, Flucht, Vertreibung und Holocaust.
Mit welchen Gefühlen hatte der Vorbesitzer die Rundfunkmeldungen und Zeitungsnachrichten verfolgt und die sich ständig verändernden Frontverläufe eingezeichnet? War es vielleicht ein Kind gewesen, eine besorgte Mutter oder jemand, der mit dem nicht wieder rückgängig zu machenden Blaustift den Durchhalteparolen der Faschisten keinen Glauben mehr schenkte?
Nachdem das Bücherregal samt Fernseher wieder aufgebaut war, verschwand der Atlas allerdings nicht wieder in der hintersten Reihe. In den nächsten Tagen nahm ich ihn noch öfters zur Hand und versuchte, mich in seine unbekannte Geschichte zu vertiefen.
Manfred Orlick
Unwort des Jahrhunderts
Auf unseren Friedhöfen gedenken wir der »gefallenen« Soldaten aus mindestens zwei großen Kriegen. Die Tafeln an den Kirchenwänden nennen die Namen der Toten – die Lebensdaten wurden gelöscht, um Platz zu schaffen für weitere Namen. Auch, um das jugendliche Alter zu verschleiern?
Mein Vater liegt unter einer Birke im Kursker Bogen begraben, der meines Mannes in Shitomir. Beide »gefallen für Volk und Vaterland«.
Wieso »gefallen«? Wer gefallen ist, steht wieder auf. Er klopft, sich den Sand von der Hose oder versorgt vielleicht das aufgeschürfte Knie, in Kürze ist der Kratzer verheilt.
Wieso gefallen »für das Vaterland«? Wieso überhaupt »für« etwas? Man fällt, wenn man stolpert. Kein Mensch fällt
für etwas. Auch nicht, um nützlich zu sein oder um jemandem eine Freude zu bereiten. Höchstens ein Clown.
Was für ein Widersinn.
Wer hat diese Bezeichnung gefunden für den grausamen Tod im Kriege auf dem sogenannten Feld. Sie verschweigt nicht nur die Wahrheit, sie beschönigt nicht nur. Sie ist eine
Lüge.
Das Wort »gefallen« in der Todesbotschaft von der Front soll die Mutter trösten und die Kinder und die Geliebte und gibt mit »gefallen für Volk und Vaterland« dem qualvollen Tod auch noch einen verlogenen Sinn. Um das Unerträgliche erträglich zu machen?
Ein Vaterland ohne Väter? Völker, ihrer jugendlichen Söhne beraubt? Land, das unbewohnbar geworden ist?
Das Jahr des großen Gedenkens sollte uns Anlaß sein, das Wort »gefallen« zu hinterfragen.
Dieses Wort in der Todesbotschaft erhielt meine Mutter im Jahr 1943, das Kind auf dem Arm. Und es steht auch unter den Todesbotschaften der Gegenwart. Und wir benutzen es ebenfalls und zählen die Millionen »Gefallenen«. Aber dieses Wort ist Kriegswerkzeug.
Es ist an der Zeit, es öffentlich zu prüfen und im Sinne des Lebens neu zu bewerten. Wie manches andere Wort auch. Laßt es uns zum Unwort des Jahrhunderts erklären!
Mechthild Tschierschky
Die Autorin ist Leiterin des Friedenshauses Eisenhüttenstadt.
Staatstreu
Ein Nachtrag zum Thema Erinnerungspolitik: Welche Bedeutung hatte die Haltung der (sozialdemokratisch orientierten) Freien Gewerkschaften für den Weg des Deutschen Reiches in den Ersten Weltkrieg? Dazu war im Jahre 1953 folgende Würdigung zu lesen: »Die positive Stellung der Gewerkschaften zu Staat und Nation war seit der geschichtlichen Entscheidung der Arbeiterbewegung am 4. August 1914 kein Problem mehr, sie war eine Tatsache. Danach stellten die Gewerkschaften diese Haltung oft genug unter historischen Beweis ...« Der Beitrag, worin dies stand, hatte seinen aktuellen Bezug, die westdeutsche Remilitarisierung stand an, dazu wurde den Gewerkschaften ein geschichtlich begründeter, »positiver« Rat gegeben, und zwar an prominenter Stelle, in den
Gewerkschaftlichen Monatsheften. Autor war der Chefredakteur dieser vom DGB-Bundesvorstand herausgegebenen Zeitschrift, Walter Pahl. Er hatte in der Weimarer Republik wissenschaftlich und publizistisch für die Freien Gewerkschaften (ADGB) gearbeitet und trat 1933 für deren Integration in das »Dritte Reich« ein. Daß er 1954 seine Funktion beim DGB verlor, ergab sich aus einer Intervention der
Frankfurter Rundschau. Der
FR-Chefredakteur Karl Gerold legte offen, welche Forderungen Pahl in hitlerdeutschen Zeiten vertreten hatte: geopolitische Expansion Deutschlands et cetera – und »Ausgrenzung des Judentums«. Der DGB-Bundesvorstand zahlte dann erst einmal Pahl sein Gehalt weiter, bis dieser zur Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad Harzburg wechselte und ihrem Gründer und Chef Reinhard Höhn zuarbeitete. Höhn war Spitzenmann des Himmlerschen Reichssicherheitshauptamtes gewesen. Ein biographisches, politikhistorisches Beispiel für »Treue zu Staat und Nation«, in »volksgemeinschaftlicher« Profession, bei den Organisationen der Lohnarbeiterschaft und bei den Managern des Kapitals.
