Kaum bekannt ist August von Einsiedel (1754–1837) – sehr zu Unrecht (www.august-einsiedel.de). Als adliger Offizier positionierte er sich überlegt, klar und deutlich gegen Krieg und Militär. Nur durch Johann Gottfried Herders Abschriften sind Einsiedels Ideen überliefert, die für ihre Zeit zu radikal waren, um veröffentlicht zu werden (Dobbek: »August von Einsiedel«, Berlin 1957). Mit Herder verband Einsiedel langjährige Freundschaft, Goethe nannte Einsiedel 1816 öffentlich-anonym einen »trefflichen Freund«. In der Gestalt des Jarno im »Wilhelm Meister« setzte er ihm ein literarisches Denkmal. Wurden Einsiedels sozial-kritische Überlegungen zu seiner Zeit auch nicht veröffentlicht, so kursierten sie doch im Freundeskreis und weit darüber hinaus. Außerdem kam Einsiedel mit vielen progressiven Persönlichkeiten seiner Zeit in Kontakt.
Einsiedels Nachdenken über Krieg und Militär setzte früh ein. Den Siebenjährigen Krieg scheint er als kleines Kind entweder in Torgau oder dem nahen Lumpzig bei Altenburg unmittelbar miterlebt zu haben, erinnert sei an die Schlacht von Torgau am 3. November 1760 zwischen Preußen und Sachsen. Als Jugendlicher, er muss etwa 12 bis 14 Jahre alt gewesen sein, empfand Einsiedel es wie eine Verurteilung zum Tod, als er von der Familie dazu bestimmt wurde, eine standesgemäße Laufbahn im Militärdienst bei der Kavallerie zu beginnen. Der Beruf war für einen aus dem Hochadel stammenden jungen Mann mit zahlreichen Geschwistern durchaus üblich. Seinen Militärdienst übte Einsiedel im holländischen Regiment von Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg aus. Diese Truppe wurde gegen Entgelt vermietet. Einsiedel gelangte bis zur holländischen Militärstation am Kap der guten Hoffnung. Er war offenbar ein befähigter Militär, wurde Fähnrich und Offizier. Sein hoher Dienstvorgesetzter Rheingraf Salm nahm sich des intelligenten jungen Mannes persönlich an.
Doch bereits 1776 schrieb August von Einsiedel im Zusammenhang mit dem Nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg, in den England auch viele deutsche Miettruppen schickte, dass er es für unwürdig halte, sich im Militär als ein Werkzeug zur Unterdrückung edel denkender Menschen missbrauchen zu lassen. Es sei dabei nur ein sehr niedriger Vorteil zu gewinnen. Als er sich zu dieser Zeit in Braunschweig aufhielt, war er durchaus froh, dem Schall und Rauch der Kriegsübungen entkommen zu sein.
1779 gelang es dem Leutnant von Einsiedel seine Entlassung aus dem Militär in seiner Familie durchzusetzen und damit dem Stand des Zerstörens – dies ist seine Denkweise – zu entsagen. Er absolvierte eine ingenieurtechnische Ausbildung, um sich dem Bergbau als einem Stand des Produzierens zu widmen, und wurde Bergkommissionsrat in Freiberg. Zugleich betrieb er das außergewöhnliche Projekt einer Reise in das Innere Afrikas. Er wollte dort natürliche gesellschaftliche Verhältnissen kennenlernen, in denen Menschen weder herrschen, noch beherrscht werden wollen, also nicht in den überkommenen feudalen Verhältnissen Europas leben.
Überlegungen zu Krieg und Frieden beschäftigen Einsiedel sein ganzes Leben: So kritisierte er das Anpreisen der Militärinstitute, also des Dienstes im und für das Militär als in höchstem Maße unanständig. Man wisse doch, dass das Militär zu nichts diene, als die Menschen schlechter zu machen. So werde der Soldat im Krieg oft zum Brudermörder. Von einem Banditen unterscheide sich der Soldat nicht, denn beide seien um Geld gedungene Mörder. Dabei sei der Bandit in der unmittelbaren Entscheidung, jemanden zu töten, noch frei, der Soldat hingegen nicht. Dem Soldaten werden im Krieg jegliche moralische Werte durch Töten, Rauben und Stehlen genommen. Hinsichtlich eines Mitleidens gegenüber anderen Menschen stumpfe der Soldat ab. Der im Militärstand bestehende blinde Gehorsam – verbunden mit dem finanziellen Privatvorteil des Soldaten – mache ihn nur schlechter. Somit bleibt von dem Trugbild eines militärischen Helden und ruhmreichen Kämpfers oder eines Patrioten mit Einsiedels rationaler Sichtweise reinweg nichts mehr übrig. Er demaskiert in seinen Gedanken den vom Feudalherren um Geld gedungenen Soldaten, der anderswo für diese Geldentlohnung erobere, töte und stehle.