A. K.
Bundesentschädigungsgesetz
Ulla Jelpke schreibt in Ihrem Beitrag »Im Zweifel für Täter, gegen Opfer (
Ossietzky 17/14), daß das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) auf »NS-Verfolgte« (sic) beschränkt sei, die ihren Wohnsitz im früheren Reichsgebiet hatten. Ein Blick in das Gesetz (§ 4) klärt darüber auf, daß das falsch ist. Der persönliche Geltungsbereich des BEG war einerseits wesentlich weiter, andererseits aber auch enger. Zu letzterem die wichtigsten Beispiele: Bürger der DDR waren grundsätzlich von Ansprüchen nach dem BEG ausgeschlossen, es sei denn, sie wurden zu »Sowjetzonenflüchtlingen«. Die politischen Zwecke dieser Regelung liegen auf der Hand. Nicht anders war es mit den Bürgern der Staaten, mit denen die Bundesrepublik in Vollstreckung der Hallstein-Doktrin keine diplomatischen Beziehungen unterhielt (§ 238a BEG-Schlußgesetz). Wichtig auch: Das BEG, wie übrigens auch schon seine Vorgängergesetze, wurde von den Behörden, den Gerichten und nicht zuletzt vom Inlandsgeheimdienst rigoros als Instrument der Repression jeder systemkritischen Regung genutzt (§ 6 BEG).
Ungeachtet der oben angesprochenen Umstände ist mit den, nach meiner Information, 35 Milliarden DM, die die Bundesrepublik für Entschädigung ausgegeben hat, vielen Verfolgten des Naziregimes geholfen worden. Ökonomisch möglich wurde das durch die einsetzende Prosperitätsphase. An diesem Verdienst beißt die Maus keinen Faden ab. Daran ändert nichts, daß die sogenannte Entschädigung, ganz abgesehen von ihrer angesprochenen unmittelbar politischen Seite, bis in oft peinliche Details vom Geist der sozialen Restauration durchdrungen war. Und sie war unglaublich bürokratisch.
Kilian Stein
Eitel Sonnenschein
Es herrscht Volksfeststimmung vor dem Schloß. Hunderte von Menschen sind gekommen. Das Bataillon der Schützengilde marschiert, mehrere Musikkapellen spielen Märsche und eine neue Melodie, die eigens für diesen Tag komponiert wurde. Rundfunk und Fernsehen machen ihre Aufnahmen. Dazu gibt es Geschenke vom Schloßherrn: Freibier, Würstchen und rote Rosen für die Damen.
Ort des Geschehens: die ostwestfälische Stadt Höxter an der Weser, genauer: die Anlage ihres Klosters Corvey. Anlaß des Geschehens: die Verleihung des Titels »Weltkulturerbe« durch die UNESCO für das »Westwerk« der Klosterkirche, das aus dem 9. Jahrhundert stammt, also im karolingischen Stil erbaut wurde und seitdem fast unverändert erhalten blieb.
Seit 1975 vergibt die UNESCO den Titel »Welterbe« für Kultur- und Naturdenkmäler. Inzwischen wurde er an über 1000 Welterbe-Stätten weltweit vergeben; für Deutschland war es der 39. Titel.