So wie Einsiedel persönlich vom Stand des Zerstörens in den Stand des Produzierens wechselte, betrachtete er auch die Welt in ihrem Werden und Vergehen. Anstatt die Fürsten und Mächtigen zu verherrlichen, erkannte er, dass die gesellschaftlichen Werte durch die menschliche Arbeit geschaffen werden. Der Produktion maß er primären Stellenwert bei. Tritt insoweit die menschliche Arbeit in das Blickfeld, so wird Einsiedel auch bewusst, dass Krieg und Militär, das heißt die Produktion von Waffen und Ausrüstung und die Unterhaltung der unproduktiven Soldaten eine unerträgliche Verschwendung menschlicher Arbeit beinhalten. Darüber hinaus zerstören Krieg und Militär die Produkte menschlicher Arbeit. Schließlich verfüge jedes menschliche Individuum als solches auch über den Anspruch auf Leben und Glückseligkeit, und der Krieg vernichte eben Individuen.
Einsiedel konstatiert, dass lediglich die Fürsten einen finanz-wirtschaftlichen Vorteil aus Krieg und Militär ziehen, denn durch Krieg sollten zum Vorteil des Fürsten neue Länder und Untertanen erobert werden. Die Beseitigung der Nutznießer des Krieges und damit der Fürstenherrschaft führe zum Frieden. Die Veränderung der Gesellschaft in einem demokratischen Sinn und in einer weiteren Kulturentwicklung beseitige die Grundlagen, die dazu führen, dass Einzelne Interesse am Krieg haben.
Eine Konsequenz im Denken Einsiedels besteht in der Forderung, das stehende Heer, welches nur unnütz menschliche Arbeit absorbiere, abzuschaffen.
Kritisiert er Militär und Krieg in ihrer Vernichtung der menschlichen Produkte und der Individuen, so solle auch jeder, der mit Rat und Tat zum Kriege beitrage, als ein Verbrecher an der beleidigten Menschheit angesehen werden.
Einsiedel und Herder waren sich dahingehend einig, dass der Krieg aufhören werde, wenn mit ihm ein Kriegsziel nicht mehr erreicht werden könne, weil der Untergang einer jeden kriegführenden Seite durch die waffentechnische Entwicklung unumgänglich würde. Diese Meinung übersieht das rigorose Streben der Kriegstreiber einen kleinen Vorsprung in der mörderischen Überlegenheit zu erlangen, um diesen gegen den Gegner einzusetzen. Auch dies ist Politik.
Einsiedel verband die Entwicklung der Menschheit mit einer Entwicklung der Kultur der Gesellschaft (Erfindungen, Technik, Arbeit, Beseitigung der Fürstenherrschaft, Arbeitseigentum, Verteilung und Verhinderung des Reichtums Einzelner, natürliche Verhältnisse). Die Verschwendung der Arbeit durch Krieg und Militär behindere diese. Mit der Befreiung der Menschen von zu viel Arbeit bleibe ihnen Muße, die wiederum die kulturelle Entwicklung im Umgang miteinander fördere.
Schließlich verband der Afrika-Forscher Einsiedel eine Kulturentwicklung auch mit einem kulturellen Austausch der Völker, einer Verbindung und Vermischung der Völker. Dieses Denken impliziert die Akzeptanz eines jeden Volkes in seiner Eigenart, seiner Kultur und Religion. So fordert Einsiedel auch in seinen »Ideen« die verfassungsmäßige Freiheit der Religionen und der Unreligion. Er selbst war ein Freigeist.
Als die Kriegstreiber unserer Zeit ihre neuerlichen Kriege mit einem »Kampf der Kulturen« ideologisch verbrämten, fiel mir ein alter Gedanke von Einsiedel ein: Der Krieg an sich beweist Unkultur.