Der ursprüngliche Erbauungszweck der »Weltkulturerbe«-Stätten spielt bei der Vergabe keine Rolle, er wird – wie bei Corvey – auch nur zögerlich, fast verschämt, genannt. Corvey, zur Zeit seiner Grundsteinlegung 822 an der Schnittstelle des alten Frankenreiches und der eroberten Gebiete des Sachsenlandes gelegen, sollte als Symbol der »ecclesia militans«, der »kämpfenden (und siegenden) Kirche« von den unterworfenen Stämmen verstanden werden und damit den Anspruch und die Verteidigung des geraubten Landes festigen. Das sollten sich vor allem die Mitglieder des höheren Adels der unterworfenen Sachsen merken, die hier ihre »Umerziehung« erhielten, um später selbst einmal nützliche Mittäter im imperialen deutschen Kaiserreich zu werden. Der Imperialismus damals verbreitete die Botschaft, die »Christianisierung« in Europa müsse nach dem Willen Gottes vorangetrieben werden, und er meinte damit seine Raubkriege, so wie der Imperialismus heute mit dem Aufruf von höchster Stelle, unser Land müsse eine »größere Wahrnehmung von Verantwortung« (Gauck) betreiben, ebenfalls ganz ordinäre Militäreinsätze meint, die weltweit die eignen Interessen sichern und ausbreiten sollen.
Deshalb wurde das Kloster Corvey damals zugleich zum Ausgangspunkt für die »Skandinavien-Mission« gemacht und dafür »reich dotiert« – auch damals schon kosteten die »Missionsfeldzüge« viel Geld.
Der Schloßherr, der spendable, Viktor Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey, hält die Festansprache. Es sei ihm eine Freude gewesen, mit dem örtlichen Pfarrdechanten in die Golfregion zu reisen, um dort die UNESCO-Entscheidung pro Corvey entgegenzunehmen. Mehrfach wird der Golfstaat, wo das Wunder »in der Wüste« geschah, hörbar wohlwollend genannt; auf einem großen Transparent, das Kinder tragen, wird, neben dem neuen Weltkulturerbe, ein Scheich gezeigt, der Herr dieses Golfstaates und offenbar großmütiger Sponsor für Kulturangelegenheiten: der Emir von Katar. Katar – war da nicht auch sonst noch was? Richtig: Fußballweltmeisterschaft 2022 – Zwangsarbeit – Diktatur – Todesstrafe – Aufrüstung?
An diesem sonnigen Junitag 2014 interessiert etwas anderes, wie in der Neuen Westfälischen nachzulesen ist: »Die Besucherzahlen werden ansteigen.« »Überall zufriedene und glückliche Gesichter.« Alles eitel Sonnenschein.
Hartwig Hohnsbein
Gescheitert
Der Beginn des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren schwemmte und schwemmt genügend Gedrucktes in eine Welt, die nichts dazugelernt hat. So bemüht man Karl Kraus, und der Intendant der Salzburger Festspiele, Alexander Pereira, tut kund, Karl Kraus hätte sich sicher gefreut, daß seine aus 220 Szenen bestehende Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit«, die 1922 erstmals als Buchausgabe erschien, nun in Salzburg zu den Festspielen und dann am Burgtheater in Wien (Premiere am 5. September 2014) aufgeführt wird. Gesponsert von Nestlé, Audi, Siemens und Rolex – da hätte Karl Kraus sicher keine Freude gezeigt, sondern eine Fortsetzung seines Textes »Reklamefahrten zur Hölle« geschrieben.
Da man den für das Projekt vorgesehenen Regisseur Matthias Hartmann kurzfristig vom Burgtheater per Kündigung entfernt hatte, engagierte man als »Retter« den Linzer Regisseur Georg Schmiedleitner, der zusammen mit Florian Hirsch für die Bühnenfassung verantwortlich ist.
Während Hartmann das Stück mit vielen Puppen inszenieren wollte, gab Schmiedleitner in einem Gespräch mit Barbara Rett (
ORF) zu seinem Konzept bekannt: »Wir haben aber vor allem Szenen drinnen, wo sich die Sprache als wesentlicher Gestalter des Stücks zeigt.« Mir kam es eher so vor, als hätte er sich an die Szenenauswahl gehalten, die Helmut Qualtinger in den Jahren 1962 bis 1975 aufgenommen hat (vier CDs erschienen bei Preiser Records). Den wichtigsten Stückzusammenhalt bilden in Schmiedleitners Inszenierung die Dialoge zwischen dem »Nörgler«, gespielt von Dietmar König, und dem »Optimisten«, den Gregor Bloéb gibt. Bloéb erledigt seine Rolle deutlich besser als König, der in der wichtigsten Rolle des Stücks versagt. Pathos und sprachliche Neunmalklugheit reichen nicht, um die fast unspielbaren Passagen des Nörglers, hinter denen sich Kraus‘ beißende Kritik versteckt, zu bewältigen.
Eine Blasmusikkapelle sowie fünf Schauspielerinnen und acht Schauspieler quälen sich durch die mehr als 80 Rollen. Zusätzlich werden schräge, oft aufreibende Klänge von Jenny Dickson, Tommy Hjosa und Matthias Jakisic, aber auch Bob Dylans »Masters of War« eingespielt. Oft grenzt das an Kitsch und stört.
Dabei hat Georg Schmiedleitner am Hausruck-Theater bereits großartige Stücke abgeliefert: »Zipf«, »Hunt« oder »A Hetz oder die letzten Tage der Menschlichkeit«. Von ihm wäre zu erwarten gewesen, daß er mit dem Stück von Karl Kraus jene derzeit aktuellen Mechanismen deutlich werden läßt, die eingebettet in Zeitungswerbung und Fernseh-Werbespots Krieg, Hunger und Krankheit dieser Welt zum Einheitsbrei werden lassen, der vom Publikum ohne Gegenwehr und spürbare Ablehnung konsumiert wird.
Erstaunlich auch Dörte Lyssewski – sie spielt die von Karl Kraus mit Kritik überschüttete Kriegsberichterstatterin Alice Schalek. Ihre Rolle sieht die Burgschauspielerin so: »Für mich ist sie eine moderne, intelligente Frau, die als erste weibliche Berichterstatterin im Schützengraben berühmt wurde. Ich finde beeindruckend, wie sie sich durchsetzt.« (
Profil Nr. 29, 14.7.14)
Ja, einige Szenen sind gut gespielt, aber aus dem Drama wurde oft Comedy samt etwas »Wiener Schmäh«. Zum Schluß gibt es, geboten vom Optimisten, ein »Kopf hoch« mit makabrer Pointe: In einem durchsichtigen Plastiksack hat der Darsteller den eigenhändig abgetrennten Schädel des Feindes dabei (»… mein erster italienischer Gefangener«).
Statt der immer wieder gescheiterten Inszenierungsversuche an Theatern kann ich nur empfehlen, sich entweder die von Helmut Qualtinger gelesene Fassung (vier CDs) anzuhören – unerreicht –, oder die auf 23 CDs festgehaltene Hörspielversion, die im Jahre 1974 in 45 Folgen vom
Österreichischen Rundfunk gesendet wurde. Der Regisseur der Radiofassung, Fritz Habeck: »In unserer Sendung wurde nichts unterdrückt, nichts verändert, nichts gestrichen. Es ist Kraus selbst, der zu Ihnen spricht.«
Karl Kraus ist mit seinem Gesamtwerk bis heute in dieser Welt, von der er sich mit gleichem Abscheu abwenden würde wie von der, in der er lebte und schrieb, fremd geblieben. »Die letzten Tage der Menschheit« sind kein Werk, das man beliebig kabarettistisch ausbeuten kann.
Dieter Braeg
Premiere in Stuttgart
Aufgeführt wird die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill. Für die Freunde der kommunistischen Unterhaltungskunst ein Muß. Im Premierenpublikum unter anderem der rechte und der linke Flügelmann der Stuttgarter SPD. Vereinzelt sieht man auch gleichfalls in die Jahre gekommene kritische (marxistische) Intellektuelle. Von der Linkspartei ist niemand zu sehen, offensichtlich ist deren Integration oder Alimentation in Stuttgart noch nicht so weit vorangeschritten, daß sie die Premieren erobern könnten.
Was bleibt und blieb von Brecht? Es gab eine seltsame Rahmenhandlung, die das Stück in der Vergangenheit einer universellen Kleinbürgerkultur einbettete und an die Folgen der »Planet der Affen«-Reihe erinnerte, als die Affen die Herrschaft innehatten.
Nun, es war auch der Tag, an dem ich las, daß die Petition zur Wiederzulassung der verbotenen KPD abgelehnt worden war. Nun wäre es des Spottes eines Brechts wert, die KPD über eine Eingabe an das bürgerliche Parlament wieder zu legalisieren, aber so sind die Verhältnisse heute eben.
Brechts Dreigroschenoper war unter den linken Intellektuellen nicht unumstritten. (Nur nebenbei: Wie leicht war es, die KPD zu verbieten und ihre Mitglieder zu drangsalieren, wie schwer geht das bei der NPD, und wie süß wird deren Ausstieg verzuckert; wer hier weiterhelfen könnte: Brecht!) Brecht galt manchen als großer Vereinfacher. Sicher ist freilich, und da hätte er sich als historischer Materialist nicht gewehrt, daß auch er, das heißt seine Stücke, ihre Zeit haben, in die sie gehören.
Nun sind die Verhältnisse leider immer noch so, der Kapitalismus hat gesiegt, der Großversuch einer sozialistischen Gesellschaft ist gescheitert, der Kapitalismus triumphiert.
So erinnert Brecht an eine andere Zeit, die des Übergangs vom wilden zum organisierten Kapitalismus; das beste Lied im Stück wurde entschärft, indem es im Umbauklamauk auf der Bühne unterging: Was ist die Ermordung eines Mannes gegen seine Anstellung?! Hier ist das Stück aktuell und veraltet, denn die Entlassung der vielen Arbeiter und Angestellten lohnt sich gleichfalls, wie die Massenarbeitslosigkeit ein großes Geschäft ist. Und auch der Krieg, das Töten von Menschen, ist in diesem Lande ein Bombengeschäft.
Man hätte das historisch materialistische Denken bei Brecht lernen können, ja wenn die Inszenierung eine andere gewesen wäre. In Stuttgart hat man hat aus der Dreigroschenoper ein Klamauk-Stück gemacht, in dem die bekannten Evergreens ertönen.
Bei Brecht, wir erinnern uns an unseren Schulunterricht, gibt es keine Katharsis, man soll denken statt fühlen. Was heute dabei heraus kommt, wenn das Bürgertum denkt, war anschließend an der Getränketheke festzustellen: pure Gier mit der Angst durchsetzt, übersehen zu werden, zu kurz zu kommen. Das Hamsterrad, das Peachum auf der Bühne gemütlich trat, hat für das im Publikum versammelte Bürgertum eine ganz andere Geschwindigkeit.
Um sich etwas abzureagieren, nach dem langen Stillsitzen, applaudierte man lang; unklar, ob man sich damit meinte oder die SchauspielerInnen. Die Frauen von Mackie Messer waren betulich; die Nutte Jenny erinnerte an Bademodenerotik, Peachums Tochter Polly hatte etwas Puppenhaftes. Ob, wie man hört, damit die Jugend angesprochen wird, weiß ich nicht, zweifle aber; es sei denn, man wollte der Jungen Union eine Anregung für ihren nächsten Heimatabend geben.
Brecht wird getötet. Nichts soll an das dialektische und materialistische Denken in der Kunst erinnern, nichts daran, welche Freude kritisches Denken machen kann, und nichts darf daran erinnern, daß der Zusammenhang von Unterhalt und Unterhaltung auf die Bühne kommt.
Als ich nach dem Theater im Foyer Würstchen mit Kartoffelsalat aß, das Proletarische an diesem Abend, mußte ich mit ansehen, wie im Theater auf großen Monitoren das erste WM-Fußballspiel übertragen wurde: für die Premierengäste. So endete dieser Abend im sauren Aufstoßen, ob durch den Weißwein, den Kartoffelsalat oder die Inszenierung verursacht, mag dahingestellt bleiben.
Wolfgang Haible
Zuschrift an die Lokalpresse
Gut, daß es die
Berliner Morgenpost gibt. Sie bestätigt uns in ihrer kostenlosen Ausgabe vom 23./24. August das, was wir schon immer wußten: Die Personalsituation der hauptstädtischen Polizei ist noch viel dramatischer als in unserem tiefsten Inneren gefühlt. Aber jetzt gibt es laut »Controllingbericht Probelauf Abschnitte« eine überzeugende Lösung: »Die AKL (Abschnitts-Kommissariats-Leitungen) sollten darauf hinwirken, daß lediglich dort tiefer ermittelt wird, wo erfolgversprechende Ermittlungsansätze vorhanden sind.« Richtig so. Jeder Mensch braucht seinen Erfolg, auch die Polizeibeamten! Und Fahrraddiebe, Einbrecher und andere Kleinganoven können wieder ruhiger schlafen, denn jeder Mensch braucht nicht nur Erfolg, sondern auch einen gesunden Schlaf. Gut, daß wir das jetzt alle wissen, denn dadurch ist die
Morgenpost-Ausgabe nicht nur kostenlos, sondern nicht einmal umsonst! – Bastian Wackerbarth (42), Unternehmer, 13587 Hakenfelde
Wolfgang Helfritsch